zum Hauptinhalt
Annalena Baerbock und Robert Habeck.
© Hendrik Schmidt/zb/dpa

Der Erfolg der Grünen: In der Mitte wird gerade Platz frei

Die Union driftet unter Kramp-Karrenbauer nach rechts, die SPD angetrieben von Kühnert nach links. In die Leerstelle stoßen Habeck und Baerbock. Ein Kommentar.

Haben sich die Demoskopen verschworen? Auf einmal sind sich alle einig, und das kommt nicht oft vor. Aber jetzt haben sie einen neuen Spitzenreiter. Sowohl jene, die in ihren Wahlprognosen gerne etwas exzentrisch auftreten, als auch eher konservativ geltende, sehen wahlweise die Grünen vor CDU und CSU oder Robert Habeck im Personenranking vor Angela Merkel. Ist das eine Momentaufnahme oder schichtet sich gerade die deutsche Parteienlandschaft um? Verschwindet gar die SPD? Muss sich die Union von ihrem Erbhof, die stärkste politische Kraft zu sein, davonschleichen? Sind die Grünen die neue Mitte, die AfD das inzwischen etablierte Schmuddelkind der Demokratie?

In seiner Dimension mag das Ergebnis der Europawahl eine Ausnahme gewesen sein, aber die Tendenzen dürften sich verfestigen. Das zeigte sich schon in der Entwicklung in den Tagen danach. Die Zerknirschung des sozialdemokratischen Spitzenpersonals, die Selbstzerlegung der Partei, die dadurch offenbar werdenden Zweifel an der politischen Kontinuität in der SPD, bestätigten geradezu den vorangegangenen Vertrauensverlust. Wahlforscher vermuten, dass die Partei sich auf einem vorerst niedrigen Niveau hätte stabilisieren können, wäre sie nicht so in Panik geraten.

Und auch die Schockstarre in der Union darüber, offenbar das für die Wählerinnen und Wähler relevanteste, das Klima-Thema, nicht erkannt zu haben, führte in CSU und CDU zu eher verzweifelten Reaktionen. Die Grünen zum künftigen politischen Hauptgegner zu erklären, war der wohl unpassendste aller möglichen Impulse. Denn auch wenn die Regierungsbildung in Bremen mit einem rot-grün-roten Bündnis dagegen zu sprechen scheint, sind von den Wahlergebnissen her und von den politischen Schnittmengen, Union und Grüne potenzielle Partner – eine schwarz-grüne Koalition findet im jüngsten Politbarometer die größten Sympathien.

Alles spricht dafür, dass die Grünen sich auf absehbare Zeit oberhalb oder nahe an der 20-Prozent-Marke etablieren können. Zwei glutheiße Sommer nacheinander und die Waldbrände begünstigen, dass das Klimathema bei den Deutschen zu Recht derzeit Vorrang hat.

Habeck und Baerbock sind nicht auf Krawall gebürstet wie frühere Grüne

Das gilt zumindest so lange, wie keine ernsthafte ökonomische oder politische Krise die Wählerinnen und Wähler aus der Ruhe bringt, und so lange sich das satte Gefühl breitmachen kann, die Politik solle das Klima gefälligst mal in den Griff kriegen. Sobald es aber konkret wird, etwa mit einer CO2-Steuer und ihren Belastungen für den Einzelnen, dürfte es mit dem grünen Schlummern vorbei sein. Robert Habeck und Annalena Baerbock sind sympathische Menschen und nicht auf Krawall gebürstet wie frühere grüne Spitzenleute.

Doch der innere Widerspruch, dass zwar eine Mehrheit der von der Forschungsgruppe Wahlen befragten Wählerinnen und Wählern Robert Habeck bessere Werte als Angela Merkel gibt, gleichzeitig aber jeder Zweite sagt, er habe keine Vorstellung vom politischen Profil des grünen Spitzenmannes, zeigt, wie wenig tragfähig die Vertrauensbasis auf Dauer ist. Wenn Habeck und Baerbock einmal Tacheles reden müssen, wird sich zeigen, wie stabil diese Werte sind.

Eines allerdings ist sicher: In dem Maße, in dem die Union unter Annegret Kramp-Karrenbauer aus der Mitte nach rechts driftet und die SPD, angetrieben von Kevin Kühnert, ihre politische Zukunft weiter links verortet, wird mehr Raum in der politischen Mitte frei. Und da es den Grünen gelungen ist, sich im allgemeinen Bewusstsein als bürgerliche Partei der Mitte zu positionieren, wird sich das auch weiter in ihren Wahlergebnissen niederschlagen. Schließlich gelten sie inzwischen als seriös und absprachefest. Und sie waren es nicht, die die Jamaika-Gespräche platzen ließen. Weil weder die Union noch die SPD glaubhaft deutlich machen konnten, wofür sie eigentlich stehen und wohin sie wollen, haben sich die Grünen, die das selbst auch lange nicht wussten, fest etabliert.

Zur Startseite