Früherer EZB-Chef soll Regierung bilden: Italien hofft auf den „Draghi-Effekt“
Mario Draghi, der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, soll die dringend notwendigen Reformen vorantreiben. Sein Ansehen in Italien ist hoch.
Manche Sätze werden Markenzeichen. Bei Mario Draghi war es dieser: „Whatever it takes.“ Im übertragenen Sinne: „Koste es, was es wolle.“ Draghi sagte die Worte im Sommer 2012, mitten in der Eurokrise, als Spekulanten und Hedgefonds gegen die spanischen Banken und die italienischen Staatsschulden wetteten und das Überleben der Einheitswährung gefährdet schien.
Die Europäische Zentralbank (EZB), erklärte deren neuer Präsident an einem Investoren-Meeting in London, sei bereit „im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten“. Dann fügte Draghi noch an: „Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“
Es war genug, bis heute. Allein die Erwähnung der beinahe unbeschränkten Feuerkraft der EZB hatte ausgereicht, die Spekulationswelle einzudämmen und das europäische Bankensystem und den Euro zu stabilisieren. Man nannte es den „Draghi-Effekt“. Die Instrumente brachte Draghi erst zweieinhalb Jahre später in Stellung. Der vor allem in Deutschland kritisierte unbeschränkte Kauf von Staatsanleihen begann erst Anfang 2015.
Ein „Draghi-Effekt“ zeigte sich auch am Mittwoch. Als Reaktion auf die Nominierung des 73-jährigen Römers als künftigen italienischen Regierungschef sanken die Zinsaufschläge für Italiens Staatsschulden erneut um mehrere Punkte, die Mailänder Börse eröffnete mit 2,6 Prozent im Plus.
Dem früheren EZB-Chef wird zugetraut, Italien aus der vierfachen Krise – gesundheitlich, sozial, wirtschaftlich und finanziell – herausführen zu können. „In seinen schwierigsten Zeiten setzt Italien immer auf seine beiden besten Leute“, erklärte der frühere italienische Finanzminister Domenico Siniscalco.
Draghi verlor mit 15 seine Eltern
In Italien kennt man Draghi aber nicht erst, seit er als EZB-Chef Italien vor dem finanziellen Kollaps bewahrte. Vor seiner Wahl in den Eurotower in Frankfurt war er von 2006 bis 2011 Präsident der italienischen Notenbank, der Banca d'Italia, gewesen.
Obwohl er damit zum römischen Establishment gehörte, war er im Polit-Betrieb der italienischen Hauptstadt auf wohltuende Weise ein Fremdkörper geblieben. Das liegt auch daran, dass er viele Jahre im Ausland verbracht hatte, vor allem in London und New York – was man von den wenigsten italienischen Entscheidträgern behaupten kann.
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Der designierte neue italienische Premier hatte als 15-Jähriger kurz hintereinander seinen Vater und seine Mutter verloren. Zusammen mit seinen Geschwistern wuchs er in der Obhut einer Tante auf. Nach dem Abschluss eines Jesuiten-Gymnasiums in Rom zog es Draghi bald in die USA, wo er Ökonomie und Finanzwirtschaft studierte; zu seinen Lehrern am renommierten Masachusettes Institute für Technology (MIT) zählten zwei Nobelpreisträger.
Schon mit 35 Jahren wurde „Super-Mario“, wie er von Kommilitonen genannt wurde, Professor an der Universität von Florenz, mit 37 amtierte er als Exekutivdirektor der Weltbank in Washington. Seine akademische Karriere krönte er 2001 mit einer Professur an der Elite-Universität von Harvard.
Als Notenbank-Chef predigte Draghi in Italien seit 2006 Wirtschaftsreformen, Schuldenabbau, Ausgabendisziplin. Das gefiel den EU-Finanzministern, machte ihn aber unbeliebt bei der eigenen Regierung, die damals von Silvio Berlusconi angeführt wurde.
Wenn Draghi jeweils Staatsinterventionismus, Klientelwirtschaft und Abschottungstendenzen kritisierte, dann konnte Regierungschef Berlusconi gar nicht anders, als sich gemeint zu fühlen. Zusammen mit seinem noch amtierenden Vorgänger in der EZB, Jean-Claude Trichet, schrieb der designierte Nachfolger Draghi im Sommer 2011 einen Brief an die Regierung, in dem er erneut Reformen verlangte.
Berlusconi ignorierte die Ratschläge
Berlusconi ignorierte die Ratschläge – drei Monate danach ist er vom damaligen Staatspräsident Giorgio Napolitano zum Rücktritt gedrängt und im November 2011 durch Mario Monti ersetzt worden. Jetzt tritt Draghi in die Fussstapfen des Mailänder „Professore“ und ehemaligen EU-Wettbewerbskommissars.
Er wird, wie Monti, eine Regierung der nationalen Einheit führen, die, wenn es nach den Vorstellungen von Staatspräsident Sergio Mattarella geht, von den meisten Parteien unterstützt werden soll. In Rom heisst es, dass Draghi – privat ein zurückhaltender Familienmensch – gehofft habe, dass der Kelch an ihm vorübergehe.
Eine der wichtigsten Aufgaben, die auf den neuen Regierungschef warten, ist die Ausarbeitung eines neuen Konzepts für die Verwendung der 209 Milliarden Euro, die Brüssel im Rahmen des Recovery Fund für Italien bereit gestellt hat. Damit hatte sich die Regierung von Giuseppe Conte ungemein schwer getan und ist letztlich daran gescheitert.
Und zweifellos wird Draghi versuchen, endlich die Reformen durchzuführen, die er seit bald zwei Jahrzehnten fordert, allen voran die Reform der Bürokratie und der Justiz, die das Land lähmen. Eines steht fest: Draghi wird nichts unversucht lassen, sein Land voranzubringen. Nach seinem Motto: Whatever it takes.