Streik an der Charité in Berlin: Wenn die Krankenbetten leer bleiben
Bis zu 1000 Mitarbeiter streiken an der Charité. Patienten weichen auf andere Kliniken aus – die oft selbst ausgelastet sind.
Vor dem Streiklokal zwischen den Backsteinbauten in Mitte springt Akela auf und ab, wedelt mit dem Schwanz, schnappt in die Luft. Akela, ein buschiger Eurasier, ist Therapiehund an der Charité – und am Montag mitten im Streik. Allein auf dem Campus Mitte hatten rund 300 Schwestern, Pfleger und Techniker die Arbeit niedergelegt. Insgesamt dürften sich bis zu diesem Dienstag an den drei Campussen der Universitätsklinik – Mitte, Wedding, Steglitz – 1000 Beschäftigte am Ausstand beteiligen.
Pro Streiktag werden 200 Operationen abgesagt, Notfälle aber wie üblich versorgt. Die Berliner Feuerwehr, bei der alle 112-Anrufer landen, hat deshalb bis Montag auch keine Anweisungen bekommen, Rettungswagen nicht zur Charité zu schicken. „Wir lassen die Patienten wie immer ins nächste geeignete Krankenhaus fahren. Alles andere wäre nicht vertretbar, weil die Fahrzeuge unnötig lange unterwegs wären und für den nächsten Einsatz zu spät sein könnten“, sagte ein Feuerwehr-Sprecher.
Vivantes: Stellen uns auf mehr Patienten ein
Weil die Charité üblicherweise 20 Prozent aller Berliner Patienten versorgt, wird in anderen Kliniken der Stadt aber mit mehr Patienten gerechnet. In den ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken, die sonst 30 Prozent aller Berliner Patienten versorgen, stellt man sich auf mehr Zulauf ein. In einigen Vivantes-Häusern, sagte eine Sprecherin, habe man schon spürbar mehr Patienten gehabt. Ob Urlaubssperren nötig seien, könne noch nicht gesagt werden, man müsse abwarten, wie lange der Streik dauere. Die neun Vivantes-Kliniken haben ohnehin eine hohe Auslastung – so sind meist 90 Prozent der Krankenbetten in den Intensiv-Stationen belegt.
Hintergrund des Streiks ist wie berichtet die dünne Personaldecke. Die in Verdi organisierten Charité-Beschäftigten fordern mehr Personal, auch um stressbedingte Versorgungsfehler am Krankenbett zu vermeiden. Konkret hieße das, zu den mehr als 4000 Charité-Pflegekräften kämen Hunderte neue Stellen. Die Gewerkschaft hatte fast drei Jahre mit dem Vorstand verhandelt, der wiederholt erklärte, der Charité fehle dafür das Geld, vielmehr seien die Krankenkassen und die Bundespolitik zuständig. Der Vorstand hatte am Freitag das Landesarbeitsgericht angerufen, um den Streik untersagen zu lassen. In diesen Tagen nun wird ein Urteil erwartet.
Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité, sagte am Montag: Man sei um die Patienten sehr besorgt. „Insbesondere die angekündigte Schließung von über hundert Intensivbetten ist ein großes Problem, das von anderen Berliner Kliniken nicht aufgefangen werden kann.“ Angesichts des öffentlichkeitswirksamen Streiks wartet die Gewerkschaft auf ein Signal vom Vorstand. „Wir hoffen, dass die Arbeitgeberseite uns ein Angebot mach“, sagte Verdi-Verhandlerin Meike Jäger.
Linke: Personalmangel in Krankenhäusern kosten Menschenleben
Von den zuständigen Senatoren gab es am Montag auch auf Nachfrage kein Statement – dabei weist neben dem Charité-Vorstand auch Verdi daraufhin, dass der Streik gesundheitspolitische Grundsatzfragen berührt. In der Bundespolitik wird der Ausstand parteiübergreifend beobachtet: „Unterfinanzierung und Personalmangel in Krankenhäusern kosten Menschenleben, wer politisch nichts dagegen tut macht sich mitschuldig“, sagte Harald Weinberg, Gesundheitsexperte der Linken im Bundestag. Er hoffe, dass der Arbeitskampf einen „Flächenbrand“ auslöse: „Vorher wird sich die Bundesregierung leider nicht bewegen.“
Diverse Fachverbände erklären sich mit den streikenden Schwestern und Pflegern solidarisch. Dabei war das Verhältnis zwischen Pflegekräften und Ärzten in der Vergangenheit wohl auch wegen latenten Standesdünkels nicht immer ungetrübt. Noch diese Woche aber wird sich die Berliner Ärztekammer, der alle zugelassenen Mediziner der Stadt angehören, aller Voraussicht nach mit den Streikenden solidarisch erklären.
„Dieses politische Streikziel“, heißt es in einem Entwurf, entspreche auch den Beschlüssen der Ärzte. Daran schließt sich Kritik am System der Fallpauschalen an: Seit 2004 bekommen Kliniken von den Krankenkassen nur noch fixe Summen pro Patient und Diagnose – oft unabhängig davon, wie viel die Behandlung tatsächlich gekostet hat. Durch diese Finanzierung sei es zu „systematischen und dramatischen Personalreduzierungen“ in den Kliniken gekommen. Dies müsse auch die „Ärzteschaft mit großer Sorge erfüllen“.
Die Patienten-Hotline der Charité ist wochentags von 9 Uhr bis 17 Uhr telefonisch unter 030 / 450 550 500 erreichbar.