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Hongkonger Polizisten nehmen am Mittwoch eine Gruppe Demonstranten fest.
© AFP/Isaac Lawrence

Chinas Sicherheitsgesetz: Ist der Kampf um Hongkong entschieden?

Chinas Volkskongress bringt das umstrittene Sicherheitsgesetz auf den Weg. Was bedeutet das für Hongkong und wie reagiert der Westen?

Noch nie hat Chinas Nationaler Volkskongress ein Vorhaben der allmächtigen Kommunistischen Partei durchfallen lassen. Mehr als zehn Prozent Gegenstimmen und Enthaltungen gelten im Sozialismus chinesischer Prägung bereits als deutlicher Widerspruch.

Einmal, 1992 beim Dreischluchtenstaudamm, gab es rund ein Drittel Gegenstimmen und Enthaltungen, was in diesem Scheinparlament einer kleinen Revolution gleicht. Doch unter dem seit 2012 zunehmend autoritär regierenden Partei- und Staatschef Xi Jinping hat die Abstimmungsdisziplin wieder sehr stark zugenommen.

Es verwundert daher kaum, dass der aktuelle Volkskongress am letzten Tag seiner jährlichen Tagung in Peking die Pläne für ein neues Nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong mit nur einer Gegenstimme sowie sechs Enthaltungen angenommen hat: 2878 Delegierte stimmten für das Vorhaben, das außerhalb Chinas äußerst umstritten ist.

Was beschlossen die Delegierten?

Genau genommen haben die Delegierten das Gesetz noch nicht beschlossen, sondern den Ständigen Ausschuss des Volkskongresses damit beauftragt, ein Sicherheitsgesetz für Hongkong zu erlassen. Das könnte in dessen nächster Sitzung Ende Juni geschehen.

Die exakte Ausgestaltung des Gesetzes ist noch nicht klar, der Rahmen ist aber gesetzt: Es wird sich gegen „subversive“, „separatistische“ und „terroristische“ Aktivitäten in Hongkong richten und diese unter Strafe stellen. Das sind alles Begriffe, mit denen die chinesische Regierung zuletzt die Aktivitäten der Hongkonger Demokratiebewegung belegt hatte. Das Gesetz sieht auch die Errichtung eines eigenen chinesischen Sicherheitssystems in der Sonderverwaltungszone vor, das dann parallel zu den Hongkonger Polizeibehörden existieren würde.

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Was bedeutet das für Hongkong?

„Während die USA einst hofften, dass ein freies und gedeihendes Hongkong ein Vorbild für das autoritäre China abgeben könnte, wird nun klar, dass China Hongkong nach seinem eigenen Beispiel gestaltet“, sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Mittwoch in einer Mitteilung an den US-Kongress.

Die Stadt besitze nicht mehr den 1997 von China zugesicherten Autonomiestatus. Seit ihrer Rückgabe hatte die ehemalige britische Kronkolonie unter dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ besondere Rechte wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit genossen. Nun wird mit dem Gesetz auch das semidemokratische Parlament der Sonderverwaltungszone übergangen.

Ob das wirklich so einfach geht, darüber streiten in Hongkong die Juristen. Die Demonstranten aber, die seit Juni 2019 gegen einen größeren Einfluss Pekings protestieren, fürchten, dass das Gesetz sogar rückwirkend gegen sie angewendet werden könnte. Plötzlich könnten ihre Aktivitäten oder Äußerungen in den Sozialen Medien strafbar sein. Das Gesetz gilt deshalb bei westlichen Beobachtern als das Ende des freien Hongkongs. Verlöre die Stadt ihre Sonderrechte, wäre sie nur noch eine von vielen festlandchinesischen Millionenstädten.

Welche Folgen hat das für den Finanzstandort Hongkong?

Hongkong dient bislang als Plattform für den Kapitalfluss nach und aus China. Die Staatsbanken Chinas profitieren davon genauso wie die internationalen Großbanken, etwa UBS, Deutsche Bank, Citibank oder die US-Investmentbank Goldman Sachs. Zuletzt hatten die anhaltenden Proteste dazu geführt, dass sich internationale Investoren vermehrt etwa in Singapur nach Alternativen umgesehen haben. Doch für das Kapital der Festlandchinesen bleibt Hongkong ein wichtiges Fenster zu den westlichen Finanzzentren.

Allerdings hat China zuletzt auch daran gearbeitet, Ersatz für den Finanzplatz Hongkong zu schaffen. Städte wie Shenzhen oder Schanghai sind innerhalb Chinas zu bedeutenden Finanzplätzen herangewachsen und könnten durch die zuletzt von Peking eingeleiteten Finanzmarktreformen auch international an Bedeutung gewinnen. Zudem tragen auch die sozialen Probleme in Hongkong, die durch die Coronakrise noch zugenommen haben, dazu bei, dass die Stadt als Standort für die internationale Finanzbranche an Attraktivität verliert.

Welche Motive hat Peking?

Peking musste sich entscheiden, schreibt der italienische Sinologe Francesco Scisi auf Twitter: „Entweder es verliert Hongkong als Plattform für die eigene Finanzwirtschaft oder es lässt zu, dass Hongkong zum Sprungbrett für eine chinesische Revolution wird.“

Es habe sich für den Verlust der Plattform entschieden, glaubt Scisi. Mit dem Gesetz signalisiert Peking nach außen, dass die Lage in Hongkong allein Sache der chinesischen Regierung ist und es keine Einmischung aus dem Ausland duldet. Peking sieht auch keinen Widerspruch zum Prinzip „ein Land, zwei Systeme“. Im Gegenteil sagte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang am Donnerstag, das Gesetz diene der „beständigen Umsetzung“ dieses Grundsatzes und es werde „langfristig Stabilität und Wohlstand“ in Hongkong sichern.

Peking sieht sich zum Schutz der Volksrepublik auch legitimiert, das Sicherheitsgesetz in Hongkong per Ausrufung in Kraft treten zu lassen. Die Zentralregierung bezieht sich dabei auf die Artikel 31 und 62 der Verfassung der Volksrepublik. Die Autonomie der Sonderverwaltungszone werde damit nicht angetastet.

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Wie reagieren die USA?

Die USA haben bereits eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats verlangt. Und sie kündigen ökonomische und finanztechnische Strafmaßnahmen an. Dies geschieht so umfassend und zügig, als habe die Trump-Regierung antizipiert, dass China die Lähmung der Weltpolitik durch Corona nutzen wolle, um Hongkongs Freiheiten einzuschränken, schreibt die „Washington Post“. Bereits vor dem Beschluss des Volkskongresses habe Trump gedroht, US-Rentenversicherungsfonds davon abzuhalten, in chinesische Unternehmen zu investieren.

Der US-Senat bereitetet ein Gesetz vor, demzufolge chinesische Aktiengesellschaften nur noch dann an der New Yorker Börse und im Börsenindex Nasdaq gelistet werden, wenn sie eine weitgehende Transparenz über ihre Bilanzen, Eigentumsverhältnisse und Buchprüfungsberichte garantieren.

Der Kongress droht zudem mit Sanktionen gegen chinesische Banken. In der Summe würden die Maßnahmen China den Zugang zu einem von den USA dominierten Finanzsystem erschweren und dollarbasierte Geschäfte für chinesische Firmen schwieriger machen.

Auch China habe offenbar diese Risiken vorhergesehen, schreibt die „Washington Post“ weiter. Sie zitiert Warnungen des chinesischen Finanzministers Lou Jiwei, der chinesische Unternehmen seit Wochen auf einen „Finanzkrieg“ einstimme, der ihren Zugang zu Dollars und zum Weltmarkt behindern könne.

Der „Technologiekrieg“ dehne sich auf das Investment aus, habe zudem Wang Huiyao gewarnt, Präsident eines Thinktanks für Globalisierungsfragen in Peking. Da hätten die USA wegen ihres Finanzsystems einen Vorteil gegenüber China. Aber das werde nicht ewig so bleiben. China müsse eigene Finanzsysteme ausbauen. Und Chris Patten, der letzte britische Gouverneur Hongkongs, forderte, die Entwicklung in Hongkong zum Thema des für Juni geplanten G-7-Gipfels in den USA zu machen.

Wie verhält sich die Bundesregierung?

Aus Berlin kamen am Donnerstag mahnende Worte: Das hohe Maß an Autonomie Hongkongs dürfe nicht ausgehöhlt werden, darüber gebe es Einigkeit in der EU, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD). „Meinungs- und Versammlungsfreiheit und auch die demokratische Debatte in Hongkong müssen auch in Zukunft respektiert werden.“

Auf der Klaviatur der internationalen Diplomatie sind das eher leise Töne, nicht einmal die in anderen Fällen oft geäußerte „Sorge“ brachte der Minister zum Ausdruck. Als die Bundeskanzlerin am Mittwoch, also nur einen Tag vor der Entscheidung in Peking, in einer Rede auch über das Verhältnis zu China sprach, erwähnte sie Hongkong und das geplante Sicherheitsgesetz mit keinem Wort.

Die EU habe ein „großes strategisches Interesse“, das Verhältnis zu China „aktiv zu gestalten“, sagte Angela Merkel bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der geplante Gipfel mit China im September gilt als einer der wichtigsten Termine der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Um das bilaterale Verhältnis nicht zu gefährden, hält sich die Kanzlerin seit längerer Zeit mit offener Kritik an der Führung in Peking zurück.

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