Unzufriedenheit mit öffentlichen Schulen: Immer mehr Eltern wollen ihre Sprösslinge in Privatschulen schicken
Die Nachfrage nach Plätzen an Privatschulen steigt - weil sich viele Eltern dort für ihre Kinder bessere Bedingungen als an staatlichen Schulen erhoffen. Doch nicht immer erfüllt sich dieser Wunsch.
Private oder staatliche Schule – das ist ein Thema in vielen Familien. Jetzt hat der Privatschulverband eine neue Umfrage zu den Elternwünschen vorgelegt.
Was wollen die Eltern?
Gut ein Viertel der Eltern in Deutschland würde ihr Kind lieber auf eine private als auf eine staatliche Schule schicken. Ein weiteres Drittel ist mit den örtlichen Bildungsangeboten unzufrieden und wünscht sich mehr Privatschulen. Das geht aus einer Umfrage im Auftrag des Verbands Deutscher Privatschulverbände (VDP) hervor, die am Mittwoch in Berlin präsentiert wurde. Bundesweit wurden gut 1000 Eltern minderjähriger Kinder durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt.
„Der Bedarf an Privatschulen ist mit den bestehenden Angeboten nicht gedeckt“, sagte VDP-Präsidentin Petra Witt. Privatschulen müssten daher staatlich stärker gefördert werden. Der aktuelle Elternwunsch nach mehr Privatschulen bleibt allerdings hinter den Zahlen einer Vorgängerumfrage von 2011 zurück. Damals wollten 34 Prozent der Bevölkerung für ihr Kind lieber eine private als eine staatliche Schule, unter den Eltern mit Kindern lag der Zuspruch bei 36 Prozent. Für den VDP sind die Zahlen aber nicht vergleichbar: Das Design der aktuellen Umfrage sei ein anderes als zuvor.
Wie entwickeln sich die Schülerzahlen an Privatschulen?
Laut VDP stiegen die Schülerzahlen an freien Schulen in den letzten zehn Jahren um 17 Prozent. Allerdings ist der jahrelange Anstieg in letzter Zeit ins Stocken geraten. Das zeigt sich insbesondere bei den allgemeinbildenden Privatschulen. Einen Grund dafür sieht der VDP in der demographischen Entwicklung: Die Gesamtschülerzahlen in Deutschland gehen seit längerem zurück. Insgesamt besuchte jeder Elfte im Schuljahr 2013/14 eine Privatschule – also rund 969.000 der insgesamt knapp elf Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland.
Der Anteil der Privatschüler an allgemeinbildenden Schulen beträgt dabei 8,7 Prozent, der an beruflichen Schulen 9,4 Prozent. Zwischen den Bundesländern gibt es deutliche Unterschiede. Während in Sachsen 13,8 Prozent aller Schüler eine Privatschule besuchen, sind es in Schleswig-Holstein nur 4,2 Prozent.
Wie ist die Situation in Berlin?
Berlin liegt bei den Schülerzahlen etwas über dem Bundesschnitt. In der Hauptstadt gehen 9,6 Prozent der Schüler an allgemeinbildenden Schulen auf eine private Einrichtung, bei den Berufsschülern sind es sogar 16,1 Prozent. Der Trend zur Privatschule ist in Berlin in den letzten Jahren auch größer als anderswo: Zwischen 2012 und 2013 stiegen die Schülerzahlen um 5,5 Prozent.
Der Anstieg hat zwei Hauptgründe: Zum einen hatte Berlin wie die neuen Länder einen besonderen Nachholbedarf. Zum anderen leben in Berlin viele mobile Familien, die ein besonders starkes englischsprachiges Profil fordern und die Option eines Internationalen Abiturs. Dies bietet bisher nur die Nelson-Mandela-Schule an.
Können sich nur Besserverdiener Privatschulen leisten?
Im Gegenteil: Die große Masse der freien Schulen ist mit rund 100 Euro pro Monat auch für Normalverbraucher erschwinglich. Dies gilt insbesondere für konfessionelle Schulen. Andere Träger wie etwa die Waldorfschulen erheben die Gebühren einkommensabhängig. Allerdings gibt es auch Schulen, die pro Monat rund 1000 Euro verlangen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband (PWV) fordert, dass freie Schulen für alle Bevölkerungsschichten zugänglich sein müssten: Sein Modell der „Bürgerschule“ sieht vor, dass der Staat die gesamten Kosten trägt.
Da diese Forderung bisher in keinem Bundesland mehrheitsfähig ist, versucht der PWV seit drei Jahren in Berlin eine Modellschule zu starten, die für einkommensschwache Eltern kostenlos wäre. Schon zweimal musste der Start verschoben werden, weil die Finanzierung nicht gesichert ist. „Der Senat ist uns bei der Finanzierung nicht entgegengekommen“, bedauert Elfie Witten von der Gründungsinitiative „Freie Bürgerschule Wedding“.
Fördern Privatschulen das soziale Auseinanderdriften?
Gibt es die Gefahr einer sozialen Entmischung?
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte 2011 das „soziale Auseinanderdriften“ kritisiert, das Privatschulen begünstigten. Kinder aus Familien mit höheren Bildungsabschlüssen seien dort überrepräsentiert. Der VDP hält dem entgegen, dass unter den Eltern mit Hauptschulabschluss sogar 37 Prozent ihr Kind gerne an einer Privatschule sähen. Sie wünschten sich „eine bessere pädagogische Förderung und einen Bildungsaufstieg für ihre Kinder“, folgerte Witt.
Genau an diesem Punkt setzt nicht nur die geplante Bürgerschule des Paritätischen Wohlfahrtsverbands an, sondern auch die neue Quinoa-Schule, die von der Telekom-Stiftung unterstützt wird: Beide Initiativen wollen, dass freie Schulen nicht nur für besser gestellte Eltern erreichbar sind. Allerdings befürchtet die SPD-geführte Bildungsverwaltung, dass hier eine andere Form der Entmischung gefördert wird: dass nämlich die zwar armen, aber bildungsinteressierten Familien den staatlichen Schulen verloren gehen. „Diese Familien sollen also für die Qualität der staatlichen Schule bürgen“, schlussfolgert die Präsidentin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Barbara John. Dies grenze an „Geiselhaft“.
Wie gut sind Privatschulen?
Schüler werden individuell gefördert und lernen in kleineren Gruppen: So werben Privatschulen gern für sich. Doch sie können diesen Anspruch laut den Daten des Statistischen Bundesamts allenfalls teilweise einlösen. So ist die Klassengröße nur unwesentlich geringer als bei der staatlichen Konkurrenz – wenn überhaupt. An privaten Gymnasien sitzt im Schnitt nur ein Schüler weniger in der Klasse (25 vs. 26), an den Grundschulen ist die Zahl in etwa gleich (jeweils rund 20). „Die Glorifizierung der Privatschule hält einem Faktencheck nicht stand“, sagt der Bildungsforscher Manfred Weiß, der 2011 auch die Studie der Ebert-Stiftung verfasste.
Laut Weiß könne bei Schulstudien kein substanzieller Leistungsvorsprung der Privatschüler festgestellt werden, sobald man Schülergruppen vergleiche, die aus einer ähnlichen sozialen Schicht stammen. Tatsächlich ist auch die Quote der Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium erfolgreich mit bestandenem Abitur verlassen, bei privaten und staatlichen Schulen ähnlich (privat: 90,6 Prozent; staatlich: 87,3 Prozent). In Bayern, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein schaffen Gymnasiasten von staatlichen Schulen sogar häufiger das Abitur. Dass Eltern ihre Kinder trotzdem auf Privatschulen schicken, erklärt Weiß mit Abstiegsängsten der Mittelschicht: „Man verspricht sich einen Distinktionsgewinn, indem man für die Kinder eine besondere Schule aussucht.“
Was zahlt der Staat für die Privatschulen?
Das Grundgesetz verpflichtet die Länder, die freien Schulen so zu unterstützen, dass sie nicht nur über die Elternbeiträge finanziert werden müssen. Diese Auflage wird von den Ländern unterschiedlich interpretiert. Einige Länder richten hohe Hürden auf, indem sie den Schulen abverlangen, die ersten Jahre ohne staatliche Zuschüsse auszukommen. Andere Länder zahlen von Anfang an einen gewissen Zuschuss, sparen dafür aber bei der laufenden Finanzierung.
Im Schnitt decken die Zuschüsse der Länder rund 50 bis 60 Prozent der tatsächlichen Kosten. Der Rest muss durch die Eltern aufgebracht werden oder – etwa bei konfessionellen Schulen – durch Kirchensteuern. VDP-Präsidentin Witt fordert, der Staat solle 80 bis 85 Prozent der echten Kosten für Privatschulen übernehmen.
Die Länder überwiesen im Jahr 2009 rund 4,8 Milliarden Euro an Schulen in freier Trägerschaft. In den letzten Jahren haben einige Länder allerdings ihre Mittel dafür gekürzt, was immer wieder Proteste hervorgerufen hat. Prominente Beispiele sind Sachsen und Thüringen, wo die jeweiligen Verfassungsgerichte die Privatschulfinanzierungsregeln kippten.
Tilmann Warnecke, Susanne Vieth-Entus
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