Andreas Bausewein im Interview: "In der SPD herrscht eine Schockstarre"
Andreas Bausewein, Oberbürgermeister in Erfurt und designierter SPD-Landesvorsitzender, spricht über die Wahlniederlage seiner Partei in Thüringen und Konsequenzen daraus.
Herr Bausewein, wie stark hat Sie das SPD-Wahlergebnis getroffen?
Das ist ein Desaster. Im Grunde ist dieses Wahlergebnis - und das ist nicht nur meine Meinung - dazu angetan, in die Opposition zu gehen. Wenn einen die Wähler derart abstrafen, muss man das eigentlich tun.
Warum tut es die SPD nicht einfach?
Das geht de facto nicht. Mit der AfD will keiner, zum Glück. CDU und Linke werden sich wohl kaum finden. Aber in allen anderen Modellen sind wir dabei. Deswegen müssen wir reden, verhandeln und eine Regierung bilden.
Am Wahlabend soll Sie SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel mit den Worten „Du musst jetzt springen“ aufgefordert haben, den Landesvorsitz zu übernehmen?
Das stimmt so nicht. Er hat mich zwar angerufen und wir haben die Situation sondiert. Aber er hat mich nicht aufgefordert zu kandidieren. Von springen hat er gar nichts gesagt. Mit dem Telefonat hatte ich auch kein Alleinstellungsmerkmal: Er hat ebenso Heike Taubert und Christoph Matschie angerufen.
Stattdessen bekamen Sie später den Anruf von Christoph Matschie, der Sie als seinen Nachfolger vorschlug?
Wir haben am Montag mehrfach telefoniert, haben uns vor der Sitzung des Landesvorstandes am Abend getroffen und das dann so besprochen.
Warum haben Sie eingewilligt, schließlich könnten Sie sagen, andere haben den Karren in den Dreck gefahren, warum soll ich ihn rausholen?
Ich bin Parteisoldat. Außerdem hat sich das am Montag durchaus aufgeschaukelt. Es gab ja nicht nur ein Telefonat, sondern Dutzende. Irgendwann müssen sie dann mal springen.
Warum sehen Sie Ihre Aufgabe als so schwierig an?
Zum einen, weil wir die SPD wieder aufrichten müssen. In der Partei herrscht wegen des Wahlergebnisses eine Schockstarre. Das hat einfach gesessen, dass wir mit 12,4 Prozent nach Hause gegangen sind. Da hatte ja die FDP zur vorletzten Bundestagswahl mehr Prozente. Frust, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung, das sind die vorherrschenden Gefühle. Daher geht es jetzt in der Partei auch um Seelenmassage.
Und das zweite Problem sind die unglaublich knappen Mehrheitsverhältnisse für eine künftige Landesregierung?
Genau. Aber trotzdem müssen wir dafür sorgen, dass Thüringen eine stabile Regierung bekommt. Was nicht passieren darf, sind Neuwahlen. Sie können die Leute nicht so lange wählen lassen, bis das Wahlergebnis passt. Wenn die etablierten Parteien keine stabile Regierung hinbekommen und es zu Neuwahlen käme, würde die AfD noch einmal deutlich zulegen. Da kann man nur an die Verantwortung eines jeden appellieren.
Was sehen Sie als die Ursachen für die SPD-Wahlniederlage?
Die Strategie war nicht grundsätzlich falsch, es lag nicht an Spitzenkandidatin Heike Taubert, die einen sehr guten Wahlkampf gemacht hat. Aber wir sind zerrieben worden zwischen Linken und CDU. Das Dilemma der SPD im Osten ist, dass wir eine starke Linke haben und das Wählerklientel in weiten Teilen identisch ist. Bei uns kommt dazu, dass Wählerschaft und Mitgliedschaft gespalten sind. Eine Hälfte sagt, im Zweifel mit der Linken, eine Hälfte sagt, im Zweifel mit der CDU. Hätten wir uns im Vorhinein festgelegt, hätten wir ebenfalls einen Teil der Wähler vertrieben. Als es im Wahlkampf zur Zuspitzung Ramelow oder Lieberknecht kam, sind wir unter die Räder geraten.
War die Niederlage womöglich eine Quittung für schlechte Regierungsarbeit?
Wir haben unsere Ergebnisse vielleicht nicht immer gut verkauft. Aber die Regierungsarbeit war gut. 2009 hielt sich meine Begeisterung für Schwarz-Rot ja in Grenzen. Aber der Koalitionsvertrag enthielt eine enorm starke sozialdemokratische Handschrift. Die Masse davon ist auch umgesetzt worden. Aber offensichtlich kam das bei den Leuten nicht so an.
Sie sind nun Chef der SPD-Sondierungsgruppe für eine neue Landesregierung. Ist das nicht ein Signal in Richtung Rot-Rot-Grün?
Ist es nicht. Ich bin Pragmatiker. Ich gelte zwar als jemand, der für Rot-Rot steht. Aber im Erfurter Stadtrat ist es mitnichten so, dass alle Abstimmungen mit rot-roter Mehrheit ausgehen. SPD und CDU haben schon wichtige Beschlüsse gefasst, auch gegen die Stimmen der Linken. Letztlich geht es im Land um eine stabile Regierung, in der möglichst viele sozialdemokratische Inhalte umgesetzt werden.
"Keine schnellen Entscheidungen
Ist eine Regierung mit nur einem Partner, nämlich der CDU, nicht stabiler als ein Dreierbündnis Linke, SPD und Grüne?
In der CDU gibt es schon noch einige, die mit Frau Lieberknecht Rechnungen begleichen wollen. Ich sage nicht, dass die Mehrheitsverhältnisse bei Rot-Rot-Grün leichter sind. Es steht in beiden Fällen 46 zu 45. Da darf sich bei der Wahl des Ministerpräsidenten beziehungsweise der Ministerpräsidentin nicht mal ein Abgeordneter der Stimme enthalten. Da ist nicht mal ein Millimeter Luft. Deswegen muss nun sehr genau sondiert werden.
Wie lange werden die Sondierungen dauern?
Es wird keine schnellen Entscheidungen geben.
Nach den Sondierungen sollen die SPD-Mitglieder entscheiden, mit wem Koalitionsgespräche aufgenommen werden. Sollte es ein Votum der Parteispitze geben?
Das ist noch nicht entschieden, aber man sollte es nach meiner Meinung tun.
Spricht etwas mehr für CDU oder mehr für Linke?
Das lässt sich gegenwärtig nicht sagen. Wir müssen jetzt erst einmal abwarten, wie sich die Verhandlungspartner aufstellen, welche Ansagen und Angebote kommen. Stabilität für fünf Jahre ist ein ganz wichtiges Element.
Streben Sie selbst ein Ministeramt an?
Definitiv nicht. Dass ich in dieser Hinsicht kein Eigeninteresse habe, macht die Verhandlungen für mich durchaus einfacher. Ich bleibe OB in Erfurt bis zum Ende der Amtszeit 2018. Da bin ich altmodisch: Das habe ich bei der Wahl 2012 gesagt und daran halte ich mich.
Haben Sie schon ein Personaltableau im Kopf für die künftigen SPD-Minister?
Nein, da ist alles offen. Ich warne davor, auch innerparteilich, dass man die Personaldebatte zu hoch hängt. Die Inhalte müssen stimmen und es muss eine hohe Sicherheit geben, dass das neue Bündnis über Jahre steht. Wer Minister wird, ist zweitrangig.
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