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Flüchtlinge aus Afghanistan an der Grenze zwischen Polen und Belarus
© dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire/Attila Husejnow

Schutzsuchende auf dem Weg nach Deutschland: Immer mehr Flüchtlinge aus Belarus – was kann die EU tun?

An der deutschen Grenze zu Polen werden immer mehr Migranten aufgegriffen. Viele kommen über Belarus. Die Hintergründe.

Am Wochenende hat die Polizei so viele Migranten an der deutschen Ostgrenze zu Polen aufgegriffen wie schon lange nicht mehr. Fast 500 Menschen nahm die Polizei in Gewahrsam, die meisten von ihnen kommen zunächst im Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt unter.

Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz,  nennt den aktuellen Anstieg an illegalen Grenzübertritten „explosionsartig“ und dringt in einem Schreiben an Innenminister Horst Seehofer (CSU) auf die Einführung von temporären Kontrollen an der Grenze zu Polen.

Wie ist die aktuelle Situation in der EU?

Auch in der EU steigen die Zahlen Schutzsuchender. In den vergangenen Monaten haben deutlich mehr Menschen Hilfe in Europa gesucht, nachdem die Gesuche zeitweise durch die Covid-Pandemie stark zurückgegangen waren. Nach Angaben der EU-Asylagentur EASO beantragten im August 56.000 Menschen Asyl, 40 Prozent mehr als im August des Vorjahrs. Das sei fast wieder das Niveau vor der Pandemie, sagte die die Direktorin der Agentur, Nina Gregori, der Funke-Mediengruppe. Die Zahlen waren allerdings in den letzten Jahren bereits massiv gesunken und lagen letztes Jahr etwa auf dem Niveau vor der großen Flucht vor dem syrischen Bürgerkrieg 2015/16.

Die Fluchtrouten nach Europa sind abwechselnd stark frequentiert. Abschottungsmaßnahmen einzelner EU-Mitglieder oder der EU insgesamt haben Einfluss darauf. So sind die ägäischen Inseln in den letzten Jahren zur Endstation für Tausende Geflüchtete geworden. Die Schließung der alten Balkanroute 2016 durch die Anrainer Slowenien, Kroatien und Serbien führte dazu, dass eine neue Route weiter westlich entstand - auch sie längst gesäumt von Elendsquartieren Geflüchteter, die von den EU-Grenzen zurückgeprügelt und von der Grenzpolizei am Weiterreisen gehindert werden.

Dort waren im Sommer nur noch 12.000 Menschen unterwegs, etwa halb so viele wie im Jahr zuvor. Seit Anfang 2021 ist die besonders gefährliche zentrale Mittelmeerroute wieder zum wichtigsten Weg nach Norden geworden - vermutlich wegen der noch drastischeren Versuche der EU, Schutzsuchende während der Covid-Pandemie auszusperren. Neu hinzugekommen ist seit wenigen Monaten der Transit über Belarus, dessen Machthaber Alexander Lukaschenko sich gegen die Sanktionen der EU zur Wehr setzt, indem er Migrant:innen Richtung EU-Osten weiterziehen lässt oder sie sogar über die Grenze zwingt.

Wie reagiert Polen auf die steigende Zahl an Migranten an der Grenze zu Belarus?

Die polnische Regierung hat Ende August mit dem Bau eines provisorischen Zauns an der Grenze zu Belarus begonnen. Von der EU-Kommission werden Pläne zum Bau von Grenzanlagen, mit denen Flüchtlinge ferngehalten werden sollen, grundsätzlich finanziell nicht unterstützt. Das gilt auch für den Zaun, der in Litauen an der Grenze zu Belarus errichtet wird.

Nach Angaben polnischer Medien warten 10.000 Menschen an der Grenze von Belarus nach Polen auf ihre Chance zur Einreise. Lukaschenko hat soeben die Visapflicht für Bürger Pakistans, des Irans, Jordaniens und Ägyptens aufgehoben, um ihnen den Transit über sein Land an die Außengrenze der EU zu erleichtern.

Demonstrantinnen und Demonstranten protestieren in Warschau gegen den Umgang mit Flüchtlingen an der Grenze zu Belarus.
Demonstrantinnen und Demonstranten protestieren in Warschau gegen den Umgang mit Flüchtlingen an der Grenze zu Belarus.
© Wojtek Radwanski/AFP

An der Grenze von Belarus nach Polen sind die Migranten physisch wie rechtlich im Niemandsland gefangen. Polen lässt sie nicht einreisen. Die nationalpopulistische PiS-Regierung in Warschau möchte zeigen, dass sie in der Lage ist, die Außengrenze zu schützen. Der belarussische Grenzschutz lässt die Menschen aber auch nicht zurück nach Belarus.

Der Aufenthalt im Niemandsland ohne Nahrung bei sinkenden Temperaturen ist inzwischen für sieben Migranten zur tödlichen Falle geworden. Zuletzt hatten polnische Polizisten in der vergangenen Woche die Leiche eines 24-jährigen Syrers gefunden.

Nach Berichten polnischer Medien wollen die Migranten nach Deutschland und andere westeuropäische Länder. Deshalb bitten sie auch nicht um Asyl in Polen, wenn dessen Grenzer sie aufgreifen. Denn bei den Migranten hat es sich herumgesprochen, dass sie dann kein Asyl mehr in einem anderen EU-Land beantragen können, sondern in Polen auf den Ausgang ihres Verfahrens warten müssen. Bis in den August waren nur wenige Dutzend Migranten auf dem Weg über Belarus und Polen nach Deutschland gekommen. Im August waren es 500, im September 2000, im Oktober allein in der ersten Hälfte weitere 2000. Ihre Zahl steigt weiter.

Was kann die EU tun?

Die EU will nicht tatenlos zusehen, wenn Lukaschenko Flüchtlinge aus seinem Land in Richtung der Gemeinschaft weiterleitet. Im Grenzgebiet zwischen Litauen und Belarus ist die EU-Grenzschutzagentur Frontex präsent. Die Beamten sollen die Lage überwachen und gegebenenfalls intervenieren, falls Migranten unrechtmäßig wieder auf belarussisches Gebiet zurückgeschickt werden. Nach den Worten von Frontex-Chef Fabrice Leggeri kam es in Litauen zu rund 20 Grundrechtsverstößen. Auch Lettland hat die EU um Unterstützung durch Frontex-Beamte und Mitarbeiter der EU-Asylbehörde EASO gebeten.

Anders ist die Lage im polnisch-belarussischen Grenzgebiet. Die Regierung in Warschau hat dort den Ausnahmezustand ausgerufen. Weil auch keine Journalisten in der Region zugelassen sind, kann sich die EU kein genaues Bild von der Lage verschaffen. Dabei hatte die EU-Kommissarin Ylva Johansson Ende September dem polnischen Innenminister Mariusz Kaminski nahegelegt, auf die Hilfe von Frontex zurückzugreifen. Doch der Appell verpuffte wirkungslos: Die Regierung in Warschau verzichtet sowohl auf die personelle Unterstützung von Frontex und Easo als auch auf finanzielle Unterstützung aus Brüssel bei der Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen.

Welche Maßnahmen diskutieren die EU-Außenminister?

Die EU-Außenminister diskutierten die seit Wochen brennende Frage bei ihrem Treffen am Montag erneut: Wie kann die EU Staatschef Lukaschenko daran hindern, Tausende Migranten aus Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Syien und anderen Krisenregionen nach Belarus einzufliegen und mit dem Versprechen, sie könnten nach Deutschland, in Bussen an die Grenze zu Polen und Litauen zu bringen? In den vergangenen Wochen hat die EU auf ein Abkommen mit der Regierung in Bagdad hingearbeitet, damit die Flüge aus dem Irak nach Belarus eingestellt werden.

Mittlerweile wird überlegt, die Leasingverträge zu stoppen, unter denen die belarussische Airline Belavia an ihre Flugzeuge kommt. Die Verträge sind zum Großteil über Firmen im EU-Staat Irland abgeschlossen worden. Unter Verweis auf die EU-Sanktionen gegen Belarus und Belavia verlangen Polen und die baltischen Staaten, dass die EU Irland die Fortführung der Leasingverträge untersagt. Eine Airline, die sich an Menschenschmuggel beteilige, könne sich ohnehin nicht auf Vertragschutz berufen, sagen EU-Diplomaten.

Flüchtlinge aus Afghanistan auf dem Weg zum Schulunterricht im niederländischen Nijmegen.
Flüchtlinge aus Afghanistan auf dem Weg zum Schulunterricht im niederländischen Nijmegen.
© Jeroen Jumelet/AFP

Warum steigen weltweit die Flüchtlingszahlen weiter?

2,4 Millionen Geflüchtete zählte das UN-Flüchtlingskommissariat Ende 2020. Seit der syrische Bürgerkrieg ihre Zahl Mitte des vergangenen Jahrzehnts erstmals über die Marke des Zweiten Weltkriegs trieb, nahm sie weiter zu. Neben Verfolgung und Krieg zählt immer öfter auch Umweltzerstörung, die Menschen ihre Lebensgrundlagen raubt, zu den Fluchtgründen. Schutz suchen sie in Europa, das nicht nur reich und demokratisch ist, sondern für Flüchtlinge von Nachbarkontinenten auch geografisch nahe liegt.

Während Fachleute annehmen, dass viele syrische Kriegsopfer sich wegen fehlender Mittel nicht mehr in Sicherheit bringen können, ist die Zahl afghanischer Flüchtlinge massiv angestiegen, seit die Nato-Truppen das Land im Sommer verließen. Allein im August machten Asylanträge von dort 10.000 der insgesamt 56.000 Gesuche in der Europäischen Union aus.

Schon vor dem Abzug der Alliierten war die Lage dort dramatisch, der Vormarsch der Taliban zwang nach UN-Schätzungen 3,5 Millionen Menschen innerhalb ihres Landes in die Flucht. In den ersten Monaten des Jahres hatten sich allein eine halbe Million auf den Weg gemacht. Um ins Visier der neuen Herren, der Taliban, zu kommen, genügt die falsche Religion oder Herkunft aus einer ihnen verhassten Minderheit - und erst recht Kollaboration mit dem Feind, die die Taliban denen vorwerfen, die Jobs bei den Nato-Truppen annahmen.

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