Wut der Tourismusbranche wächst: Italien verliert den ersten Vorsprung beim Impfen
Erst kam Italiens Impfkampagne gut in Schwung. Doch jetzt gerät sie ins Stocken. Die Tourismusindustrie verliert die Geduld – und macht ihrem Unmut Luft.
Sie lief am Anfang richtig gut und liegt auch inzwischen auf oberem europäischen Niveau. Doch die italienische Impfkampagne muss trotz ihrer Erfolge – das Gesundheitspersonal zum Beispiel ist praktisch durchgeimpft – schneller werden: Noch immer sterben täglich im Schnitt 450 Italienerinnen und Italiener an oder mit Covid-19. Das ist fast das Doppelte bis Dreifache der Covid-Toten in Frankreich und Deutschland mit viel größerer Bevölkerung. Einziges Hoffnungszeichen: Die Kurve der Neuansteckungen fällt seit einiger Zeit.
Das Durchschnittsalter der Corona-Toten in Italien liegt bei etwas über 80. Kein Wunder also, dass General Francesco Paolo Figliuolo, den Italiens seit März amtierender Ministerpräsident Mario Draghi zum Pandemiebeauftragten gemacht hat, nichts davon wissen will, die Priorisierung nach Alter aufzugeben, wie es inzwischen einige Regionalpräsidentinnen und -präsidenten fordern.
Aber Figliuolo gerät damit unter Druck. Um Ostern herum waren zwar fast alle Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen geimpft, von den Alten in den eigenen vier Wänden aber noch viel zu wenige – insgesamt erst etwas mehr als die Hälfte aller Hochaltrigen sind mindestens durch eine erste Impfung geschützt.
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Die Auswege, die Impfung zu beschleunigen, sind heikel: In einer Verordnung aus der vergangenen Woche ließ der General offen, ob nur nach Termin geimpft werde oder doch auch spontan in den Impfzentren – was aber wiederum gefährliche Warteschlangen produzieren könnte. Außerdem hängt, zentrale Zuständigkeit oder nicht, wie in Deutschland der Erfolg der Kampagne von der Umsetzung in den Regionen ab, dem Pendant der deutschen Länder.
Dort aber steckt die Impfkampagne nicht selten fest – ausgerechnet der alte und bleibende Hotspot der Pandemie, Italiens industrielles Herz, die Lombardei, liegt beim Impfen zurück. Auch Figliuolos Mittel gegen die verbreitete Skepsis gegenüber dem Impfstoff von Astrazeneca – wer den verweigert, rückt ans Ende der Warteschlange – könnte sich als kontraproduktiv erweisen, wenn dies die Impfung alter Menschen weiter verzögert. Die lombardische Sozialbehörde gab am Mittwoch bekannt, dass die Quote derer, die den schwedisch-britischen Impfstoff ablehnen, inzwischen auf 15 Prozent gewachsen ist. Zu Beginn der Impfkampagne seien es zwischen acht und zehn gewesen.
In Rom entlädt sich die Wut der Gastronomen
Wenn die Kampagne aber nicht wirklich gut vorankommt – und als nächstes auch die Impfung anderer Gefährdeter, chronisch Kranker zum Beispiel, nicht – müsste die noch länger warten, die sich jetzt ungeduldiger gebärdet, je schöner Italiens Frühling wird: Die Tourismusindustrie.
Seit dem Wochenende gehen in Rom täglich die Besitzerinnen und Besitzer von Läden und Restaurants auf die Straße – mit dabei ist die extreme Rechte der „Casa Pound“ – und kündigen in teils gewalttätigen Demonstrationen der Regierung offen den Gehorsam auf: „Io apro“ („Ich öffne“), lautet der Slogan. Am Dienstag blockierten Protestierende das Autobahnstück zwischen der Gemeinde Orte in der Provinz Latium und dem umbrischen Attigliano.
Und auf den Inseln bitten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dringend, doch eben mal die eigenen „Schäfchen“ zu impfen, damit die Saison wenigstens dort beginnen könne, wo das Reisegeschäft das praktisch einzige ist. Es gehe ja nur um wenige Tausende, sagte etwa der Inselchef von Capri.
Der Gesundheitsminister, der eigentlich als besonders vorsichtig gilt, hat den Ruf gehört. Am Dienstag erklärte Roberto Speranza, man könne „zu Recht für Mai mit Öffnungen rechnen“. Ihn persönlich überzeugten die Daten zur sehr geringen Ansteckungsgefahr im Freien, sagte Speranza mit Blick auf die Außengastronomie. „Wir werden aber Tag für Tag die Zahlen studieren.“
Neben dem Schutz der Bevölkerung steht auch das Ansehen der politischen Führung auf dem Spiel. „Supermario“ Draghi, beim Amtsantritt als Heilsbringer hofiert, hatte in seiner ersten Rede den Kampf gegen Covid zur ersten Priorität der neuen Regierung gemacht.
Der Pandemiebeauftragte Figliuolo nannte, anders als der vorsichtige und meist schweigsame Chef, zudem Zahlen, an denen er jetzt gemessen wird. Eine halbe Million Impfdosen sollten täglich verabreicht werden – Montag und Dienstag waren es gerade knapp 80.000.
Der Stopp für den neuen Impfstoff von Johnson & Johnson in den USA trifft nun auch Italien hart: Das Land hatte gerade auf ihn gesetzt und große Mengen geordert, die nun erst einmal nicht eintreffen werden.