Spahn will mehr Druck auf Ungeimpfte: Immer mehr Bundesländer kippen Anspruch auf Lohnerstattung
Wer in Quarantäne muss, dem stehen Lohnersatzzahlungen zu. Der Gesundheitsminister ist dafür, dies zu kippen. Und etliche Länder ziehen schon mit.
Die Impfkampagne in Deutschland kommt nicht mehr richtig voran. Die Infektionszahlen gehen nach oben. Der Druck auf Impfunwillige steigt. Ihnen drohen durch die 3G- oder sogar 2G-Regel Zutrittsbeschränkungen, ab dem 11. Oktober gibt es auch keine kostenlosen Bürgertests mehr. Jetzt möchte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass noch an einer weiteren Schraube gedreht wird: Der CDU-Politiker will, dass ungeimpfte Arbeitnehmer Lohnabzüge hinnehmen müssen, wenn sie in Quarantäne müssen.
Wer amtlich angeordnet in Quarantäne geht und in der Zeit nicht arbeiten kann, dem stehen nach dem Infektionsschutzgesetz Lohnersatzzahlungen zu. Die Regelung sieht aber auch vor, dass der Anspruch entfallen kann, wenn die Quarantäne durch eine Impfung hätte vermieden werden können.
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Spahn sagte einem Bericht der Nachrichtenagentur epd zufolge, die Entscheidung liege zwar bei den Bundesländern. Aber er könnte es sehr gut nachvollziehen, wenn ungeimpfte Arbeitnehmer im Quarantänefall keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung hätten.
Spahn argumentierte: „Am Ende sind es die Steuerzahler, die die Lohnersatzleistung finanzieren – für jemanden, der sich hätte impfen lassen können.“ Spahn weiter: „Ich sehe nicht ein, warum auf Dauer andere zahlen sollen, wenn sich jemand nicht für die kostenlose Impfung entscheidet, wenn er könnte.“
Baden-Württemberg zahlt ab 15. September nicht mehr
Und erste Bundesländer haben den Zahlungsstopp auch schon beschlossen: Baden-Württemberg zahlt ab dem 15. September nicht mehr. Rheinland-Pfalz will der epd zufolge am 1. Oktober nachziehen. Hessen will Anträge auf Entschädigung künftig ebenfalls ablehnen. Einen konkreten Zeitpunkt hat die Landesregierung aber noch nicht genannt.
Auch Bayern will nun nachziehen. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der „Süddeutschen Zeitung“ am Freitag, wer sich nicht impfen lasse, obwohl keine gesundheitlichen Gründe dagegen sprächen, habe aus seiner Sicht keinen Anspruch auf eine Erstattung des Verdienstausfalls. Dann könne es „nicht sein, dass die Gemeinschaft dafür zahlen muss“.
In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich dem Blatt zufolge eine entsprechende Regelung noch in dieser Woche ab. Die aktuelle Welle sei „eine Pandemie der Ungeimpften“, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) den Angaben zufolge im Düsseldorfer Landtag: „Wenn ich mir die Freiheit rausnehme, mich nicht impfen zu lassen, dann muss ich für die Konsequenzen, die daraus entstehen, auch in vollem Umfang selbst persönlich einstehen.“
Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Berens (SPD) sagte der Zeitung, ihr Ressort werde eine Einstellung der Zahlungen ab Mitte Oktober prüfen, schließlich habe bis dahin „wirklich jede und jeder ein Impfangebot erhalten“.
Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein dringen auf eine einheitliche Regelung in ganz Deutschland. Man setze sich für einen möglichst einheitlichen Zeitpunkt ein, hieß es dazu aus Kiel.
Quarantänepflichten auch für Geimpfte möglich
Berlin will dagegen an der Entschädigung festhalten. Dort sieht man die Bedingung, dass durch Impfung eine Quarantäne vermieden wird, nicht erfüllt. Quarantänepflichten könnten derzeit auch für Geimpfte gelten, beispielsweise bei Vorliegen von Symptomen oder bei Kontaktpersonen von mit Virusvarianten infizierten Menschen, erklärte ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen. Auch in Hamburg hieß es, es gebe derzeit keine Pläne in diese Richtung.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte Spahns Plädoyer und die Entscheidung mancher Bundesländer. „Lohnabzüge wegen Quarantäne halte ich für falsch. Nicht alle Ungeimpfte sind Querdenker, viele haben wir mit unserer Kampagne einfach noch nicht erreicht. Kranke dürfen nicht für Fehlverhalten bestraft werden, und erst recht nicht für Verzicht auf Impfung“, schrieb er bei Twitter.
Kritik auch von Gewerkschaften
Kritik an den Plänen kam von den Gewerkschaften. „Ich bezweifle, dass die ständige Erhöhung des Drucks auf Ungeimpfte deren Impfbereitschaft erhöht“, sagte der NRW-Chef der IG Metall, Knut Giesler, der „Rheinischen Post“,. Das führe vor allem zu Konflikten in den Betrieben.
Auch die NRW-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Anja Weber, warnte vor „Scheindiskussionen, die die Probleme nicht lösen und vor allem zu rechtlichen Auseinandersetzungen mit unklarem Ausgang führen“. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ forderte sie mehr mobile Impfangebote für Bevölkerungsgruppen, in denen die Impfbereitschaft niedrig sei.
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Bremen entschädigte betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer demnach in Höhe von rund 4,7 Millionen Euro, Sachsen zahlte 25,1 Millionen Euro, Thüringen 68,8 Millionen Euro, Niedersachsen 72,1 Millionen Euro, Bayern 83 Millionen Euro. Die höchste Summe an Entschädigungszahlungen kam in Nordrhein-Westfalen zusammen: 120 Millionen Euro.
Insgesamt zahlten die Länder fast 600 Millionen Euro
Die Summe aus insgesamt 15 Bundesländern liegt bei rund 597 Millionen Euro. Das Saarland machte keine Angaben dazu. Brandenburg machte auch Angaben über die Höhe der Entschädigung. Im Schnitt wurden für einen bewilligten Antrag 812 Euro ausgezahlt.
Am Mittwoch waren Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge erst fast 62 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vollständig gegen das Coronavirus geimpft. 66 Prozent haben demnach mindestens eine Dosis erhalten.
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Auf Landesebene hat der Stadtstaat Bremen mit 71,6 Prozent den höchsten Anteil vollständig Geimpfter sowie den größten Anteil mindestens einmal Geimpfter. Schlusslicht bei der Quote vollständig Geimpfter ist den Zahlen zufolge weiterhin Sachsen mit 52,5 Prozent. Auch bei den mindestens einmal Geimpften (55,7 Prozent) steht Sachsen als letztes Land in der Rangliste.
Spahn hatte am Mittwoch erläutert, bei den Über-12-Jährigen liege die Impfquote derzeit bei knapp 75 Prozent. Bei den Über-60-Jährigen werde eine Quote von über 90 Prozent angestrebt, bei den 12- bis 59-Jährigen von 75 Prozent. Nötig seien dafür noch mindestens fünf Millionen Impfungen. Dann sei unwahrscheinlich, dass die Intensivstationen noch einmal ans Limit kämen, sodass es dann die Aussicht „auf einen sicheren Herbst und Winter“ gäbe, sagte der Gesundheitsminister.