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Bei seinem Amtsantritt am 2. April 2018 war die Hoffnung auf Frieden groß, heute regiert unter Premier Abyi Ahmed die Gewalt in Äthiopien.
© AFP/Phill Magakoe

Ein Friedensnobelpreisträger im Krieg: Ist der äthiopische Premier Abiy Ahmed eine Enttäuschung?

An diesem Freitag ist der äthiopische Premier Abiy Ahmed drei Jahre im Amt – in seinem Land regiert die Gewalt. Der Konflikt zieht Spuren bis nach Deutschland.

Die Freude über den neuen Premier war so groß, dass sie 5000 Kilometer weit zu spüren war. Als im Herbst 2018 der äthiopische Regierungschef Abiy Ahmed nach Frankfurt am Main reiste, wurde er von 20000 Menschen begeistert empfangen. Aus ganz Europa kamen Äthiopierinnen und Äthiopier, schwenkten die grün-gelb-roten Flaggen ihres Landes und jubelten ihrem Star zu. Denn Abiy – in Äthiopien ist der Vorname die förmliche Anrede – öffnete sein bis dahin diktatorisch regiertes Land im Eiltempo, entließ politische Gefangene und sorgte für Pressefreiheit. Für die Aussöhnung mit dem verfeindeten Nachbarn Eritrea erhielt er 2019 den Friedensnobelpreis.

An diesem Freitag jährt sich Abiys Amtsantritt zum dritten Mal. Die grenzenlose Begeisterung für den 44-Jährigen ist allerdings verflogen. Stattdessen wird auf deutschen Straßen gegen Abiy demonstriert, mit Slogans wie „Stopp das Töten!“. Der Grund: In Äthiopien regiert die Gewalt. Fast zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht, in der nördlichen Tigray-Provinz wird mit schweren Waffen gekämpft, in den Städten tobt der Mob – alles unter den Augen eines Friedensnobelpreisträgers. Ist der junge Premier eine Enttäuschung?

Die Antwort darauf hängt davon ab, wen man fragt. Für die einen ist er ein gefallener Friedensengel, der sich zum Feldherrn gewandelt hat. Er sei Opfer, nicht Täter, betonen andere. Längst ist der Konflikt in Europa angekommen; wird von Lobbyisten und Aktivisten ausgetragen. Bis in den Bundestag zieht sich der Streit. Es ist ein Lehrbeispiel dafür, wie regionale Konflikte in der globalisierten Welt über Landesgrenzen hinweg wirken – und wie eng Fortschritt und Backlash zusammenliegen können.

Verstehen die Deutschen den Konflikt nicht?

Gebre Tesfaye war dabei, als Abiy in Frankfurt bejubelt wurde. Eigentlich heißt Gebre anders, er will aber anonym bleiben. Zu aufgeheizt sei die Stimmung in der äthiopischen Community in Deutschland, sagt er. „Ich bin eigentlich kein besonders politischer Mensch, Abiys Wahl aber hat mich elektrisiert, weil es mit ihm endlich Hoffnung auf Wandel gibt.“ Presseberichte, die den Premier als Hardliner porträtieren, empören Gebre. In Deutschland, so sagt er, habe man den Konflikt in seiner Heimat nicht verstanden.

Tatsächlich ist die Sache kompliziert. Ist der Waffengang in Tigray ein Bürgerkrieg oder eine „Strafaktion“ gegen Terroristen? Sind die Kämpfe zwischen der Regierung und der „Volksbefreiungsfront“ TPLF „siegreich beendet“, ohne zivile Opfer, wie Abiy behauptet? „Es kommt weiter zu Kampfhandlungen“, heißt es im Auswärtigen Amt. Fest steht: Seit November, als die TPLF illegale Wahlen abhielt und Abiy Truppen nach Tigray schickte, ist viel Blut geflossen. „Eine Schande“, sagt der Buchautor Prinz Asfa-Wossen Asserate, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie. „Der Militäreinsatz ist aber kein Krieg gegen unsere Brüder und Schwestern in Tigray, sondern ein Kampf gegen die TPLF.“

Ein junger Mann im äthiopischen Mekele steht vor einer Propaganda-Tafel der TPLF.
Ein junger Mann im äthiopischen Mekele steht vor einer Propaganda-Tafel der TPLF.
© AFP/EDUARDO SOTERAS

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Fast 30 Jahre herrschte die TPLF in Äthiopien, unterdrückte die Bevölkerung, beutete das Land aus – bis Abiy an die Macht kam. Der Premier stammt selbst aus dem Staatsapparat, hatte zuvor beim Geheimdienst Karriere gemacht. Doch mit dessen Methoden brach er – vorerst. Er predigte Frieden und Zusammenhalt, zum Unmut der alten Eliten. „Es war zwar richtig, dass er seine Reformen konsequent umgesetzt hat“, sagt der Demokratie-Aktivist Jonas Berhe von der Gruppe „United4Eritrea“. Doch als „unerwünschten Nebeneffekt“ habe Abiy so ausgerechnet die Hardliner gestärkt.

Seither flammt immer wieder die Gewalt auf. Im Tigray-Konflikt kämpfen heute auch Soldaten aus dem Nachbarland Eritrea. Es gibt Berichte über Massaker, Folter und Vergewaltigungen. Anderenorts werden Christen gelyncht. Im November schaltete Abiy das Internet ab, ließ die Pressefreiheit einschränken, verweigerte humanitäre Hilfe. Im Februar sagte er UN-Vertretern schließlich den Zugang zu seinem Land zu.

Friedensangebote abgelehnt

Die TPLF verbreitet indes Propaganda. „Die Tigray sind gut vernetzt in Deutschland, haben gute Verbindungen zu Menschenrechtsorganisationen und verstehen, diese gegen die äthiopische Regierung zu mobilisieren“, sagt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Der CDU-Politiker fürchtet, der Tigray-Konflikt werde instrumentalisiert, um „Abiys Reformpläne zu diskreditieren“.

Die Grünen-Abgeordnete Agniezska Brugger hält dagegen. „Nach wie vor haben viele Hilfsorganisationen keinen echten Zugang in Tigray. Auch die Pressefreiheit bleibt eingeschränkt“, kritisiert sie. Von Abiys Rolle als Versöhner sei nicht viel übrig. „Es braucht auch weiter internationalen Druck auf Abiy, etwa über ein Waffenexportverbot.“ Der Demokratie-Aktivist Berhe sagt: „Krieg zu führen, Bürgerrechte und Pressefreiheit einzuschränken – das alles kehrt die Friedensbemühungen ins Gegenteil.“

Ist da eine politische Lösung überhaupt noch möglich? Die TPLF habe jedes Friedensangebot der Regierung abgelehnt, betont Prinz Asfa-Wossen. Die einzige Lösung sei ein „wahrer Föderalismus“, mit Anerkennung der Verschiedenheiten im Land. Das umzusetzen sei die Aufgabe des Premiers, wenn der die für Juni angesetzten Wahlen besteht. „Ich hoffe, dass Abiy es schafft, das Land zu einen“, sagt der Großneffe des letzten Kaisers. „Denn das ist unser aller Traum: ein demokratisches Äthiopien.“

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