EU-Asylstreit: In Brüssel rechnet kaum jemand mit einer baldigen Einigung
Kanzlerin Merkel führt im Streit mit Innenminister Seehofer über die Flüchtlingspolitik das Argument ins Feld, dass zunächst einmal eine europäische Lösung gefunden werden müsse. Doch die dürfte es so schnell nicht geben.
Angela Merkel strebt im unionsinternen Streit über die Flüchtlingspolitik eine europäische Lösung an. Nach den Worten der Kanzlerin ist es besser, „in Europa gemeinsam“ eine Reform des EU-Asylsystems zu beschließen, anstatt einseitig Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze ins Werk zu setzen, wie die CSU und etliche CDU-Bundestagsabgeordnete es wollen. Allerdings sieht es nicht danach aus, dass eine europäische Lösung bald gefunden wird. Zu Beginn des Jahres sah der Zeitplan der gegenwärtigen bulgarischen EU-Präsidentschaft noch eine Einigung über den jahrelangen Asylstreit beim Brüsseler EU-Gipfel am 28. und 29. Juni vor. Doch damit rechnet angesichts der festgefahrenen Diskussion innerhalb der EU in Brüssel kaum noch jemand.
In der vergangenen Woche waren die EU-Innenminister in Luxemburg auseinandergegangen, ohne einen Kompromiss in dem Streit gefunden zu haben. Bei der Reform des EU-Asylsystems geht es darum, eine Runderneuerung des so genannten Dublin-Systems hinzubekommen. Die Dublin-Regelung sieht vor, dass jenes Land, in dem ein Flüchtling zuerst den Boden der EU betritt, auch für das jeweilige Asylverfahren zuständig ist. Während der Flüchtlingskrise 2015/2016 wurde das Dublin-System faktisch außer Kraft gesetzt, weil Länder wie Griechenland und Italien die Migranten Richtung Norden durchwinkten.
Es gibt Streit: Wie lange soll der Ankunftsstaat zuständig bleiben?
Bei der weiter schwelenden Diskussion auf EU-Ebene geht es um die Frage, wie das Dublin-System wieder in Kraft gesetzt werden kann. Zuletzt drehte sich die zähe Debatte zwischen den EU-Staaten darum, wie lange die so genannte „stabile Zuständigkeit“ des Erstaufnahmelandes für einen Asylbewerber anhalten soll. Deutschland fordert, dass die Zuständigkeit jener Länder, in denen die Asylbewerber zuerst EU-Boden betreten, zehn Jahre andauern soll. Deutschland wird dabei von den Staaten in der Gemeinschaft unterstützt, die ebenfalls Ziel der so genannten „Sekundärmigration“ sind – also Österreich oder Schweden.
Auf der anderen Seite stehen südliche Mitgliedstaaten wie Italien und Griechenland sowie die Osteuropäer. Sie verlangen, dass das Erstaufnahmeland für möglichst kurze Zeit für die Asylbewerber zuständig bleibt, wobei sich Asylverfahren etwa in Italien schon einmal über mehrere Jahre hinziehen können. Der bulgarische EU-Vorsitz hatte zunächst einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der für die Zuständigkeit von Ländern wie Italien oder Griechenland eine Fünf-Jahres-Frist vorsah. Angesichts des Widerstands in Ländern wie Deutschland liegt nun ein neuer Vorschlag auf dem Tisch, dem zufolge die Erstaufnahmeländer acht Jahre lang für die Asylbewerber zuständig bleiben sollen.
Viele EU-Staaten lehnen verpflichtende Umverteilung ab
Ähnlich kontrovers wie bei der Diskussion um die Rückkehr zum Dublin-Verfahren gestaltet sich auch die Debatte um die Entlastung der von der Migration besonders betroffenen Ankunftsstaaten. Was tun, wenn sich eine Flüchtlingskrise im großen Stil wie 2015/2016 wiederholt? In diesem Punkt steht nach wie vor die Forderung der Umverteilung von Flüchtlingen im Raum – umso mehr, seit in Rom die Regierung der Fünf-Sterne-Protestbewegung und der rechtsextremen Lega die Amtsgeschäfte übernommen hat.
Auf der anderen Seite führt Ungarn das Lager derjenigen Länder an, die eine verpflichtende Umverteilung strikt ablehnen. Auf der Seite der Umverteilungs-Gegner stehen zudem Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei und Österreich. Auch die baltischen EU-Mitglieder unterstützen implizit die Forderung, dass es keine verpflichtende Umverteilung geben soll. Deutschland nimmt in der Kontroverse eine eher neutrale Position ein, unterstützt aber im Grundsatz eine verpflichtende Umverteilung.
Die verpflichtende Umverteilung innerhalb der EU soll laut dem bulgarischen Kompromissvorschlag erst in einem zweiten Schritt dann greifen, wenn es eine Krisensituation wie 2015 gibt. Der Vorschlag sieht in einem mehrstufigen Verfahren zur Entlastung der Mittelmeer-Anrainer in einem ersten Schritt die Unterstützung besonders betroffener Staaten durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex, finanzielle Hilfen sowie eine Flüchtlingsumverteilung auf freiwilliger Basis vor.
Österreichs Kanzler Kurz will sich auf Schutz der EU-Außengrenzen konzentrieren
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen Land am 1. Juli von Bulgarien den EU-Vorsitz übernimmt, hat bereits für den 20. September einen EU-Gipfel angekündigt. Dabei will Kurz die Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex in den Mittelpunkt rücken. In der Tat muss im Kreis der Europäer noch geklärt werden, wie Frontex in der nächsten EU-Finanzperiode ab 2021 finanziell ausgestattet werden soll. Doch allein mit einem strikten Schutz der EU-Außengrenzen dürfte auch Kurz nicht die Frage aus der Welt schaffen, an der die Reform des EU-Asylsystems seit Jahren hakt: Was soll mit den Flüchtlingen geschehen, die auf europäischen Boden gelangen?