Kämpfe in Gaza: Israel tötet gezielt militärische Hamas-Führer
Nach dem Scheitern der Gespräche in Kairo zwischen Israel und der Hamas hat das israelische Militär offenbar die Praxis der gezielten Tötungen wieder aufgenommen. Linke in Israel kritisieren das Vorgehen der Regierung.
Israels Regierung und das Militär konzentrieren sich nach dem Scheitern der Gespräche über eine Waffenruhe mit der Hamas nun offenbar auf das gezielte Töten deren militärischen Führung. Noch vor Morgengrauen schlugen am Donnerstag Raketen der Luftwaffe in einem Wohnhaus in Rafah ein. Sie töteten drei Top-Kommandeure der Hamas in ihrem Versteck im südlichen Gazastreifen. Von dem vierstöckigen Haus blieben nur Trümmer übrig. Im israelischen Rundfunk wurde der Tod von Mohammed Abu Schimala (41), Raed al-Attar (40) und Mohammed Barhum (45) als großer Erfolg des Geheimdienstes gefeiert. Der militärische Hamas-Arm, die Kassam-Brigaden, kündigte Rache für das "Verbrechen" Israels an.
Ein Rundfunk-Kommentator sprach von einem "sehr schweren Schlag für die militärische Spitze der Hamas im Süden des Gazastreifens". Es sind die bisher ranghöchsten Militärführer, deren Tod die radikal-islamische Organisation seit Beginn des Gaza-Kriegs am 8. Juli bestätigt hat.
Al-Attar war nach israelischen Informationen für die Entführung des Soldaten Gilad Schalit im Jahre 2006 und mehrere Anschläge auf Israel verantwortlich. Er soll auch zentral am Waffenschmuggel in den Gazastreifen beteiligt gewesen sein. Schimala galt als einer der wichtigsten Architekten der Angriffstunnel im Grenzbereich zu Israel. "Niemand ist gefeit", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Militante Palästinenserführer seien ein "legitimes Ziel".
Die Angriffe auf den Hamas-Militärchef Mohammed Deif am Dienstagabend sowie auf das Haus in Rafah zeigten, dass Israel die Politik der gezielten Tötungen wieder aufgenommen habe, sagte der israelische Militärexperte Amos Harel. Nach dem letzten Gaza-Krieg im Jahre 2012 hatte Israel sich im Rahmen der Vereinbarungen über eine Waffenruhe mit der Hamas dazu verpflichtet, diese Praxis zu beenden.
"Hamas will einen Abnutzungskrieg? Bitteschön!"
Die Zeitung "Haaretz" kritisierte am Donnerstag in ihrem Leitartikel, gezielte Tötungen seien keine Lösung. "Der einzige Ausweg aus dem Gazakonflikt und der Isolation Israels ist die Diplomatie", betonte das linksliberale Blatt.
Hamas sucht nach dem Angriff in Rafah fieberhaft nach Verrätern in den eigenen Reihen und tötete am Donnerstag sofort einige Verdächtige. "Der israelische Geheimdienst ist offenbar tief in den militärischen Arm der Hamas eingedrungen", meint Harel. Der Tod der Kommandeure erschüttere die Organisation und versetze ihrer Kampfmoral einen Dämpfer.
Der frühere Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, Amos Jadlin, erklärte den Entscheidungsprozess vor gezielten Tötungen. "Bei dem Abzielen auf die Hamas-Führung gibt es gewisse Einschränkungen - nur wenn man verlässliche Geheimdienstinformationen hat und der mögliche Kollateralschaden minimal ist, schickt man die Luftwaffe los." Nach der Drohung von Hamas mit einem Zermürbungskrieg versuche Israel nun, den Spieß umzudrehen, sagte Jadlin, der heute das Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv leitet. "Ihr wollt einen Abnutzungskrieg - bitte schön!" Israel sitze dabei letztlich am längeren Hebel. Die Sprengung von Tunneln im Grenzgebiet sowie die Zerstörung und das Abfangen von Raketen durch Israel habe der Hamas bereits wichtige strategische Vorteile genommen. Angesichts der vielen Toten und der verheerenden Zerstörungen im Gazastreifen falle es der Organisation auch immer schwerer, der eigenen Bevölkerung zu erklären, warum der Krieg fortgesetzt werden müsse.
"Die Frage ist, ob sie bereits geschwächt genug sind, um bei Verhandlungen eine angemessene Vereinbarung (mit Israel) zu treffen", sagte Jadlin. Er geht auf jeden Fall davon aus, "dass sie bald wieder indirekte Gespräche aufnehmen werden". Aus Israels Sicht müsse dabei vor allem gewährleistet werden, "dass die Hamas ihre militärischen Fähigkeiten nicht binnen zwei Jahren wiederaufgebaut hat".
Beim Angriff auf Mohammed Deif sterben offenbar dessen Frau und zwei Kinder
Mohammed Deif, Kommandant der Izz-a-Din-al-Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas, hat wohl auch den fünften Anschlag auf seine Person von Dienstagnacht überlebt. Allerdings starben nach palästinensischen Angaben Deifs Frau, sein zweijähriger Sohn und seine Tochter. Der Angriff auf Deifs Haus bedeutet, dass Israel exakte Informationen über seine Bewegungen hatte und auch, dass er glaubte, er könne sein unterirdisches Versteck verlassen.
Gesehen hat ihn allerdings seit acht Jahren niemand außer dem innersten Kreis der Hamas-Führung und seiner Familie. Daher wissen selbst die israelischen Geheimdienste nicht, wie der fast 50-jährige "palästinensische Held und das Vorbild für unsere Jungen" aussieht. Mindestens zweimal wurde er bei israelischen Raketenattacken schwer verletzt: Er verlor ein Auge, ein Bein und Teile eines Armes und soll sich nur noch in einem Rollstuhl fortbewegen können. Israels "Feind Nr. 1" bestimmt, wann und wohin Raketen abgeschossen werden, und zusammen mit dem im Exil in Katar lebenden Hamas-Politbürochef Khaled Mashaal entscheidet er – offenbar ohne Rücksicht auf die politische Führung in Gaza –, ob weitergekämpft wird oder nicht. Sein Ziel: "Wir werden ganz Palästina in eine Hölle verwandeln, um so alle Zionisten zu vertreiben."
Mohammed Deif stammt aus einer religiösen Flüchtlingsfamilie in Süden des Gazastreifens, galt als Ziehsohn des legendären Bombenbauers und ersten Kommandanten der Hamas-Brigaden, Yehya Ayash, dem der israelische Geheimdienst 1996 per Handy-Bombe tötete. Deif trat die Nachfolge des "Ingenieur" an und rächte dessen Tod mörderisch: Für mindestens drei Entführungen und Ermordungen von Soldaten und die Tötung von 52 Zivilisten bei Anschlägen unmittelbar nach Ayashs Tod macht Israel Deif verantwortlich.
Heute soll er nicht nur die Kassam-Brigaden kommandieren, sondern auch die Raketen-Eigenproduktion eingeleitet und organisiert haben. Auch den Tunnelbau für die unterirdischen Verbindungen unter Gaza-Stadt und die Verstecke der Kämpfer sowie den Bau der „Angriffstunnel“ unter der Grenze zu Israel für Terrorattacken und Entführungen soll er geleitet haben.