Nach dem Anschlag auf Samuel Paty: In Frankreich brechen alte Wunden wieder auf
Das Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Frankreich ist brüchig. Das zeigt sich nach der Ermordung des Lehrers umso mehr.
Auch fünf Tage nach der Enthauptung des Geschichtslehrers Samuel Paty kennt Frankreich kaum ein anderes Thema: die Terrorbedrohung und der Einfluss des Islamismus in der Institution der Schule, die im Nachbarland als einer der Grundpfeiler der Republik gilt.
Der mutmaßlich islamistische Anschlag auf den 47-jährigen Paty hat das andere große Thema – den vor einer Woche wegen der Pandemie verhängten Gesundheitsnotstand – völlig in den Hintergrund gedrängt.
In einer Hommage an Paty erklärte Brigitte Macron, was den Beruf der Lehrerin und des Lehrers ausmache. Nach den Worten der Frau des Staatschefs gehe es für alle, die vor Schulklassen stehen, darum, für die Schüler „die Türen zu öffnen“. Lehrer müssten den „kritischen Geist“ der Schüler entwickeln, schrieb die „Première Dame“, die selber Französisch und Latein unterrichtet hatte.
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In Frankreich gilt seit 1905 das Prinzip der Trennung von Religion und Staat. Wenn es darum geht, dieses Prinzip der Laizität aufrecht zu erhalten, ist das Lehrpersonal an Schulen offenbar zunehmend mit Problemen konfrontiert.
So beklagte sich eine Grundschullehrerin aus dem nordfranzösischen Département Val d’Oise im Gespräch mit der Zeitung „Le Parisien“ darüber, sie sei von einem muslimischen Vater dafür kritisiert worden, dass sie von den Schülern bei der Aufzählung von Tieren auf einem Bauernhof verlangt habe, das Wort „Schwein“ in den Mund zu nehmen. Anschließend habe die Lehrerin darauf verzichtet, den Vorfall zu melden, da sie von ihren Vorgesetzten keine Unterstützung erwarten könne, berichtete die Betroffene.
Sieben Personen dem Richter vorgeführt
Samuel Paty hatte im Unterricht in einem Vorort von Paris zur Illustration des Themas der Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen aus dem Satiremagazin „Charlie Hebdo“ gezeigt und war daraufhin zum Opfer einer Hetzkampagne im Internet geworden. Der mutmaßliche Täter, ein 18-Jähriger mit tschetschenischen Wurzeln, war am vergangenen Freitag von der Polizei in Conflans-Sainte-Honorine erschossen worden.
Am Mittwoch wurden sieben Personen einem Anti-Terror-Richter vorgeführt. Unter ihnen befand sich auch der Vater einer Schülerin, der die Hetzkampagne im Onlinenetzwerk Facebook losgetreten hatte.
Die Tochter des Mannes hatte ihrem Vater gegenüber zuvor fälschlicherweise behauptet, der Lehrer habe ein Nacktbild von Mohammed gezeigt. Dabei war das Mädchen in der fraglichen Unterrichtsstunde nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen gar nicht anwesend gewesen. Der Vater hatte nach seinen Tiraden im Internet einen Anruf von dem mutmaßlichen Attentäter erhalten. Vor dem Terrorakt hatten die beiden über den Onlinedienst WhatsApp Kontakt.
Der Islamist Sefrioui ist den Sicherheitsbehörden bekannt
Verhört wurde am Mittwoch ebenfalls der militante Islamist Abdelhakim Sefrioui, der den Sicherheitsbehörden seit den Neunzigerjahren bekannt ist. Er hatte nach einem Gespräch mit der Schulleitung in Conflans-Sainte-Honorine ein Video gepostet. Darin hatte er erklärt, er habe die "sofortige Entlassung" von Paty gefordert. Sefrioui gehört zu den treibenden Kräften des pro-palästinensischen Kollektivs Cheikh Yassine, dessen Auflösung die Regierung am Mittwoch anordnete.
Der Tod des Geschichtslehrers reißt in Frankreich nun genau jene Wunden wieder auf, von denen viele gehofft hatten, sie würden sich mit dem gegenwärtigen Prozess zum Attentat auf das Magazin „Charlie Hebdo“ von 2015 endgültig schließen. Statt dessen brechen nun altbekannte Diskussionen um die tatsächliche und eher vermeintliche Selbstisolierung von Muslimen in der französischen Gesellschaft wieder auf.
So zeigte sich Innenminister Gérald Darmanin „schockiert“ darüber, dass die Regale in Lebensmittelmärkten so sortiert seien, dass dadurch die Angehörige einzelner Glaubensgemeinschaften gezielt angesprochen würden. Damit meinte er die Trennung von koscheren und Halal-Produkten. Darauf reagierte der Präsident der Nationalversammlung, Richard Ferrand, mit der ironischen Bemerkung, er gehe ja auch zum Regal mit regionalen kulinarischen Produkten aus der Bretagne, wenn er seine Einkäufe mache.
Marine Le Pen wartet auf ihre Chance im Jahr 2022
Trotz derartiger Beschwichtigungsversuche stehen die Zeichen auf politischer Konfrontation. Die Vorsitzende des rechtsextremen „Rassemblement National“, Marine Le Pen, forderte angesichts des Attentats eine Aufstockung der Mittel für die Polizei und die Gendarmerie. Zugleich verlangte sie ein „sofortiges Moratorium für Einwanderung und Einbürgerung“.
Dem heutigen Staatspräsidenten Emmanuel Macron war es bei der Präsidentschaftswahl 2017 gelungen, Marine Le Pen in der zweiten Runde aus dem Felde zu schlagen. Le Pen ist derzeit mehr denn je entschlossen, auch bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2022 anzutreten.
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