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Die Tschechen setzen derzeit auf Abschottung - das soll sich ändern.
© David W Cerny/REUTERS

Integrationsbeauftrage Aydan Özoguz im Interview: "In Tschechien gibt es kaum Erfahrung mit Kulturen des Nahen Ostens"

Staatsministerin Aydan Özoguz war vergangene Woche in Tschechien, um über die Aufnahme von Flüchtlingen zu sprechen. Denn die wird dort ausgesprochen kritisch gesehen.

Frau Ministerin, in Tschechien ist die Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen so groß wie in kaum einem anderen Land der EU, schrieb „Die Zeit“. Was haben Sie sich von dem Besuch dort erwartet?
Ich wollte zunächst einmal vor Ort erfahren, wie sich die gegenwärtige Situation wirklich darstellt. Mein Ziel war es, die Tschechen zu ermutigen, Schutzsuchende gemäß unserer Verpflichtungen aufzunehmen und dabei zu zeigen, dass Einwanderung auch seine positiven Seiten haben kann, dass wir davon sogar profitieren können. Gerade ich, mit meinem türkischen Namen und als Muslimin, kann vielleicht deutlich machen: Herkunft oder Religion sagt noch nichts über jemanden aus.

Gab es in Prag Interesse an einem Besuch der deutschen Beauftragten für Migration und Flüchtlinge?
Ich habe mit Ministern und anderen Politikern sowie Vertretern von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich für Flüchtlinge engagieren, gesprochen. Sie waren sehr daran interessiert, wie wir das in Deutschland machen. In der Vergangenheit wurde oft auf Deutschland geschimpft, weil wir die Flüchtlinge ja quasi eingeladen hätten. Dass das so nicht stimmt, wissen die meisten vermutlich. Viele wollten von mir wissen, wie wir mit den rechten Stimmungen im Land umgehen und was wir tun, um Flüchtlinge zu integrieren. In Tschechien gibt es kaum Erfahrung mit Kulturen des Nahen Ostens. Die meisten Einwanderer kommen aus der Ukraine. Da sind die sprachlichen und kulturellen Unterschiede nicht so groß.

Einer Umfrage vom Februar zufolge sind 60 Prozent der Tschechinnen und Tschechen strikt gegen Asylsuchende, nur zwei Prozent wollen akzeptieren, dass sie im Land bleiben. Waren Sie mit dieser Haltung konfrontiert?
Ich habe durchaus erfahren, dass die Flüchtlingsaufnahme in hohem Maße kritisch gesehen wird – von der Bevölkerung und in Folge auch von der Politik. Die unglaublich große Zahl an ehrenamtlich Engagierten, wie bei uns in Deutschland, gibt es hier nicht. Aber es gibt einige tausend engagierte Menschen, die sich sehr für Flüchtlinge einsetzen – sie starten private Initiativen und helfen einfach. Das finde ich sehr ermutigend. Ich wollte mit meinem Besuch auch zeigen: Wir unterstützen Euch.

Ändert sich die Haltung – in der Bevölkerung wie in Regierung und Verwaltung?
Die Tschechen wollen das vor allem selbst bestimmen: Eine freiwillige Aufnahmequote von Flüchtlingen und kein Diktat aus Brüssel. Deutlich wurde aber auch: Die tschechische Regierung verfolgt einen anderen Kurs als Orban in Ungarn. Ich sehe, dass Tschechien da durchaus auch eine Funktion als Brückenbauer zwischen Ländern wie Schweden und Deutschland und den osteuropäischen EU-Staaten ausüben kann. Und bei allen Unterschieden halte ich es für sehr wichtig, dass wir mit Tschechien und den osteuropäischen Länder partnerschaftlich umgehen, auch wenn uns die Haltung mancher Politiker gegen den Strich geht. Wir können zeigen: Unsere Erfahrung mit Einwanderung ist positiv – wir wären ohne Einwanderung nicht so erfolgreich – weder wirtschaftlich, noch sozial oder gesellschaftlich.

An Appellen der Kanzlerin auf EU-Gipfeln und in Gesprächen mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat es nicht gefehlt. Was muss noch geschehen, um in der Flüchtlingsfrage Solidarität in Europa herzustellen – oder ist das aussichtslos?
Tschechien ist zwar gegen verbindliche Aufnahmequoten, hat aber die Mehrheitsentscheidung auf EU-Ebene dann doch akzeptiert. Darüber hinaus engagiert sich Tschechien sowohl in den Erstaufnahmeländern, wie zum Beispiel Jordanien, und unterstützt finanziell wie organisatorisch Griechenland in seiner schwierigen Lage. Allerdings gibt es keine breite Bevölkerung, die hinter einer humanitären Aufnahmepolitik steht, so wie wir es in Deutschland erleben. Es braucht sehr viel mehr Überzeugungskraft, um klar zu machen: Die Menschen fliehen vor Verfolgung und Bürgerkrieg, sie kommen nicht, um die Sozialsysteme Europas zu schröpfen. Ich denke durch Vorbild und das klare Aufzeigen der Chancen von Einwanderung können wir mehr Solidarität in Europa erreichen. Aber es wird kein leichter Weg. Ich habe bei meinem Besuch auch gelernt, dass bei aller Gemeinsamkeit, Länder wie Tschechien aufgrund ihrer geschichtlichen Vergangenheit einfach andere Erfahrungen mit Einwanderung, Flüchtlingen und dem Thema Integration gemacht haben. Diese unterschiedlichen Perspektiven müssen auch bei der Entwicklung von europäischen Strategien berücksichtigt werden. Wir brauchen ein funktionierendes gemeinsames Asylsystem in Europa. Daran sollten wir arbeiten.

Die Staatsministerin für Integration, Aydan Özoguz, hat mit tschechischen Politikern gesprochen.
Die Staatsministerin für Integration, Aydan Özoguz, hat mit tschechischen Politikern gesprochen.
© Wolfgang Kumm/dpa

Aydan Özoguz (SPD) ist seit Dezember 2013 die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Sie war in der vergangenen Woche zu Besuch in Tschechien. Das Interview führte Andrea Dernbach.

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