Akute Not beseitigt: Italien lässt 180 Bootsflüchtlinge auf Quarantäneschiff
Italien lässt 180 Migranten der „Ocean Viking“ auf ein Quarantäneschiff. Sie sind gerettet, aber die Zahl der Bootsflüchtlinge steigt insgesamt an.
Nach zehn Tagen auf offenem Meer hatte sich die Lage auf dem Rettungsschiff dramatisch zugespitzt: „Muss erst jemand sterben, damit die Ausschiffung möglich wird?“, twittere Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS Méditerranée Deutschland am Samstag, nachdem sich weder Italien noch Malta bereit erklärt hatten, die 180 Migranten an Bord in einem ihrer Häfen an Land gehen zu lassen. Kurz darauf erbarmte sich Italiens Innenministerium: Die Flüchtlinge dürfen am Montag immerhin auf das Quarantäneschiff „Moby Zaza“, das vor dem Hafen der sizilianischen Stadt Porto Empedocle ankert.
Die Flüchtlingshelfer von SOS Méditerranée hatten die 180 Menschen nach eigenen Angaben zwischen dem 25. und 30. Juni bei vier Rettungsaktionen aus dem Meer gerettet. Danach hatte die Crew sieben Gesuche an Italien und Malta gestellt, der „Ocean Viking“ einen sicheren Hafen zuzuweisen – beantwortet wurden nur zwei der Anfragen, beide abschlägig. Nachdem sechs Flüchtlinge versucht hatten, sich das Leben zu nehmen und mehrere andere Gewaltdrohungen gegen die Besatzung äußerten, rief die Crew den Notstand aus – was ihr nach internationalem Seerecht theoretisch erlaubt hätte, einen Hafen auch ohne Erlaubnis anzusteuern.
Zahl der Bootsflüchtlinge steigt
Mit der Verlegung der 180 Flüchtlinge auf das Quarantäneschiff in Sizilien wird die akute Notlage zwar beseitigt – doch das Grundproblem bleibt bestehen: Mit dem beginnenden Sommer ist die Zahl der Bootsflüchtlinge, die von Nordafrika nach Italien oder Malta übersetzen, bereits stark angestiegen. Bis zum 1. Juli sind in diesem Jahr den Behörden zufolge 6995 Bootsflüchtlinge in Italien angekommen – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Etliche Migranten hatten sich vor ihrer Rettung mit dem Coronavirus infiziert: In den letzten Wochen befanden sich 28 Infizierte auf der deutschen „Sea Watch“ und acht Infizierte auf der italienischen „Mare Jonio“.
Sowohl Malta als auch Italien hatten ihre Häfen wegen Pandemie frühzeitig als „nicht sicher“ erklärt und so ihre Weigerung begründet, private Rettungsschiffe einlaufen zu lassen. In Italien sind außerdem nach wie vor Sicherheitsdekrete von Ex-Innenminister Matteo Salvini in Kraft, mit denen Italien seine Häfen geschlossen und eine zumindest teilweise Verteilung der gerettete Flüchtlinge auf andere europäische Länder erzwungen hatte. Doch letztlich bleibt die Politik der „geschlossenen Häfen“ eine Illusion: Die meisten Flüchtlinge kommen inzwischen autonom an die süditalienische Küste – mit eigenen Booten und ohne gerettet zu werden.
Seehofer will handeln
Sie entziehen sich damit zunächst auch etwaigen Quarantäne-Maßnahmen. Vor allem in touristischen Hafenstädten, in denen der Fremdenverkehr eine Bedeutung hat, wehren sich die Bürgermeister gegen die Aufnahme von möglicherweise infizierten Flüchtlingen.
Italien und Malta bestehen weiter auf Solidarität in Europa in der Migrationspolitik. Innenminister Horst Seehofer will die EU-Staaten in die Pflicht nehmen und am Dienstag EU-Kollegen beraten, wie die Mittelmeer-Anrainer stärker unterstützt werden können.
Dominik Straub