Irland: Klare Mehrheit für das Recht auf Abtreibung
In der Verfassung ist bisher ein striktes Abtreibungsverbot verankert. Bei einem Referendum stimmte am Freitag nun eine breite Mehrheit für ein Ende des Verbotes.
Bei dem Referendum in Irland hat am Freitag eine breite Mehrheit für eine Liberalisierung des strikten Abtreibungsverbots gestimmt. Laut dem am Samstag veröffentlichten Endergebnis stimmten 66 Prozent der Iren für eine Lockerung der Abtreibungsgesetze, die Beteiligung lag bei 64 Prozent. In Dublin jubelten Anhänger des Rechtes auf Schwangerschaftsabbruch.
"Was wir heute erleben, ist der Höhepunkt einer stillen Revolution, die Irland in den vergangenen zehn bis 20 Jahren durchgemacht hat", sagte Premierminister Leo Varadkar, der die Legalisierungsbefürworter unterstützt hatte, dem Sender RTE. "Die Leute haben gesagt, dass wir eine moderne Verfassung für ein modernes Land wollen und dass wir Frauen zutrauen, dass sie die richtige Entscheidung über ihre eigene Gesundheit treffen."
Varadkar kündigte an, ein neues Abtreibungsgesetz solle bis Ende des Jahres verabschiedet werden. Gesundheitsminister Simon Harris sagte der Nachrichtenagentur AFP, das Regierungskabinett werde bereits am Dienstag über das Thema beraten. Vorgesehen ist, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen straffrei zu stellen. Bei bestimmten Indikationen soll eine Abtreibung bis zur 24. Woche erlaubt sein.
Jubel bei Unterstützern der Reform
Befürworter des Rechtes auf Abtreibung brachen in Jubel aus, als in den Auszählungszentren in der Hauptstadt Dublin die Zwischenergebnisse des Referendums verkündet wurden. Die 71-jährige Ailbhe Smyth von der Bewegung "Zusammen für ein Ja" sagte, die Volksabstimmung sei "ein großer Sieg" und das Zeichen für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, der noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre: "Wir haben endgültig mit der Vergangenheit gebrochen, was für viele Frauen wirklich schwer war."
Laut einer Nachwahlbefragung für die "Irish Times" stimmten 70 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer in Irland für das Ende des Abtreibungsverbots. Auffällig war die Kluft zwischen den Altersgruppen: Während 60 Prozent der über 65-Jährigen gegen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen war, lag bei den jungen Wählern die Zustimmung bei 87 Prozent.
In den Straßen von Dublin zeigten sich Passanten froh über das Ergebnis: "Wir haben uns selbst aus den finsteren Zeiten befreit. Wir sind kein rückwärtsgewandtes Land mehr, wie die Kirche das wollte", sagte die 53-jährige Blumenverkäuferin Catherine Claffey am Samstag. Der 62-jährige John Kelly erklärte: "Ich bin wirklich sehr stolz. Das zeigt, wie fortschrittlich wir sind."
Premierminister Varadkar, der für eine Zustimmung der Wähler zu der Verfassungsänderung geworben hatte, schrieb bereits nach Bekanntwerden der Prognosen auf Twitter: „Es sieht so aus, als würden wir morgen Geschichte schreiben.“
In dem erzkonservativen Land waren fast 3,5 Millionen Bürger aufgerufen, über den achten Zusatzartikel der Verfassung zu entscheiden, der Schwangerschaftsabbrüche strikt untersagt. Das EU-Land ist in der Frage tief gespalten, viele Iren waren bis zuletzt unentschlossen.
Abtreibungen waren in der katholisch geprägten Republik Irland schon immer verboten. Seit einem Referendum im Jahr 1983 hat das strikte Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen sogar Verfassungsrang. Abtreibungen sind selbst bei Vergewaltigung, Inzest oder einer Missbildung des Fötus untersagt. Bei einer Abtreibung drohen Frauen bis zu 14 Jahre Haft. Seit 2013 sind Abtreibungen in seltenen Fällen erlaubt, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Im irischen Parlament gibt es eine Mehrheit für das Ende des Abtreibungsverbots. Auch Regierungschef Leo Varadkar ist dafür. Seit der Einführung des achten Zusatzartikels seien 170.000 Irinnen zum Abtreiben ins Ausland gegangen, sagte er dem Radiosender Newstalk. Das Referendum sei nun eine „Chance“ für eine ganze Generation. Im Falle eines Sieges des Nein-Lagers werde es keine zweite Abstimmung geben.
Die irische Bevölkerung ist gespalten, die Kampagne wurde sehr emotional geführt. Anders als vor dem Referendum 1983 hielt sich die katholische Kirche diesmal zurück – mehrere Skandale um Kindesmissbrauch hatten den Einfluss der einst in Irland übermächtigen Institution zuletzt schwinden lassen.
Nachdem die Iren 2015 für die Einführung der Homoehe gestimmt hatten, ist das Abtreibungsreferendum nun ein weiterer Gradmesser für den großen gesellschaftlichen Wandel in Irland. Die meisten europäischen Länder haben den Schwangerschaftsabbruch nach und nach entkriminalisiert.
Das langsame Abrücken von den strengen Gesetzen in Irland ist eng mit den Namen von Frauen verbunden, die besonders unter diesen Gesetzen zu leiden hatten. Anlass für eine erste Lockerung des Abtreibungsverbots 2013 war die Empörung nach dem Tod der schwangeren Savita Halappanavar, die bei einer Fehlgeburt in der 17. Woche starb. Eine Abtreibung war ihr untersagt worden.
Die Kampagne gegen das Abtreibungsverbot erhielt Auftrieb durch den Fall von Amanda Mellet, die für die Abtreibung eines tödlich missgebildeten Fötus ins benachbarte Großbritannien ausweichen musste. Mellet brachte den Fall vor die UN-Menschenrechtskommission, welche die Angelegenheit als Verstoß gegen die Grundrechte einstufte.
Auf zwölf entlegenen Atlantik-Inseln begann die Abstimmung bereits am Donnerstag, die Wahllokale auf dem Festland sollten bis zum späten Freitagabend geöffnet bleiben. Die Auszählung der Stimmen beginnt am Samstagmorgen. (AFP)