Neue Verhandlungen mit dem Iran: Ist das Atomabkommen noch zu retten?
Nach monatelanger Unterbrechung verhandelt der Westen wieder mit dem Iran über das Atomprogramm. Was für einen Deal spricht – und was dagegen.
Ebrahim Raisi hat lange gewartet, bis er einer Rückkehr an den Verhandlungstisch zustimmte – und nun glaubt er, den Westen vor der neuen Runde der Atomgespräche in der Hand zu haben. Denn die Anreicherung von Uran läuft auf Hochtouren und könnte dem Regime nach US-Schätzungen innerhalb weniger Wochen genug Material für eine Atombombe liefern.
Der Hardliner Raisi sieht daher keinen Grund für Kompromisse. Deshalb überwiegt aufseiten des Westens vor Verhandlungsbeginn in Wien an diesem Montag Pessimismus. Allerdings könnte sich Raisi verrechnet haben, denn der Iran hat viel zu verlieren. Die Wirtschaft seines Landes steuert auf den Abgrund zu. Eine beginnende Wiederannäherung an arabische Staaten könnte helfen – doch dafür müsste Raisi von seiner betonharten Haltung in Wien Abstand nehmen.
Amerikas Angebot
Ziel der Wiener Gespräche ist die Wiederbelebung des Atomvertrags aus dem Jahr 2015, der den Bau einer iranischen Atombombe verhindern sollte und dem Iran im Gegenzug für strikte Kontrollen einen Abbau internationaler Wirtschaftssanktionen versprach. Seit der damalige US-Präsident Donald Trump den Deal 2018 aufkündigte, treibt der Iran die Urananreicherung voran.
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Vom inzwischen erreichten Niveau von 60 Prozent ist es technisch nur ein kleiner Schritt zur 90-prozentigen Anreicherung, die für eine Nuklearwaffe gebraucht wird. Zudem schränken die staatlichen Stellen die Kontrollmöglichkeiten der internationalen Atomenergiebehörde im Land ein.
Trumps Nachfolger Joe Biden bietet dem Iran Sanktionserleichterungen an, verlangt allerdings, dass Teheran die hohe Anreicherung einstellt. Sechs Verhandlungsrunden mit Raisis Vorgänger-Regierung im Frühjahr brachten kein Ergebnis. Der heutige Präsident, der einer Einigung mit dem Westen skeptisch gegenübersteht, ließ sich nach seinem Wahlsieg im Juni viel Zeit, bis er den neuen Verhandlungen zustimmte.
Auch Raisis Mentor, Revolutionsführer Ali Chamenei, traut dem Westen nicht über den Weg.
Teherans Selbstbewusstsein
Die Urananreicherung läuft für den Iran so gut, dass Teheran glaubt, damit auf den Westen Druck ausüben zu können. Doch diese Rechnung geht möglicherweise nicht auf. Wenn die Machthaber versuchen sollten, die Wiener Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um ihr Atomprogramm zu beschleunigen, werde es Konsequenzen geben, warnte der US-Verhandlungsführer in Wien, Robert Malley, in der BBC.
Das Arsenal der westlichen Strafmaßnahmen reicht von verschärften Sanktionen über Sabotageaktionen im Iran bis zu Militärschlägen.
Eine solche Eskalation könnte die Islamische Republik ins Wanken bringen. Schon jetzt kämpft das Land mit der höchsten Inflation seit fast 30 Jahren, die bei Nahrungsmitteln inzwischen 60 Prozent erreicht hat. Auch die Pandemie, massive Umweltzerstörungen, Misswirtschaft und Armut lassen die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigen.
Das Regime riskiert deshalb neue Unruhen. Kurz vor den Wiener Verhandlungen ging die Polizei gewaltsam gegen Demonstranten vor, die wegen des Wassermangels in der Stadt Isfahan ihrem Unmut Luft machten. Eine landesweite Protestwelle vor zwei Jahren wurde zwar niedergeschlagen, schuf aber neue Verbitterung: Hunderte Menschen wurden von den Sicherheitskräften erschossen.
Eine Offerte der Araber
Vor drei Jahren unterstützten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) noch Trumps Versuch, den Rivalen Iran mit Sanktionen und „maximalem Druck“ in die Knie zu zwingen. Weil Trump scheiterte, schließen sich die Araber nun Bidens Initiative an.
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Erst vor einigen Tagen erklärten sie ihre Unterstützung für das Ziel, den Iran zur Rückkehr zum Atomvertrag zu bewegen. Saudi-Arabien und die VAE versuchen in direkten Gesprächen mit Teheran, das Regime stärker einzubinden, um es zu zügeln. Für die Islamische Republik könnte die Offerte der reichen Araber dringend benötigte Impulse für die Wirtschaft bringen.
Voraussetzung ist jedoch, dass sich Raisi in Wien für eine einvernehmliche Lösung einsetzt. Eine atomare Aufrüstung des Iran wollen Saudis und Emiratis ebenso wenig hinnehmen wie die USA oder Israel, der neue Partner der Araber in der Region.
Jerusalems Bedenken
Israel als entschiedenster Gegner des Mullah-Regimes steckt wegen der Wiener Gespräche in einer Zwickmühle. Denn sie sind für das so wichtige Verhältnis zu Amerika eine Belastungsprobe. Biden und sein Team haben Jerusalem mehrfach wissen lassen, dass der jüdische Staat bitte alles unterlassen solle, was die Verhandlungen belasten oder gar infrage stellen könnte.
Zu den unerwünschten israelischen Störmanövern gehören nicht zuletzt gezielte Angriffe auf Irans Atomprogramm. Der „New York Times“ zufolge haben Spitzenbeamte der US-Regierung mit deutlichen Worten vor „kontraproduktiven“ Attacken gewarnt. Derartige Schläge hätten den nuklearen Ambitionen der Islamischen Republik nicht wirklich geschadet. Im Gegenteil. Und die Angriffe ermöglichen es den Iranern, sich als Opfer israelischer Aggressionen darstellen.
Trotz der deutlichen Kritik des Verbündeten USA lassen Israels Regierende um Ministerpräsident Naftali Bennett keine Gelegenheit aus, den eigenen Kurs zu verteidigen. Dabei setzt der jüdische Staat – der sich existenziell vom Iran bedroht fühlt – darauf, notfalls im Alleingang gegen den sich atomar bewaffnenden Feind vorzugehen, auch ohne Zustimmung der Vereinigten Staaten.
Erst vor wenigen Tagen polterte Bennett, sein Land fühle sich bei einer Rückkehr zum Atomabkommen nicht an dieses gebunden. „Wir werden uns unsere Handlungsfreiheit bewahren“, sagte der Nachfolger von Benjamin Netanjahu bei einer Sicherheitskonferenz. Und: „Es kann auch mit unseren besten Freunden zu Meinungsverschiedenheiten kommen.“
Noch deutlicher wurde der frühere US-Botschafter Michael Oren in einem Beitrag für die „Times of Israel“. Dort schrieb er: „Die Vereinigten Staaten können sicherlich mit einem Iran leben, der die Fähigkeit hat, eine Bombe zu bauen, es aber nicht tut. Israel kann dies nicht.“