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Sperrklauseln sind im Wahlrecht nur schwer zu rechtfertigen. Nun fällt die 3-Prozent-Hürde.
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Sperrklausel bei Europawahl: Im Zweifel für die Kleinen

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hält die Sperrklausel bei der Europawahl für rechtswidrig. Das deutsche Wahlrecht mit seiner Fünfprozenthürde wird nicht infrage gestellt - vorerst.

2009 galt sie noch, die Fünfprozenthürde, analog zu den Bundestagswahlen. Im November 2011 kippte das Bundesverfassungsgericht die Klausel. Begründung: Unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen sei der schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien nicht zu rechtfertigen.

Viele Europapolitiker zeigten sich damals empört. Die Verfassungsrichter würden nicht anerkennen, dass auch im Europaparlament demokratische Politik wie in den nationalen Parlamenten gemacht werde, lautete der Vorwurf. Der deutsche Gesetzgeber reagierte und verabschiedete 2013 eine neue, auf drei Prozent abgesenkte Wahlhürde.

Er berief sich auf das Europaparlament, das im November 2012 die EU-Mitgliedstaaten per Entschließung aufgefordert hatte, bei künftigen Wahlen „geeignete und angemessene Mindestschwellen für die Zuteilung der Sitze festzulegen“. Die Begründung für die Dreiprozenthürde: Bei einer starken Zersplitterung könne die politische Willensbildung gefährdet oder blockiert werden. Bis auf die Linken trugen alle Fraktionen die neue Sperrklausel mit, wobei die Grünen später noch eine mildere Fassung präsentierten, die allerdings abgelehnt wurde.

Die Bundesregierung hatte das Drei-Prozent-Vorhaben wohlwollend begleitet

In Karlsruhe geklagt hatte eine Reihe von kleineren Parteien, von den Grauen Panthern über die Piraten, die Ökologisch-Demokratische Partei bis zur NPD. Die wenigsten hätten mit der Dreiprozenthürde eine reelle Chance gehabt, sich auf den Weg nach Straßburg machen zu dürfen. Die kleinen Parteien hatten stets damit argumentiert, durch die Hürden fielen die Stimmen für sie glatt unter den Tisch. 2009 gab es knapp drei Millionen Wähler, deren Stimmen bei der Sitzverteilung unberücksichtigt blieben.

Die Bundesregierung hatte den Bundestag beraten und das Drei-Prozent-Vorhaben wohlwollend begleitet. Dass es allerdings schwer werden würde, hatten die Experten des Innenministeriums bereits unmittelbar nach dem Urteil 2011 geahnt. In einem internen Vermerk schlossen die Juristen eine Senkung der Hürde kategorisch aus. Zu eindeutig sei die Entscheidung aus Karlsruhe, hieß es damals.

Die Verfassungsrichter sehen wieder die Chancengleichheit verletzt

Laut ihrer Entscheidung vom Mittwoch sehen die Verfassungsrichter wieder die Chancen- und Wahlrechtsgleichheit verletzt. Grundsätzlich sind Sperrklauseln demnach nur schwer zu rechtfertigen. Ein solcher Fall wäre nur gegeben, wenn nur so und nicht anders die Funktionsfähigkeit eines Parlaments gesichert werden könne. Nötig sei dafür ein Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse. Inwieweit der Bundestag mit einer Klausel eine Art Gefahrenvorsorge betreiben dürfe, ließen die Verfassungsrichter offen, weil der Bundestag die Gesetzgebung für die Europawahl in der Hand habe und Fehlentwicklungen korrigieren könne.

Das Europaparlament sei nicht mit dem Bundestag vergleichbar

Die Dynamik im europapolitischen Prozess, die die Politiker seit 2011 sehen, kann das Verfassungsgericht in seiner Mehrheit nicht erkennen. „Eine maßgebliche Veränderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ist seither nicht eingetreten“, argumentierten die Karlsruher Richter. Auch seien für die nächste Wahlperiode keine in dieser Hinsicht relevanten politischen und institutionellen Entwicklungen zu erwarten. Zudem sei das Europaparlament nicht mit dem Bundestag vergleichbar, wo stabile Mehrheiten nötig seien, um eine Regierung handlungsfähig zu halten. Eine solche Entwicklung werde auf EU-Ebene zwar angestrebt, „steckt indes noch in den Anfängen“.

Das Verfassungsgericht würdigte die Bedeutung des Parlaments und den Willen, Europa einen „Demokratiesierungsschub“ zu geben. Die ins Auge gefassten Veränderungen blieben jedoch „spekulativ“, hieß es. Die Richter merkten etwas spitz an, dass zum demokratischen Aufbruch die Offenheit des politischen Prozesses gehöre, „zu dem kleine Parteien einen wichtigen Beitrag leisten können“. Die Richter zweifelten zudem daran, dass die herrschende Konsensfindung unter den beiden großen Fraktionen zugunsten von mehr politischer Konfrontation aufgebrochen wird. Schließlich seien sie in vielen Fällen weiter an Zusammenarbeit interessiert, wenn nicht auf sie angewiesen.

Die deutsche Fünf-Prozent-Hürde muss nicht für die Ewigkeit gelten

Das deutsche Wahlrecht mit seiner Fünfprozenthürde wird zunächst nicht infrage gestellt. Die Richter hatten die hiesige Schwelle in verschiedenen Urteilen für gerechtfertigt erklärt. Aber das muss nicht heißen, dass sie für die Ewigkeit gilt. Auch am Mittwoch machten die Richter deutlich, dass die aktuellen Verhältnisse zählen. Würden im Bundestag etwa große Koalitionen zum Dauerzustand, könnte sich die Frage nach der Rechtfertigung von Hürden für Kleinparteien neu stellen.

Wie 2011 war sich der Senat nicht einig. Das Urteil erging mit fünf zu drei Stimmen. Richter Peter Müller, zuvor Ministerpräsident des Saarlands, gab ein Sondervotum ab. Er warf der Mehrheit vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten, wenn sie die Arbeitsfähigkeit des Parlaments durch zusätzliche Kleinparteien für nicht bedroht erkläre. Diese Prognose sei Sache des Gesetzgebers; das Gericht dürfe prüfen, ob er fahrlässig vorgegangen sei, aber nicht eine „vertretbare Entscheidung“ des Gesetzgebers einfach durch eine eigene ersetzen. Die Unterschiede zum Bundestag seien zwar noch erheblich, rechtfertigten jedoch keine grundlegend andere Gewichtung, was zur Sicherung der Funktionsfähigkeit bedeutsam sein soll.

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