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Mesut Özil nennen viele einen Deutsch-Türken, ein Begriff, der nicht nur falsch ist, sondern auch ausgrenzt.
© Federico Gambarini/dpa

Gedankenlose Begriffe: Integration oder Ausgrenzung – es beginnt mit der Sprache

Freie Worte bedrohen Diktaturen, falsche Worte die Demokratie. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Dr. Peter von Becker

Sprache offenbart das Denken. Oder auch Gedankenlosigkeit. Wir denken in Worten, zugleich wird das Gedachte oder Gefühlte von Worten geprägt, immer wechselseitig.

Jüngst hat nun der Bundespräsident Sprachkritik geübt. Und damit ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit gemeint. Frank-Walter Steinmeier hatte in seinem Berliner Amtssitz zu einer „türkisch- deutschen Kaffeetafel“ geladen. Bevor man sich dazu in den sommerlichen Garten des Schlosses Bellevue begab, sagte der Präsident zu seinen deutschen Gästen, den Kindern oder Kindeskindern von Einwanderern aus der Türkei: „Es gibt keine halben oder ganzen, es gibt keine Bio- oder Passdeutschen.“ Was Steinmeier in seinem Plädoyer gegen Deutsche erster oder zweiter Klasse meinte, zielte nicht nur auf einen Satz, den ein anderer Bellevue-Besucher, Mesut Özil, nach der Fußball-WM, über seine Wahrnehmung in der Gesellschaft geäußert hat: Er sei „Deutscher, wenn wir gewinnen, aber Migrant, wenn wir verlieren“.

"Biodeutsch" ist ein dummes Wort, weil es sich am Rande des Rassismus bewegt

Fangen wir bei Steinmeiers Erwähnung des „Biodeutschen“ an. Es ist tatsächlich ein dummes Wort, weil es scheinbar ironisch mit dem Label „Bio“ spielt, sich jedoch nur lässig verdruckst am Rande des eigentlich abgelehnten Rassismus bewegt. „Biodeutsch“ impliziert die Vorstellung einer von genetischen Veränderungen „reinen“ deutschen Abstammung. Die Nazis hätten dazu gesagt: das Ideal vom „arischem Blut“.

Diese Idee war nichts als Ideologie und neben der dumpfen Unmenschlichkeit auch absoluter Quatsch. Der tragische Witz ist ja: Kaum ein Volk entsprach jenem ethnisch-biologischen Rassenwahn der Nazis mit ihren, siehe Hitler und Himmler, bekanntlich so germanisch groß gewachsenen blondhaarigen Führern derart wenig wie ausgerechnet die Deutschen. In der Mitte Europas war Deutschland immer auch ein Einwanderungs- und Völkerwanderungsland. Hier mischten sich aus Ost und West, Süd und Nord Menschen, Kulturen und Begabungen. Namen wie Lafontaine, Podolski, Minetti zeugen davon. Die alten Germanen aber sind längst ausgestorben mit ihren Bärenfellen und gehörnten Helmen. Ein paar Abbilder überleben nur in den Opern Richard Wagners. Doch dies allein wegen der alles Ideologische und Wiegelaweia der Texte sprengenden, überspringenden Musik.

Jede Diktatur fürchtet das freie Wort. Demokratien aber bedroht in Zeiten von Fake News und entfesselten Netzwerken das falsche Wort. Und Falschworte sind auch jene, die, scheinbar harmlos und oft gedankenlos benutzt, bestimmte Menschengruppen aussondern, also „selektieren“. Bundespräsident Steinmeier hatte daher bewusst zu einer „türkisch- deutschen“ Kaffeetafel geladen. Und er hat ebenso bewusst und anders als manche (an sich wohlmeinende) Berichterstatter nicht das Wort „Deutsch-Türken“ gebraucht. Denn zum wiederholten Mal muss man sagen: Es ist ein Falschwort. Gemeint sind Deutsche mit türkischen familiären Wurzeln. Nicht „deutsche Türken“ (wie von Erdogan gewollt).

"Deutsch-Türken" gibt es genauso wenig wie Amerikano-Afrikaner

Kein Nicht-Rassist spricht im Einwanderungsland USA von Amerikano-Afrikanern. Wenn, dann von Afroamerikanern. Die Betonung liegt auf den Amerikanern. Aus dem gleichen Grund sind bei uns die Einwanderer von der Wolga keine Deutsch-Russen, sondern Russlanddeutsche. Auch nennt niemand die (Ex-)Nationalspieler Miroslav Klose oder Mario Gomez einen Deutsch-Polen oder einen Deutsch-Spanier. Nur bei den deutschen Özils, Özdemirs oder Kekillis wird der Migrationshintergrund, auch ganz ohne Erdogan-Fotos, sprachlich immer wieder zum Vordergrund gemacht.

Eine vergleichbare Gedankenlosigkeit trifft die jüdischen Deutschen. Es sind ganz überwiegend keine Rassisten, die trotzdem noch von „Deutschen und Juden" schreiben und sprechen. Diese aussondernde Unterscheidung findet sich auch bei Rechten in Frankreich oder in Osteuropa, wo es, von den konservativen Kirchen gefördert, meist „Russen und Juden“ oder „Juden und Polen“ heißt. Statt polnische, russische Christen oder Juden. Selbst in einigen deutschen Medien, die gerade über den Auschwitz-Besuch von Außenminister Maas berichteten, wurde wieder wie selbstverständlich zwischen „Polen und Juden“ unterschieden. Als gäbe es keine polnischen Juden.

Das ist jedes Mal eine unbewusste Verlängerung des NS-Rassedenkens, das Juden völkisch ausgrenzte. Mit der Ausgrenzung, schon in der Sprache, beginnt freilich das Falschdenken. Der Andere wird da vom Mitmenschen und Mitbürger zum Fremden. Und schlimmstenfalls: zum Feind.

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