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Ein Treppenlift macht das Leben im Alter leichter.
© Ingo Bartussek/Fotolia

Immobilienmarkt: In Deutschland fehlen Millionen Wohnungen für Senioren

Es fehlt an Aufzügen und Rampen, barrierefreien Bädern, breiten Türen und rutschfesten Böden. 50 Milliarden Euro müssten investiert werden.

Gibt es einen Grund dafür, dass in Berlin so viele Wohnhäuser nur vier Stockwerke haben? Klar doch, sagt Klaus Buch, der Chef des größten Wohnungsunternehmens Deutschlands. Die Bauherren konnten sich, wenn sie nicht höher bauten, den Aufzug sparen. Bis zum vierten Stock ist Mietern das Treppensteigen laut Landesbauverordnung zumutbar.

Eine immense Kostenersparnis, denn eine Aufzuganlage kostet oft so viel wie eine ganze Wohnung. Doch nicht nachhaltig gedacht. Denn Kundschaft und Mieter ändern sich. Sie kommen in die Jahre, wie man so sagt. Ist eine Wohnung altersgerecht, lässt sie sich mittlerweile deutlich besser vermieten oder verkaufen. Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs ist das für die Immobilienbranche inzwischen vielerorts ein Rechenexempel. Und deshalb hält es der Vorstandschef der börsennotierten Vonovia SE, die bundesweit fast 400.000 Wohnungen verwaltet oder ihr Eigen nennt, nun für dringend nötig, "die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren". In den 70er Jahren, sagt er, habe man zu viele Wohnungen gebaut, "ohne daran zu denken, dass darin mal Menschen mit Gebrechen leben".

Das Ergebnis dieser Unbekümmertheit fasst der Zentrale Immobilienausschusses (ZIA) zusammen: Bis 2030 fehlen hierzulande rund 2,9 Millionen altersgerechte Wohnungen. Der Dachverband von 24 Immobilienverbänden und mehr als 200 Unternehmen bezieht sich auf eine Prognos-Studie im Auftrag des Bauministeriums. Ihr zufolge genügen hierzulande gerade mal 600.000 bis 800.000 Wohnungen den Anforderungen für ältere Bewohner. Das sind weniger als zwei Prozent des Gesamtbestands. Der derzeitige Bedarf liege bei 2,5 Millionen Wohnungen, sagt ZIA-Chef Andreas Mattner.

Experten: 50 Milliarden Euro müssen investiert werden

Es fehlt an Aufzügen und Rampen, barrierefreien Bädern, breiten Türen, rutschfesten Böden, höhergelegten Steckdosen. Für all dies muss die Branche aus Expertensicht in den nächsten 15 Jahren gut 50 Milliarden Euro investieren.

Auch vor gewerblich genutzten Immobilien mache der demografische Wandel nicht Halt, heißt es in einem Positionspapier der ZIA-Initiative "WohnenPlus" für die Bundesregierung. Ein Alarmruf, wenn man so will. "Es steht eine epochale Herausforderung in der Stadtentwicklung bevor, die nur vergleichbar mit der Energiewende ist", heißt es darin. Ältere Menschen benötigten nämlich auch ein angepasstes Wohnumfeld.

Es gelte, Quartiere "wiederzubeleben" und darin lokale Netzwerke zu initiieren und zu stärken, fordert die Truppe, in der sich neben Immobilienverbänden und Versicherern auch Gesundheitsexperten wie der Vorsitzende der Initiative Gesundheitswirtschaft in Berlin, Heinz Lohmann, und der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, tummeln. Das könne von "Begegnungsorten" und der Ansiedlung ambulanter Pflegedienste bis hin zu einem "Quartiersconcierge" reichen, der Pakete entgegennimmt und sich um die Verteilung von Medikamenten kümmert. Die Wohnungswirtschaft werde sich an solchen Projekten "mit eigenen Aufwendungen" beteiligen, verspricht die Initiative. Um die Mieten bezahlbar zu halten und höhere Umlagen zu vermeiden, seien allerdings auch "Zuschüsse der öffentlichen Hand notwendig".

Neue Finanzierungsformen sind gefragt

Typischerweise würden bauliche Maßnahmen auf alle Mieter umgelegt, heißt es in dem Positionspapier. Das sei aber "nicht fair", weil ja nur wenige von den Umbauten profitierten. Würde man wiederum nur die Alten belasten, werde deren Miete unbezahlbar. Hier seien "neue Finanzierungsformen zu definieren". Programme der sozialen Wohnraumförderung zum Beispiel, um die Investitionsanreize zu erhöhen. Schließlich helfe man Staat und Gesellschaft dadurch ja auch, "erhebliche Ausgaben" für Alten- und Pflegeheime zu sparen.

Tatsächlich wären die Pflegebeiträge deutlich höher, wenn sich nicht so viele alte Menschen zu Hause versorgen ließen. 70 Prozent der 2,6 Millionen Pflegebedürftigen werden derzeit in den eigenen vier Wänden betreut – eine über die Jahre weitgehend konstant gebliebene Quote. Und es wären mehr, wenn es dabei nur nach dem Willen der Betroffenen ginge. Ihren Lebensabend im Heim verbringen, das haben alle diesbezüglichen Umfragen ergeben, möchten nur die allerwenigsten. Doch in 20 Jahren werden laut Statistischem Bundesamt aus derzeit 17 Millionen Menschen über 65 hierzulande mehr als 24 Millionen geworden sein. Und 15 Jahre später dürfte den Prognosen zufolge schon jeder Siebte älter als 80 sein.

"Wir müssen akzeptieren", sagt Karl-Josef Laumann, "dass sich die Menschen nicht vorgeben lassen, wo sie im Alter wohnen wollen." Dem Pflegebeauftragten der Bundesregierung gefällt der Vorstoß der Wohnungswirtschaft – weil er weiß, dass Staat und Sozialversicherung das Problem nicht alleine wuppen können. Zwar wurde der Zuschuss für Wohnungsumbauten mit der jüngsten Reform auf fast das Doppelte erhöht, pro Pflegebedürftigem gibt es nun 4000 statt 2200 Euro. Doch weil solche Baumaßnahmen deutlich mehr kosten, werden sie trotz gestiegener Kassenhilfe selten bleiben.

Die Förderung von Aufzügen ist dem Staat zu teuer

Man habe auch schon mal über die Förderung von mehr Aufzügen für altersgerechte Wohnanlagen nachgedacht, gesteht der Pflegebeauftragte, davon dann aber aus Kostengründen gleich wieder Abstand genommen. Und die Infrastruktur mit Blick auf die demografischen Veränderungen so zu fördern, wie sie gefördert werden müsste, würde die Sozialversicherung vollends überfordern.

Vielversprechender scheint da der Vorschlag der Immobilienwirtschaft, "systematisch" mit der Gesundheits- und Sozialwirtschaft zu kooperieren. Und vielleicht könnte die Politik ja Hilfestellung leisten. Mit einem "Bündnis für altersgerechtes Wohnen" im Bundesbauministerium etwa. Oder mit einem "Demografie-Tisch" im Kanzleramt. Stiftungen und Ehrenämter für ein selbstbestimmtes Leben alter Menschen in den eigenen vier Wänden müssten "viel stärker gefördert" werden, fordert die Initiative.

Allein von Berlin aus lasse sich altersgerechtes Wohnen jedenfalls nicht planen, sagt Laumann. Zumal der Bund seit 2006 gar nicht mehr für Wohnungsbauförderung zuständig ist. "Wir beteiligen uns daran zwar jedes Jahr mit einer guten halben Milliarde", sagt er. Die bescheidene Quote an Wohnungsumbauten für alte Menschen lasse aber darauf schließen, dass die Länder andere Schwerpunkte setzten.

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