„Kapitulation vor Antisemitismus“: Israels Präsident entsetzt über Warnung vor Kippa-Tragen
Der deutsche Antisemitismusbeauftragte hält Kippa-Träger für gefährdet. Der Zentralrat der Juden bekräftigt die Aussagen. Lea Rosh spricht von "einer Schande".
Israels Präsident Reuven Rivlin hat entsetzt auf die Warnung des deutschen Antisemitismusbeauftragten vor dem Tragen der Kippa in Deutschland reagiert. Die Äußerungen von Felix Klein hätten ihn "schockiert", sagte Rivlin am Sonntag. Der israelische Präsident hob die "Verpflichtung" der Bundesregierung für die jüdische Gemeinde in Deutschland hervor und warnte sie davor, vor Antisemiten zu "kapitulieren".
"Ängste um die Sicherheit deutscher Juden sind eine Kapitulation vor dem Antisemitismus und ein Eingeständnis, dass Juden auf deutschem Boden erneut nicht sicher sind", sagte Rivlin. "Wir werden uns niemals unterwerfen, wir werden niemals den Blick senken und wir werden auf Antisemitismus niemals mit Defätismus reagieren", fügte er hinzu. Dasselbe erwarte und verlange Israel auch von seinen Verbündeten.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt, er könne "Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen". Klein begründete die Entwicklung mit einer "zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung".
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, pflichtete ihm bei, dass Juden in einigen deutschen Großstädten tatsächlich "potenziell einer Gefährdung ausgesetzt sind, wenn sie als Juden zu erkennen sind".
"Insgesamt neige ich nicht zum Dramatisieren, doch die Lage hat sich insgesamt wirklich verschlechtert", sagte Schuster der "Welt am Sonntag". Das aggressive politische Klima wirke sich aus. "Wir fühlen uns von den Sicherheitsbehörden zwar ausreichend geschützt, aber es wird Zeit, dass sich in der Gesellschaft der Wind wieder dreht."
Zu Kleins Empfehlung sagte Schuster der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist seit längerem eine Tatsache, dass Juden in einigen Großstädten potenziell einer Gefährdung ausgesetzt sind, wenn sie als Juden zu erkennen sind." Darauf habe er bereits vor zwei Jahren hingewiesen, sagte er. "Es ist daher zu begrüßen, wenn diese Situation auch auf höchster politischer Ebene mehr Aufmerksamkeit erfährt." Die Bekämpfung des Antisemitismus müsse sich die ganze Gesellschaft zu eigen machen, betonte er. "Es ist höchste Zeit."
Lea Rosh, die Vorsitzende des Förderkreis' Denkmal für die ermordeten Juden Europas, bekräftigte Kleins Worte am Sonntag ebenfalls: "Felix Klein hat eine furchtbare Wahrheit ausgesprochen. Diese Wahrheit nicht auszusprechen, hieße das Problem zu ignorieren oder schönzureden", sagte Rosh. Die Wahrheit sei, dass es in Deutschland viele Gebiete gebe, "in denen Jüdinnen und Juden 74 Jahre nach der Shoah nicht mehr sicher sind. Das ist eine Schande." Sie forderte "eine engagiertere Politik: Mehr Aufklärung, mehr Polizei und eine härtere Strafverfolgung, um den Schutz von Jüdinnen und Juden an jedem Fleck in Deutschland sicherzustellen. Juden müssen ihre Kippa öffentlich tragen dürfen, sonst sind wir bald so weit, dass Juden sich verstecken müssen."
Klein wollte "aufrütteln"
2018 war die Zahl antisemitischer Straftaten bundesweit stark angestiegen. Der jüngste Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität wies 1799 Fälle aus, 19,6 Prozent mehr als 2017.
Der Antisemitismusbeauftragte Klein sagte der Deutschen Presse-Agentur, er habe mit seiner Aussage aufrütteln wollen. "Mit meinem provozierenden Statement, ich könne - anders als früher - Juden nicht empfehlen, überall und zu jeder Zeit in Deutschland eine Kippa zu tragen, wollte ich bewusst eine Debatte über die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft in unserem Land anstoßen. Natürlich bin ich der Auffassung, dass es nirgendwo in Deutschland No-Go-Areas für Juden oder Angehörige von anderen Minderheiten geben darf."
Politik und Gesellschaft müssten die Fehlentwicklungen erkennen, auf die er hingewiesen habe, und dürften diese keinesfalls hinnehmen, so Klein weiter. "Ich möchte, dass wir den Kampf gegen Antisemitismus als Aufgabe für uns alle begreifen."
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte es "nicht hinnehmbar" genannt, wenn Juden ihren Glauben in Deutschland verstecken müssten. "Der Staat hat zu gewährleisten, dass die freie Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich ist."
Auch der Beauftragte der bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle, erklärte: "Es darf keine No-Go-Areas in Deutschland für Jüdinnen und Juden geben." Ähnlich äußerte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im WDR: "Ich kann Jüdinnen und Juden nur ermuntern, sich nicht einschüchtern zu lassen und stattdessen stolz und erhobenen Hauptes durch Deutschland zu gehen - selbstverständlich auch mit Kippa."
Die Kippa, eine kleine kreisförmige Mütze, wird von jüdischen Männern als sichtbares Zeichen ihres Glaubens traditionell den ganzen Tag lang getragen.
Der Publizist Michel Friedman bezeichnete die Äußerungen Kleins als Offenbarungseid des Staates. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Staat müsse gewährleisten, dass Juden sich überall angstfrei zu erkennen geben können. (AFP, dpa)