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Caritas-Kampagne für Integration: Stell mich an, nicht ab!
© Christian Ditsch/epd

Vor der Regierungsbildung: "Integration muss weg vom Innenministerium"

Nach einem Jahrzehnt der Fortschritte stockt die Integrationspolitik wieder. Sagt der Historiker Klaus J. Bade. Er und der von ihm mitbegründete "Rat für Migration" sehen die Schuld daran nicht zuletzt beim Innenminister - und fordern einen Neustart.

Herr Bade, der Rat für Migration, den Sie vor anderthalb Jahrzehnten mitbegründet haben, hat in dieser Woche einschneidende institutionelle Veränderungen der deutschen Migrations- und Integrationspolitik gefordert und dafür eine Online-Petition gestartet. Der Rat steht mit seinen Forderungen nicht allein. Was passt Ihnen nicht?
Wir müssen einen Betonklotz aus dem Weg schaffen. Jahrzehntelang hatte Politik auf der Bundesebene, wie Bundespräsident Horst Köhler 2006 zu Recht monierte, das Thema Integration schlicht verschlafen. Mit der rot-grünen Bundesregierung kam ab 1998/99 endlich Zug in die müde Sache: 2000 trat das neue Staatsangehörigkeitsrecht, 2005 das Zuwanderungsgesetz in Kraft. Es gab zwar auch fatale Fehlentscheidungen wie den faulen Parteienkompromiss des Optionsmodells von 2000. Aber insgesamt ging es kraftvoll voran. Die schwarz-gelbe Koalition nahm den Ball auf und es ging mit Sieben-Meilen-Stiefeln weiter, bis herauf zum Anerkennungsgesetz von 2012, von vielen öffentlichkeitsintensiven Initiativen einmal ganz abgesehen. Aber bei den Schritten voran war das in Sachen Migrations- und Integrationspolitik zentral zuständige Bundesministerium des Innern mitunter ein Betonklotz am Bein.

Der Migrationshistoriker Klaus J. Bade, Mitglied des Rats für Migration
Klaus J. Bade
© Karlheinz Schindler/dpa

Warum?
Priorität im BMI haben Ordnung, Sicherheit und Gefahrenabwehr. Das ist nötig, aber falsch, wenn das gleiche Ressort für Integrationspolitik als teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik zuständig sein soll. Zarte Pflanzen kann man nicht mit eisernen Handschuhen pflegen.
Das gleiche Haus hat aber im Jahre 2006 auch die Deutsche Islam-Konferenz erfunden, das war doch ein gesellschaftspolitisches Signal.
Schäuble war eben auch als Innenminister ein Gesellschaftspolitiker. Das hat die ordnungs- und sicherheitspolitische Denke des Ressorts ein Stück weit balanciert. Das Gegenteil gilt für seinen letzten Nachfolger Friedrich von der CSU, der mit seinen populistischen Plattitüden uralten Zuschnitts auch nach außen hin Abwehrbereitschaft stimuliert und damit wieder zunichte macht, was schon erreicht wurde. Das schlagendste Beispiel ist doch gerade die Islamkonferenz, die durch ihre sicherheitspolitische Instrumentalisierung ruiniert wurde.
Ob das Ministerium gute oder schlechte Politik macht, ist also von den Leuten an der Spitze abhängig?
Integrationspolitik läuft mal gut mit einem Minister, der Sinn für das Thema hat, und schlecht mit einem, der das nicht hat. Es kann aber doch nicht sein, dass man einen starken Innenminister schon deswegen braucht, um das eigene Haus in Schach zu halten, dessen Strukturen Handlungen in die richtige Richtung lähmen. Das Haus selber ist falsch in diesem Feld.
Der Rat für Migration will, dass die zentrale Zuständigkeit für Integration und Migration ans Arbeits- und Sozialressort übergeht.

Warum gerade dahin?
Weil dort zentrale Felder beackert werden, um die es bei Integration geht, Arbeit und soziale Belange, von Sprache und Bildung mal abgesehen. Bis Anfang der 80er Jahre war die damals so genannte Ausländerpolitik sowieso Sache des Arbeits- und Sozialministeriums. Das hat sich erst unter den Regierungen Kohl geändert, am stärksten unter dem Innenminister Friedrich Zimmermann von der CSU, der sich immer mehr Kompetenzen ins eigene Haus holte, aber integrationspolitisch nichts zuwege brachte.
Welcher Integrationsbegriff leitet Sie und den Rat für Migration dabei?
Die Definition haben mein verstorbener Freund Michael Bommes und ich 2004 für den damaligen Zuwanderungsrat entworfen. Sie ist heute weithin Allgemeingut: Integration ist die messbare Teilhabe aller an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, das heißt an Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt, Recht, Sozialem bis hin zur politischen Partizipation. Integrationsförderung ist also die Förderung möglichst chancengleicher Teilhabemöglichkeiten. In einer Einwanderungsgesellschaft, die bereits mehrere Generationen von Einwanderern umschließt, geht es, von hilfsbedürftigen Neuzuwanderern abgesehen, nicht mehr um Integrationspolitik für Migranten, sondern um teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik für alle. Wer mit dem BMI-Trikot Integrationspolitik vorwiegend als Sicherheitspolitik spielt, hat das bis heute nicht begriffen und sollte endlich besser rausgepfiffen und gegen einen besseren Spieler ausgewechselt werden.
Und mit dem Abpfiff für das BMI wäre dann alles geklärt?
Keineswegs. Ressortverschiebungen machen noch keine gute Politik. Integrationspolitik braucht ein ganz neues Konzept. Hier versprechen wir uns einiges von der neuen Bundesregierung. Wir haben uns schon zur Zeit der Koalitionsverhandlungen zu Wort gemeldet, damit erkennbar wird, dass es hier Handlungsbedarf gibt.

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