Präsidentschaft in der Ukraine: In Kiew tobt ein Machtkampf
Im Parlament in Kiew wächst das Misstrauen gegen die Führung – es wurden Stimmen laut, die ein Misstrauensvotum gegen Interimspräsident Turschinow forderten. In der Ostukraine nimmt die Gewalt unterdessen weiter zu.
Obwohl die ukrainische Armee seit Freitag eine Anti-Terror-Aktion gegen die Besatzer der Städte Slowjansk und Kramatorsk führt, ist eine Beruhigung der Lage nicht absehbar. In Kiew ist ein Machtkampf ausgebrochen, nicht nur die Opposition fordert den Rücktritt von Präsident Alexander Turtschinow. Am Dienstag tagte das Parlament in einer nicht öffentlichen Sitzung, die Minister sollten über die Lage und Entwicklung in der Ost- und Südukraine berichten. Für Aufsehen sorgte ein Antrag aus der Udar-Partei Vitali Klitschkos. Der stellvertretende Fraktionschef Sergej Kaplin kündigte ein Misstrauensvotum gegen Interimspräsident Alexander Turtschinow an, Udar forderte die Einsetzung von Petro Poroschenko als Präsident. Poroschenko stellte die Dinge dann klar und beteuerte, er wolle sich am 25. Mai regulär zum Präsidenten wählen lassen.
Die Kommunisten und die größte Oppositionspartei, die Partei der Regionen (PDR), werfen der Regierung im Umgang mit den Unruhen im Osten „völliges Versagen“ vor und brachten einen Antrag auf Entlassung des Innenministers Arsen Awakow (Vaterland), des Generalstaatsanwalts Oleg Machnistki (Swoboda) sowie des Chefs des Geheimdienstes, Valentin Naliwaitschenko (Udar), ein. Die Partei der Regionen und die Kommunisten haben einen Großteil ihrer Wähler in der Süd- und Ostukraine.
Eine Welle fast zügelloser Gewalt
Auch am Dienstag kam es in der Ostukraine wieder zu Besetzungen und Plünderungen. Separatisten blockierten stundenlang den größten Eisenbahnknotenpunkt im Donbass. Züge in den Regionen Donezk und Lugansk fielen aus. Der internationale Flughafen in Donezk stellte den Betrieb zwischenzeitlich ein. Augenzeugen berichten, dass sich immer mehr Menschen bewaffnen und selbst in der Stadt Donezk nun zahlreiche Männer mit Waffen unterwegs seien. Die Ukraine sieht sich vor allem im Osten des Landes einer Welle fast zügelloser Gewalt gegenüber.
Moderne Hochhäuser und privatisierte ehemalige Staatsbetriebe, die für gut ausgebildete Menschen einen attraktiven Arbeitsplatz anbieten, prägen das Bild in Donezk und Lugansk genauso wie niedrige Löhne und Massenarbeitslosigkeit, von denen die Industriearbeiter und Bergleute hart getroffen wurden. Vor allem aus diesem Milieu sammelt sich die Gruppe der Gewaltbereiten. Ex-Präsident Viktor Janukowitsch hatte die Region über zehn Jahre lang geprägt, erst als Gouverneur, später als Regierungschef und dann als Präsident. Unzufriedenheit wurde im Osten der Ukraine höchstens in der Küche oder am Rande von Fußballspielen zum Ausdruck gebracht. Die politische Führung und ihre Verbündeten, die Oligarchen, hatten genug Druckmittel, um die Menschen zum Stillhalten zu zwingen. Mal wurde mit Repressionen gedroht, mal mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. „Seit 2002 sind wir hier alle mundtot gemacht worden“, sagt Andreij, der bei einer NGO in Donezk mitarbeitet und seinen vollen Namen aus Angst nicht nennen möchte.
"Es sieht aus, als ob Russland Unruhe sät"
Nun scheinen sich andere Kräfte in Donezk breitzumachen. Nicht Janukowitsch ist Ziel des Zorns, sondern die beiden Oligarchen Rinat Achmetow und Igor Kolomoiskij. Vor allem Kolomoiskij ist Ziel erheblichen Hasses und sieht sich auch massiver antisemitischer Anfeindung ausgesetzt. Achmetow, der aus einer Tatarenfamilie stammt, ist mit rassistischer Propaganda konfrontiert. „Das alles sieht für mich danach aus, als ob Russland hier Unruhe sät“, sagt der NGO-Aktivist Andreij. „Bis vor wenigen Wochen hat es keinen interessiert, wo Achmetow herkam. Erst als er sich von Janukowitsch abwandte, fingen die Probleme für ihn an.“
Nina Jeglinski