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Sie haben sich durchgesetzt. Irland hat sich für einen neuen Umgang mit Abtreibungen entschieden.
© Paul Faith/AFP

Abstimmung zum Abtreibungsrecht: Irland ist endlich aus dem Mittelalter erwacht

Die Entscheidung in Irland für ein neues Abtreibungsrecht erinnert auch unsere Kolumnistin an schreckliche Geschichten und eine unvergessene Debatte in Deutschland.

Man denkt immer, die europäischen Bürger seien mehr oder weniger gleich vor dem Gesetz. Man ist sicher, bestimmte Rechte seien ein für alle Mal erkämpft worden. Bis ein Referendum auf einer kleinen, grünen Insel uns daran erinnert, dass einige Länder nicht ganz auf der Höhe der Zeit sind. Die Debatte um das Abtreibungsrecht in Irland erinnert uns an die heftigen Kämpfe in unseren eigenen Ländern.

Von all den Ereignissen, die ich in Deutschland verfolgt habe, ist mir die Bundestagsdebatte um den Paragraf 218 im Jahr 1992 besonders in Erinnerung geblieben. Die BRD brauchte erst den Anstoß durch die DDR, um ihre Rechtsprechung zu liberalisieren und sie der französischen anzugleichen: Schwangerschaftsabbruch ist in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nicht strafbar.

Das frisch vereinigte Parlament tagte noch in Bonn. Stundenlang lauschte ich auf meinem Sitz den erhitzten Gemütern beider Seiten. In der Ferne läuteten katholische Kirchenglocken, um die Abgeordneten zur Ordnung zu rufen. Ich erinnere mich an Abgeordnete aus der ehemaligen DDR, die noch Neulinge in der Politik waren. Mutig verteidigten sie die liberalere Gesetzgebung ihres kleinen Landes, das gerade von der mächtigen BRD geschluckt worden war.

Ich musste an all die schrecklichen Geschichten denken, die sich die Frauen der Generation meiner Mutter hinter vorgehaltener Hand erzählten: von illegalen Abtreibungen auf dem Küchentisch, von den betroffenen Frauen und Ärzten, die mit Gefängnisstrafen rechnen mussten. Verzweifelte junge Frauen, die versuchten, mit allen Mitteln ihr Kind „wegzumachen“: indem sie es mit einer Stricknadel ausschabten, indem sie vom Schrank sprangen oder gefährliche Mixturen zu sich nahmen. Man sprach von „Engelmacherinnen“ – ein Wort, das einem Märchen entsprungen schien.

In Wirklichkeit bezeichnete es Frauen, die illegale Schwangerschaftsabbrüche vornahmen, unter zweifelhaften hygienischen Bedingungen und ohne Anästhesie. In den besten Familien gab es Geheimnisse um illegale Abtreibungen. Jede Menge Tragödien, widerwärtige Mauscheleien und lebensbedrohliche Situationen, denen erst die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs 1974 in Frankreich ein Ende setzte. Nicht zuletzt dank des unermüdlichen Kampfes von Simone Veil, die damals Gesundheitsministerin unter Giscard d’Estaing war. Die Abstimmung war von stürmischen und oft hasserfüllten Debatten begleitet. Ganz ähnlich wie jetzt in Irland … 44 Jahre später.

"Es ist ein Drama und wird immer ein Drama bleiben"

Irland hat in Sachen Frauenrechte noch lange im Mittelalter gelebt. Sich scheiden zu lassen war erst ab 1995 möglich! Und was für entsetzliche Geheimnisse kamen jetzt ans Licht: Der Säuglingshandel in den Magdalenen-Wäschereien für „gefallene Mädchen“ in den 50er Jahren oder das berüchtigte „St. Mary’s Mother and Baby Home“ der kleinen Stadt Tuam, wo hunderte „Früchte der Sünde“ an Vernachlässigung starben. Lange Zeit wurde über diese Gräuel geschwiegen.

Simone Veils Worte vor dem französischen Parlament 1974 sind aktueller denn je: „Lassen Sie mich Ihnen zuallererst erklären, wovon Frauen zutiefst überzeugt sind“, sagte die Ministerin und Auschwitzüberlebende, „und ich entschuldige mich, dass ich es vor dieser fast ausschließlich aus Männern bestehenden Versammlung tue: Keine Frau entschließt sich leichten Herzens zum Schwangerschaftsabbruch. Man muss den Frauen nur zuhören. Abtreibung ist ein Drama und wird immer ein Drama bleiben.“

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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