Klausurtagung der CSU: Im Sinne des Machterhalts
Für die CSU ist und bleibt das Mitmischen in Berlin überlebenswichtig. Als bloße Bayern-Partei nützt ihr die schönste absolute Mehrheit nichts. Ein Kommentar.
Zu den erstaunlichen Eigenarten der CSU gehört die Narrenfreiheit, die die Partei ihren Vorsitzenden gelegentlich lässt. Edmund Stoiber durfte Bayern mit einem Strukturreform-Furor überziehen, unter dem das halbe Land stöhnte – erst nach seinem Sturz fanden plötzlich alle, der Alte habe es ja doch übertrieben. Horst Seehofer darf sogar die politische Einheit der Union und die Regierungsbeteiligung in Berlin infrage stellen, ohne dass die davon gegebenenfalls Betroffenen auch nur mucksen. Auf der Klausur der CSU-Landesgruppe waren jedenfalls keine kritischen Anfragen an den Chef zu hören, im Sitzungssaal nicht, in den Gängen des Klosters Seeon auch nicht.
Dieses Schweigen erscheint umso befremdlicher, als von den gleichen Leuten praktisch keiner daran glaubt, dass sich Angela Merkel das Wort „Obergrenze“ in einen Koalitionsvertrag oder auch nur in ein Wahlprogramm diktieren lassen würde. Amtsmüde wirken die drei CSU-Minister in Merkels Kabinett aber ebenfalls nicht. Der Befund lässt im Grunde höchstens eine Erklärung zu: Seehofers Truppe in Berlin nimmt die Drohungen des eigenen Chefs nicht so ernst.
Diese Gelassenheit kann sich auf ein gerüttelt Maß Erfahrung stützen. Im letzten Wahlkampf beispielsweise hat der damalige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt die Grünen in Grund und Boden verdammt. Seinen Chef hinderte das nicht, nach der Wahl flugs grünes Licht für Koalitionsgespräche mit den Ökos zu geben. Wovon er, klar doch, heute nichts mehr wissen will.
In diesem schillernden Licht sollte man übrigens auch Seehofers jüngste Unvereinbarkeitserklärungen mit den Grünen betrachten. Sie gelten einzelnen Beschlüssen und Aussagen, nicht der ganzen Partei. Sie gelten also der Aufstellung für den Wahlkampf. Danach beginnt ein neues Spiel, in schulterzuckender Demut vor der Entscheidung des Wählers – und im Sinne des Machterhalts.
Für die CSU bleibt das Mitmischen in Berlin überlebenswichtig
Denn für die CSU ist und bleibt das Mitmischen in Berlin überlebenswichtig. Als bloße Bayern-Partei nützt ihr die schönste absolute Mehrheit nichts, ihr Ministerpräsident wäre nur noch einer unter 16. Ein CSU-Chef in Berlin wäre dann völlig fehl am Platz. Dass Seehofer auf dieser Personalgeografie besteht, könnte man sogar so deuten, dass nicht mal er selbst seine Drohung ernst nimmt.
So weit, so Horst. Das Problem seiner Strategie besteht allerdings darin, dass er eine doppelte Glaubwürdigkeitsfalle aufgestellt hat. Für Merkel markiert die „Obergrenze“ die Grenze zur Kapitulation. Seehofer hat sie umgekehrt erst recht zum Maßstab seiner Glaubwürdigkeit erhoben. Und das gilt in seinem Fall über die Bundestagswahl hinaus bis zur Landtagswahl in Bayern Ende 2018.
Deshalb lässt sich die Zwickmühle nicht mit einem der üblichen Sachkompromisse, einem Wort- oder Zahlenspiel auflösen. Es geht nicht um die Sache. Es geht um Symbole und um einen Kampf um die Vorherrschaft im Unionslager. Wie tief der Konflikt reicht, zeigte Seehofers erste Reaktion auf den Anschlag am Breitscheidplatz, von der er heute so auch nichts mehr wissen will.
Lösen – oder notfalls bewusst offenlassen – können den Streit nur die beiden Beteiligten selbst. Diese Einsicht trägt übrigens ebenfalls sehr zur Gelassenheit der anderen bei. Die CSU lässt ihren Vorsitzenden große Freiheit für ihren Weg zum Erfolg. Der muss dann bloß auch zum Erfolg führen.
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