Flüchtlinge als Fachkräfte?: In der Asylfrage ist Nützlichkeit kein Argument
Einwanderung nach Deutschland ist gut, weil es an Fachkräften fehlt. Das sagen Wirtschaft und Bundesregierung. Doch wie groß ist der Bedarf überhaupt? In der Asyldebatte wird der angebliche Fachkräftemangel instrumentalisiert. Ein Kommentar.
Zum Weltflüchtlingstag am vergangenen Samstag meldeten sich zwei SPD-Politiker zu Wort, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Arbeitsministerin Andrea Nahles. In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine“ fanden sie viele passende Worte. 60 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht, schrieben sie, viele von ihnen sehnten sich nach einer Rückkehr in ihre Heimat. Die Kommunen in Deutschland müssten es schaffen, „die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, traumatisierte und kranke Menschen zu versorgen, einen Kita-Platz, eine Schule für die Kinder zur Verfügung zu stellen“. Diese Forderung ist richtig – wie auch die Bemerkung von Bundespräsident Joachim Gauck vom selben Tag, die Deutschen sollten Flüchtlingen gegenüber doch großzügiger sein.
Steinmeier und Nahles allerdings beließen es nicht bei einem Appell ans Mitgefühl. Offenbar glauben sie selbst nicht daran, dass der Einwanderungsskepsis der Deutschen auf diese Weise beizukommen ist. Im zweiten Teil ihres Artikels nämlich wird eine „riesige Herausforderung“ erwähnt, vor der Deutschland stehe. Nicht die Folgen von Flucht und Vertreibung sind gemeint, sondern „Fachkräftesicherung“. „Daher sollten wir in den Flüchtlingen auch die Fachkräfte sehen, die wir immer dringender brauchen“, schreiben die Minister.
Hilfsbedürftigkeit und wirtschaftliche Nützlichkeit nicht gegeneinander ausspielen
Es ist ein beliebtes Argument, das Steinmeier und Nahles hier verwenden. Kaum eine Migrationsdebatte vergeht ohne den Hinweis, dass Deutschland gar nicht anders könne, als auf mehr Einwanderung zu setzen. Weil unser Wirtschaftsmodell sonst nicht mehr funktioniere, das Rentensystem wegen Kindermangels zusammenbreche, politisch und ökonomisch der Absturz drohe. Allein schon deshalb sei es richtig, Flüchtlinge aufzunehmen. Denn diese könnten sich nützlich machen.
So richtig die Auseinandersetzung mit demografischen Problemen ist, so unglücklich allerdings ist deren Vermischung mit der aktuellen Flüchtlingsfrage. Zum einen ist es gefährlich, menschliche (Hilfs-)Bedürftigkeit und wirtschaftliche Nützlichkeit gegeneinander auszuspielen. Zum anderen wird mit dem „Fachkräftemangel“ ein politisches Problem zum Zweck einer besseren Akzeptanz von Flüchtlingen instrumentalisiert, dessen Ausmaß selbst noch nicht wirklich geklärt ist.
In dem Text der beiden Minister heißt es, die „Integration in Arbeit“ sei bei Migranten in jedem Fall eine „gute Investition“: „Denn wer am Ende in Deutschland merkt: Wenn ich mich anstrenge, kann ich mir hier mit meiner Familie ein neues Leben aufbauen, der kommt wirklich an.“ Interessanterweise erinnert diese Argumentation an eine Zeit, die sonst eher als dunkles Kapitel der deutschen Einwanderungsgeschichte gilt: jene Nachkriegsjahre, in denen das Wort vom „Gastarbeiter“ entstand. Zwar ist inzwischen keine Rede mehr davon, dass Einwanderer wieder verschwinden sollen, wenn sie als Arbeitskräfte nicht mehr gebraucht werden. Ausdrücklich wird ja das „Ankommen“ als Ziel genannt. Das aber ändert nichts daran, dass Migranten in Deutschland offenbar immer noch aus dem Blickwinkel ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit heraus betrachtet werden.
Wirklich human ist das nicht. Wenn Menschen verfolgt werden, dann muss das Recht auf Asyl ihnen hier bedingungslos gewährt werden – keine Rolle darf es dann spielen, für welchen Beruf sie sich entschieden haben, ob sie für etwas qualifiziert sind oder nicht. So wie auch jeder bereits hier lebende Bürger das Recht hat, frei über sein Leben zu bestimmen.
Es bringt nichts, undifferenziert von „Fachkräftesicherung“ zu sprechen
Wer hingegen Migranten im Handumdrehen zu „Fachkräften“ macht und den vermeintlichen Bedarf nach ihnen als Hilfsargument nutzt, der schadet den Flüchtlingen mehr, als dass er ihnen nützt. Denn ob es in Deutschland tatsächlich einen massenhaften Mangel an Arbeitnehmern gibt oder geben wird, ist durchaus umstritten. Beim angeblich so stark nachgefragten Ingenieursberuf zum Beispiel herrscht im Moment eher ein Überangebot. In manchen Ausbildungsberufen sieht es nicht anders aus, bei Malern und Maurern liegt die Arbeitslosenquote im höheren zweistelligen Bereich. Auch könnten Digitalisierung und Technisierung viele Arbeitsplätze überflüssig machen, ohne dass die Wirtschaftsleistung hier sinkt.
Das alles spricht nicht gegen den Zuzug von Einwanderern und deren Integration in den Arbeitsmarkt. Nur bringt es nichts, undifferenziert von „Fachkräftesicherung“ zu sprechen. Ein Überangebot an Arbeitskräften hilft am Ende nur Unternehmen, die die Löhne senken möchten.