Flüchtlinge in Deutschland: Integration kann nur mit Familiennachzug gelingen
Viele Familien auf der Flucht schicken ihre jungen Männer vor. Sie sollten nicht isoliert in Lagern leben müssen - nur der Nachzug der Familie kann Konflikte verhindern. Ein Kommentar.
Man kann es eine Gesicht wahrende Lösung nennen, was CDU-Generalsekretär Peter Tauber als Ergebnis der Sitzung des Parteipräsidiums verkündete. Es habe, sagt Tauber, breite Übereinstimmung gegeben, den Familiennachzug von Flüchtlingen zu diskutieren und einzuschränken. Innenminister Thomas de Maizière soll das nun mit den Innenministern der Länder beraten. Was zusammengenommen deutlich anders klingt als noch am Freitag. Da hatten sich der Kanzleramtsminister und der Regierungssprecher doch ziemlich rüde von de Maizière distanziert, der den Syrienflüchtlingen nur eingeschränkten Schutz gewähren und vor allem den Familiennachzug stoppen will.
Aber wenn hier also das Gesicht von jemandem gewahrt wurde, dann das von Thomas de Maizière. Und von Wolfgang Schäuble, der ihn stützt. Was aber ist mit dem Ansehen von Angela Merkel, wer wahrt das? Sie selbst wohl nur mühsam. Tauber sagt, die CDU-Spitze einschließlich der Kanzlerin und Parteivorsitzenden habe sich dafür ausgesprochen zu prüfen, ob die Entscheidung über den Schutzstatus der Flüchtlinge weiter automatisch oder doch wieder – wie früher – erst nach individueller Prüfung erfolgen solle. Das ist allenfalls ein Formelkompromiss. Er verbirgt kaum, dass Schäuble und de Maizière mit ihrem Vorstoß eine Sorge formulieren, die von vielen in der Unionsfraktion geteilt wird. Von den kommunalen Verantwortungsträgern im Land einmal ganz angesehen.
Weder Deutschland noch Europa ist auf Dauer in der Lage, Millionen von Flüchtlingen aus einem völlig anderen Kulturkreis auch bloß auf einige Zeit zu integrieren, wenn die Zuflucht Suchenden nicht dazu bereit sind. Wie aber soll die Integration gelingen, wenn der Familiennachzug verweigert wird? Wir wollen nicht, dass die jungen Männer, die von ihren Familien vorgeschickt wurden, in Massenlagern isoliert leben müssen. Wir wissen, dass aus einer solchen Situation – egal um welche Ethnie oder religiöse Prägung es sich bei diesen Menschen handelt – Konflikte vielfältiger Art entstehen. Konflikte untereinander und Konflikte, die auf die Umgebung abstrahlen. Doch nur der Nachzug der Familien kann genau das alles verhindern.
Das Problem sind nicht die Flüchtlinge selbst
Gerade jetzt gedenken wir der jüdischen Deutschen, die vor 80 Jahren verzweifelt irgendwo auf der Welt einen Zufluchtsort zu finden hofften. Auch sie schickten in der Regel den Familienvater voraus, einen sicheren Hafen zu entdecken und dann, so die Geschicke es möglich machten, nachzureisen. Bundespräsident Joachim Gauck hat daran vor der Jüdischen Gemeinde in Oranienburg erinnert. Er gedachte der Opfer der Pogromnacht und mahnte die Deutschen, sie sollten das nicht vergessen – und sich erinnern, „wie es in vielen unserer Familien gewesen ist, als wir heimatlos waren und Schutz brauchten“.
Dass die Bundeskanzlerin als normative Kraft des Faktischen bereits akzeptiert hat, was ihr Innen- und ihr Finanzminister als vorerst theoretische Forderung aufstellten, wird von einer Bemerkung des Regierungssprechers erhellt. Der sagte, einen Familiennachzug im bisherigen Verständnis könne es derzeit nicht geben, weil etwaige Anträge im Moment überhaupt nicht bearbeitet werden könnten. Mit fast mit den gleichen Worten formuliert das auch der Innenminister. Was heißt: Es sind noch so viele, sicher mehrere zehntausende, Asylanfragen nicht bearbeitet worden, dass es auf Monate hinaus keinerlei Personalkapazitäten für die Entgegennahme von Wünschen auf Familienzusammenführung geben wird. Außerdem bleibt immer noch die Hoffnung, dass sich die Situation in Syrien selbst so beruhigt, dass die Fluchtbewegung zum Stillstand kommt.
Das wirkliche Problem in Deutschland sind im Moment auch weniger die Flüchtlinge selbst. Die werden gerade in Bayern mit bewundernswerter Empathie und Routine empfangen. Es ist vielmehr der aufhetzende und exzessiv polemische Ton, in dem gegen die Flüchtlinge und all jene agitiert wird, die sich um ihre menschenwürdige Unterbringung kümmern.