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Arbeit für möglichst viele Geflüchtete wollte das Integrationsgesetz. Doch etwa die Wohnsitzauflage wirkte dem Ziel entgegen.
© imago/photothek

Fünf Jahre Integrationsgesetz: Integration von Staats wegen – Was sie kann und was nicht

Mit einem Gesetz wollte die große Koalition die Integration Geflüchteter erleichtern. Doch ein Teil der Maßnahmen war sogar hinderlich, sagen Migrationsforscher.

Fünf Jahre wird es an diesem Freitag alt: Das „Integrationsgesetz“. Es war eine Reaktion auf den Flüchtlingssommer 2015, die Ankunft von rund 900 000 Geflüchteten, die man zuerst unterbringen, nun aber auch zum Teil der deutschen Gesellschaft machen wollte.

Ein hoher Anspruch, fanden Fachleute schon 2016: „Integration kraft Gesetzes?“ fragte der Konstanzer Migrationsjurist Daniel Thym in einem Aufsatz, und kam zu dem Schluss: Das Gesetz wecke Erwartungen, die es „kaum erfüllen kann“. Es enthalte viele sinnvolle Details, aber das sei es auch: „Einzelheiten, die im Puzzle der Integrationspolitik manchen Akzent setzen, aber keinen neuen Weg vorgeben.“

Sowieso könne Integration nur teilweise staatlich gesteuert werden, gelebt werde sie von der Gesellschaft. Ausgerechnet über so etwas wie „gesellschaftliche Selbstvergewisserung über die Grundlagen des Zusammenlebens“ aber habe das Gesetz „überraschend wenig zu sagen“.

Deutschunterricht, mehr Jobchancen - aber den Wohnort bestimmt der Staat

Das Gesetz stand im Schatten der beiden Asylpakete I und II, die kurz zuvor rasch durchs Parlament gingen und dem Ziel dienten, die Einwanderung nach Deutschland gerade zu begrenzen. Nun ging es um die, die bereits hier waren.

Die wesentlichen Regelungen: Für Flüchtlinge, von denen die Behörden annahmen, dass sie Aussicht aufs Bleiben hätten, verzichtete die Bundesagentur für Arbeit fortan auf die so genannte Vorrangprüfung, die ausschließen sollte, dass für ihren Job auch ein:e EU-Bürger:in infrage käme.

Wer eigentlich das Land hätte verlassen sollen, bekam eine „Duldung“ nach der neuen Drei-plus-zwei-Regel. Er oder sie durfte während der drei Jahre Ausbildung bleiben und zwei weitere Arbeitsjahre danach. Die Sprachkurse, erst 2015 überhaupt für nicht anerkannte Flüchtlinge geöffnet, wurden mit dem Gesetz deutlich aufgestockt.

Zugleich belebte der Gesetzgeber ein altes Instrument wieder, das schon für die Spätaussiedler der deutschen Minderheiten in Osteuropa genutzt wurde, die Ende der 1980er und in den 1990er Jahren in die Bundesrepublik kamen: Die Wohnsitzauflage. Wer Sozialleistungen bezog, durfte den eigenen Wohnsitz nicht frei wählen, er konnte ihm oder ihr zugewiesen werden. Erklärtes Ziel war es schon damals, Ghettos und soziale Brennpunkte zu verhindern.

Warum Geflüchtete zu oft in Gegenden mit viel Arbeitslosigkeit landeten

Die Wohnsitzauflage hält Herbert Brücker, Migrationsökonom an der Humboldt-Universität in Berlin und Leiter der Migrationsabteilung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung an der Bundesagentur für Arbeit (IAB), für den größten Fehler des Integrationsgesetzes: „Die Wohnsitzauflage hat der Integration geschadet“, sagte er dem Tagesspiegel.

Sein Institut hatte bereits vor einem Jahr deren Folgen untersucht und festgestellt: Die Wahrscheinlichkeit, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, lag für Flüchtlinge, deren Aufenthalt vom Staat bestimmt wurde, um gut sechs Prozentpunkte unter der jener, die keine Wohnsitzauflage hatten. Das habe sich inzwischen „weiter verfestigt“, so Brücker.

Die Wohnsitzauflage wirke vor allem deswegen so negativ, weil sie ein Problem verschärfe, das alle Geflüchteten beträfe: Wenn sie erst einmal bundesweit nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt seien, verteilten die sie weiter.

Dabei sei es 2014/15 verständlicherweise erst einmal darum gegangen, Wohnraum zu finden – den es freilich oft in wirtschaftlich schwachen und abgehängten Gegenden gab, nicht in boomenden Städten und Gegenden. Brückers Fazit ist bitter: „Geflüchtete landeten überdurchschnittlich oft dort, wo hohe Arbeitslosigkeit herrschte oder auch – ebenfalls nicht günstig – der Arbeitsmarkt nicht vielfältig war, also von wenigen Unternehmen dominiert wurde.“

Statt Integration wird inzwischen Teilhabe wichtig

Petra Bendel, Politikprofessorin an der Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), erinnert im Gespräch mit dem Tagesspiegel an die verfassungsrechtlichen Grenzen eines bundesweiten Integrationsgesetzes: Schule und Wohnungsbau zum Beispiel seien gar nicht Sache des Bundes, „ein Bundesgesetz kann nur begrenzt regeln, was für Integration wichtig ist“.

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Auf Länder- und Kommunalebene erlebe sie aber gerade „eine Art Revival von Integrationsgesetzen und -programmen“.

Schleswig-Holstein und Sachsen bekämen sie erstmals, Berlin oder Nordrhein-Westfalen reformierten ihre bereits, und dahinter stecke ein neues Verständnis von Integration:

„Es geht nicht mehr nur um Strukturveränderungen, sondern um Teilhabe am Gemeinwesen. Außerdem werden nicht mehr nur Menschen mit Migrationsgeschichte angesprochen, sondern alle in der Gesellschaft“. Integration als Mainstreaming-Aufgabe habe der Sachverständigenrat SVR seit langem gefordert.

Sind die neuen Teilhabegesetze Ergebnis des Gesetzes von vor fünf Jahren? Nein, sagt Bendel: „Das ist der Erfolg einer anhaltenden breiten Debatte über Integration.“

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