Systemfehler im Gesundheitswesen?: In der Krankenversorgung darf es nicht um Profite gehen
Außer den Kranken können alle Akteure im Gesundheitswesen zu ihrem Vorteil wirtschaften. Der jüngste Krankenkassenskandal zeigt wieder, dass Gewinnstreben in der Branche falsch ist. Ein Kommentar.
Kaum jemand wirkt noch überrascht, empört schon gar nicht. Dabei ist das, was durch die klaren Worte eines Krankenkassenchefs gerade wieder zum Thema wurde, ein Skandal. Allerdings eben einer unter vielen im deutschen Gesundheitswesen. Dessen mehr als 100 gesetzliche und Dutzende private Krankenversicherungen (dazu kommen die völlig vernachlässigten, aber sozialpolitisch bedeutsamen Gesundheitsämter) geben fast 350 Milliarden Euro im Jahr aus.
Dass alle versuchen, mehr aus diesem Topf der mit Abstand größten Branche des Landes zu bekommen, ist logisch. Diesmal also die gesetzlichen Kassen: Sie haben den brancheninternen Umverteilungsmechanismus, den sogenannten Risikostrukturausgleich, manipuliert, indem sie Ärzte ermutigten, Patienten auf dem Papier kränker zu machen, als die wirklich waren. Das rechnete sich für den Arzt – und auch für die jeweilige Kasse, die für bestimmte schwere Diagnosen aus dem allgemeinen Kassengesamttopf mehr Geld bekommt.
Das hört sich kompliziert an und soll es auch sein. Denn das Gesundheitswesen lebt mit und von fragmentierten Strukturen, unklaren Abläufen und kartellisierten Sphären. So lässt sich besser an den Patienten verdienen, die sich ihrer Diagnosen nicht mehr sicher sein sollten – aber beständig mit Beitragserhöhungen geschröpft werden.
Konkurrenz sei gut für die Kunden - dachte man jedenfalls
Das war mal anders. Bis in die 1950er Jahre erließ der Staat Regeln, zu deren weitgehend autonomer Anwendung er die Kassen und Ärzte ermächtigte. Die kannten Forschung, Patienten und Gefahren am besten und waren angehalten, gesundheitspolitisch weise zu agieren. Das ganze wird Selbstverwaltung genannt und ist ein hohes Gut. In den meisten Ländern wünschen sie sich für das Gesundheitswesen ein solches Modell. Dann wurde das deutsche Gesundheitswesen für Private geöffnet – und aus den Selbstverwaltern sind de facto Marktakteure geworden.
Konkurrenz sei gut für den Kunden, dachte man. Stattdessen hat der Wettbewerb eher dazu geführt, dass die mächtigen, einst „weisen“ Kartelle nun die Preise treiben, dass medizinische Experten den laienhaften Kranken allerlei Überflüssiges verkaufen und dass spezialisierte Kliniken in High-Tech investieren können, während die Alles-Könner-Krankenhäuser auf dem Land marode Dächer haben.
Am Beispiel des manipulierten Risikostrukturausgleichs wurde erneut deutlich: Aus der einst öffentlichen Aufgabe der Krankenversorgung ist ein intransparenter Markt für Verbände, Kleinunternehmer und Großkonzerne geworden. In diesem Dschungel ist es übrigens nicht verboten, Ärzte darauf hinzuweisen, dass es mehr Geld für bestimmte Diagnosen gibt. An den Kliniken arbeiten seit 2004 eifrige Controller, die Patienten mit lukrativen Krankheiten lieber sehen als welche mit Alltagsleiden. Ergo werden einige Diagnosen seitdem viel öfter gestellt.
Polizisten arbeiten für die allgemeine Sicherheit – Gewinne müssen sie nicht erwirtschaften. Lehrer bilden Kinder aus – ein Plus wird an den meisten Schulen glücklicherweise nicht erwartet. Die Mitarbeiter des Gesundheitswesen, also Ärzte und Kassenverwalter, aber sind auf Profit getrimmt. Mit schlimmen Folgen.
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