Bevölkerung wächst weiter: In den USA sind die Minderheiten auf dem Weg zur Mehrheit
Die Volkszählung in Amerika zeigt den dynamischen Zuzug von Asiaten und Latinos – und erzählt Geschichten von „Boom and Bust“ zwischen New York und Texas.
Alle zehn Jahre öffnet sich eine Schatztruhe an Daten über den gesellschaftlichen Wandel in den USA. Die Volkszählung zu Beginn jeder Dekade bündelt Millionen Einzelschicksale von Aufsteigern und Strauchelnden, Einwanderern und Binnenmigranten zum Lebensbuch einer Nation. Es erzählt die großen Linien und die dagegen arbeitenden regionalen Gegenströmungen.
Vieles gibt Anlass zum Staunen: Warum sinkt die Zahl der Weißen schneller als erwartet, warum wächst New York entgegen der Prognosen, warum fallen die politischen Konsequenzen der demografischen Verschiebungen oft anders aus, als die Theoretiker vorhergesagt hatten?
Die Bevölkerung wächst weiter, von 308,7 Millionen 2010 auf 331,5 Millionen 2020, freilich langsamer als zuvor. Die USA bleiben die Nummer drei nach China und Indien.
Die Zunahme verdankt sich inzwischen fast ausschließlich der Einwanderung. Früher war das anders. Auch eine Geburtenrate, die die natürliche Reproduktion überstieg und höher als in Europa lag, hatte lange dazu beigetragen. 1,58 Kinder pro Frau 2020 bedeuten den niedrigsten Wert seit 1979. Das Durchschnittsalter wächst aber langsamer als in Europa, Japan oder China. Das entlastet die künftigen Rentenkassen.
Welche Gruppen wachsen, welche schrumpfen?
Der Anteil der Weißen sinkt kontinuierlich, auf nun 57,8 Prozent gegenüber 63,7 Prozent zehn Jahre zuvor. Neu ist: Erstmals schrumpfte die absolute Zahl derer, die sich als „non hispanic white“ identifizieren, von 196 auf 191 Millionen.
In früheren Volkszählungen war ihre Zahl gestiegen und nur ihr prozentualer Anteil gesunken, da andere Gruppen schneller wuchsen. In den 40 Jahren seit 1980 hat die Zahl der Weißen um sechs Prozent zugenommen, die der Gesamtbevölkerung um 40 Prozent, die der Asian-Americans und der Hispanics um 400 Prozent.
Der anteilige Rückgang der Weißen um rund sechs Prozentpunkte seit 2010 ist allerdings zu einem Gutteil darauf zurückzuführen, dass Menschen, die sich früher als „weiß“ bezeichnet haben, nun von der Option Gebrauch machen, sich als „divers“ im Sinne von multiethnisch zu betrachten. Diese Rubrik verzeichnete den höchsten Anstieg (276 Prozent).
Zweitgrößte Gruppe nach den Weißen sind Hispanics (18,7 Prozent), gefolgt von „Black“ (12,4 Prozent) und „Asian“ (6 Prozent).
Nur eine Frage der Zeit, wann die Minderheiten zur Mehrheit werden
Die Volkszählung zeige „die Zukunft mehr als die Vergangenheit“, schreibt die „New York Times“. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die USA „majority minority“ werden und die Minderheiten zusammen die Mehrheit stellen.
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In sechs weiteren Metropolen sind die Weißen zwischen 2010 und 2020 zur Minderheit geworden: in Austin und Dallas-Fort Worth (Texas), Orlando (Florida), Atlanta (Georgia), Sacramento (Kalifornien) und New Orleans (Louisiana).
Ein Drittel der US-Bürger lebt nun in Counties, die mehrheitlich nicht-weiß sind. Nahezu alle Counties wurden ethnisch diverser. Nur wenige Regionen zeigen den umgekehrten Trend: In ländlichen Räumen in Georgia, Louisiana, Maryland, North und South Carolina, Oklahoma, Texas, Virginia und Hawaii stieg der Anteil der Weißen.
Die Binnenmigration hat Folgen für die Kongresswahlen
Ein Grund für die regelmäßigen Zählungen ist das demokratische Prinzip, dass jeder Kongresswahlkreis in etwa die gleiche Anzahl von Bürgern repräsentieren muss. Die USA erleben eine kontinuierliche Binnenmigration vom Osten und Norden nach Westen und Süden. In der Folge verlieren Staaten Kongresssitze, diesmal Illinois, Kalifornien, Michigan, New York, Ohio, Pennsylvania, West Virginia.
Andere gewinnen sie: Colorado, Florida, Montana, North Carolina, Oregon und Texas gleich zwei. In 429 der 435 Wahlkreise müssen die Grenzen neu gezogen werden. Unter dem Strich ergibt sich daraus ein Vorteil für die Republikaner, da sie mehr Landtage, die dafür zuständig sind, kontrollieren als die Demokraten.
Dieses „Redistricting“ ist politisch hart umkämpft wegen der Praxis des „Gerrymanderings“. Die Partei, die die Landtagsmehrheit hat, bemüht sich, die Wahlkreise so zuzuschneiden, dass die potenziellen Wähler des Gegners in wenigen Wahlkreisen konzentriert sind und die eigenen in möglichst vielen Wahlkreisen mit einer jeweils knappen Mehrheit. So lässt sich das eigene Potenzial optimieren.
In Texas gewinnt kein Demokrat mehr, in Neuengland kaum ein Republikaner
Im Extremfall gelingt es, die Grenzen so festzulegen, dass der Gegner in keinem Wahlkreis eine Chance hat. In Texas haben die Demokraten seit Jahrzehnten keinen Kongresssitz gewonnen. Umgekehrt sind republikanische Abgeordnete aus den Neuenglandstaaten eine Rarität.
Die hohe Zuwanderung von Latinos nach Texas hat den Republikanern genutzt. Sie sind überwiegend konservativ und religiös. Die harte Haltung der Republikaner gegen illegale Einwanderung stört viele Hispanics dort nicht.
Eine von vielen Überraschungen: New York wächst entgegen der Prognose
Stadtplaner hatten dem Moloch New York City wegen zahlreicher Probleme von hohen Wohnkosten bis zur Pandemie einen Bevölkerungsrückgang vorausgesagt. Laut Zählung ist die Stadt jedoch um 629.000 Menschen auf 8,8 Millionen Einwohner gewachsen.
Kuriosum am Rande: Die Stadt hat 265.000 Wohneinheiten entdeckt, die keine Neubauten sind, aber in der Zählung 2010 fehlten. Dies verstärkt Zweifel, wie zuverlässig die Daten des Zensus generell sind.
Typisch für die USA ist "Boom and Bust": schnelle Aufschwünge hier und Abschwünge da. Prozentual ist Phoenix in Arizona die schnellstwachsende Großstadt, plus 11,2 Prozent auf 11,6 Millionen, trotz Wasserarmut in einer Wüstengegend.
Einen Boom verzeichnen auch das Rentnerparadies The Villages in Florida und der „Business Corridor“ an der Interstate 35 zwischen Austin und San Antonio in Texas; New Braunfels legte zum Beispiel um 44 Prozent zu. Geschrumpft ist Pine Bluff, Arkansas, von 100.000 auf 87.000 Einwohner.