Nach schwachen Ergebnissen bei den Landtagswahlen: Ist die SPD als Volkspartei noch zu retten?
Mit der SPD geht es bergab. Auch der Wahlsieg von Malu Dreyer kann die erschreckenden Schwächen der Partei nicht überdecken.
Nur wer den Anspruch hat, allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen ein Angebot zu bieten, darf sich Volkspartei nennen. Wer wie die SPD nur noch 12,7 Prozent (Baden-Württemberg) oder gar nur noch 10,6 Prozent (Sachsen-Anhalt) der Wähler überzeugt, erfüllt das Kriterium nicht mehr – zumindest dann nicht, wenn er sich nicht schnell erholt. Mit Blick auf die Bundestagswahl muss besonders das schlechte Abschneiden in Baden-Württemberg die Sozialdemokraten beunruhigen. „Uns auf der Südschiene tut das richtig weh“, sagt etwa der bayerische Bundestagsabgeordnete Christian Flisek, dessen Landesverband bei der Landtagswahl 2013 mit 20,6 Prozent fast noch doppelt so stark waren wie nun die Genossen im Südwesten. Doch deren Ergebnis vom Sonntag wirkt wie ein Menetekel. Weil Bayern (rund zwölf Millionen) und Baden-Württemberg (rund zehn Millionen) zu den bevölkerungsreichsten Bundesländern zählen, wiegt jedes dort verlorene Prozent für die Sozialdemokraten doppelt schwer.
Gabriel weiß, dass es nahezu aussichtslos ist, im Bund auch nur in die Nähe von 30 Prozent zu kommen, wenn die SPD in den Schwergewichten unter den Bundesländern dramatisch schrumpft. Immer wieder hat sich die SPD-Führung mit dem Problem ihrer Schwäche im Süden beschäftigt, doch bislang keine Lösung gefunden. Schon rufen manche Länder nach Hilfe. „Unser Landesverband erwartet nun massive Unterstützung von der Bundespartei“, sagt etwa die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis und warnt: „Wenn wir in Baden-Württemberg weiter so schwach bleiben, wird das verheerende Auswirkungen auf das Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl haben."
Wie will Sigmar Gabriel nach der Schlappe weitermachen?
Der Wahlsieg von Malu Dreyer rettete am Wahlabend zwar die Stimmung im Willy-Brandt-Haus, kann aber die erschreckende Schwäche der Partei nicht überdecken, die in zwei Bundesländern hinter der AfD landete. Gabriels Stellung als Parteichef wird dadurch stabilisiert, dass weder Olaf Scholz noch Andrea Nahles im Jahr 2017 eine absehbar undankbare Kanzlerkandidatur gegen Angela Merkel auf sich nehmen wollen und deshalb nun keinen Anspruch auf die Parteispitze erheben. Die engere Parteiführung war sich schon vor Bekanntwerden der Ergebnisse vom Sonntag einig, dass sie jede Personaldebatte über den Parteichef unterbinden und eine chaotische Debatte vermeiden wollte.
Wichtige SPD-Politiker aber haben deutlich gemacht, dass sie von Gabriel umgekehrt Entgegenkommen erwarten, er also für die ihm entgegen gebrachte Loyalität einen Preis zahlen soll. Zum Entsetzen vieler Genossen in der Führung hatte sein Gespür für die Stimmung der Menschen ihn im vergangenen halben Jahr immer wieder dazu gebracht, Distanzsignale zu Merkels Flüchtlingspolitik zu senden. Eine restriktivere Politik auf diesem Feld aber verhinderte die Mehrheit der Parteiführung stets frühzeitig.
"Wir brauchen keinen Zick-Zack-Kurs, sondern ein klares inhaltliches Profil.“
Nun preist Gabriel „Klarheit“ und „Haltung“ im Sinne einer liberalen, europäischen Flüchtlingspolitik als Erfolgsfaktoren seiner Partei – und weckt damit hohe Erwartungen der Parteilinken. Seine neue Forderung nach Milliardeninvestitionen nicht nur für die Flüchtlingsintegration, sondern auch für sozial schwache Deutsche („Solidarprojekt“) eint die Partei, doch viele beobachten misstrauisch, wie lange der als sprunghaft bekannte Vorsitzende bei seinem Kurs bleiben wird. „Die SPD darf jetzt nicht wackeln“, fordert etwa der Vorsitzende der Parlamentarischen Linken (PL), Matthias Miersch: „Es kommt darauf an, die Gesellschaft zusammenzuhalten.“ Seine Abgeordnetenkollegin Mattheis warnt: "Wir brauchen keinen Zick-Zack-Kurs, sondern ein klares inhaltliches Profil.“ Wenn die SPD nun meine, unter Druck Signale nach rechts senden zu müssen, so warnt sie, wäre das „fataler Fehler“.
In der Frage, ob die SPD für die Milliardeninvestitionen auch das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts aufgeben soll, scheint Gabriel noch nicht ganz entschieden – zumindest hat er teils widersprüchliche Signale gegeben. Große Teile der Partei und vor allem der linke Flügel wollen ihn genau darauf festlegen. „Mit einer dogmatisch überhöhten schwarzen Null wird es nicht gelingen, die Gesellschaft zusammenzuhalten“, sagt Miersch: „Aus dem Beharren auf die schwarze Null kann ganz schnell ein schwarzes Loch mit viel höheren Folgekosten werden.“