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Eine Frau in Simferopol in der Ukraine gibt ihre Stimme zum Krim-Referendum ab.
© dpa

Krim-Referendum: Im Schwarzen Meer

Die Bewohner der Krim stimmen am Sonntag über den Anschluss an Russland ab. In den Städten herrscht Begeisterung, in den Kasernen Verzweiflung.

Zwei schmale Landzungen sind alles, was die Ukraine jetzt noch mit der Krim verbindet. Der Flughafen in Simferopol lässt seit Dienstag nur noch Maschinen aus Moskau landen, ein Kiewer Linienflug wurde in der Luft zur Umkehr gezwungen, vom Festland aus ist die Halbinsel nur noch über zwei Straßen und zwei Eisenbahntrassen zu erreichen. Wer den Zug aus Kiew nimmt, sieht nach zehnstündiger Fahrt ein Betonmonument aus dem Schwarzen Meer aufsteigen, das in meterhohen kyrillischen Lettern das Wort „KRIM“ buchstabiert. Gestrichen ist es in den Farben der russischen Trikolore, Blau, Weiß und Rot – als sei der Nationalitätenwechsel, über den die Halbinsel heute abstimmen soll, längst vollzogen.

Knapp 150 Kilometer weiter erreicht der Zug Simferopol, die Hauptstadt der Krim. Junge Männer in Trainingsanzügen verstellen den aussteigenden Passagieren den Weg, lassen sich Ausweise zeigen, durchsuchen Gepäckstücke, stellen Fragen. Sie suchen nach Provokateuren, sagen sie, nach „Faschisten“, nach Agenten der Maidan-Bewegung, die in Kiew unrechtmäßig das Ruder übernommen habe. Sie selbst seien Freiwillige, fügen sie hinzu, Patrioten der Krim, „Verteidiger des Vaterlands“. Welches Vaterland gemeint ist, lässt sich unschwer an ihren blau-weiß- roten Armbinden ablesen.

Man trifft diese Männer derzeit überall auf der Krim, sie bewachen Bahnhöfe und Straßensperren, Kasernentore und Regierungsgebäude. Meist sind es örtliche Freiwillige in Zivilkleidung, andere tragen Tarnanzüge und voluminöse Fellmützen, die sie als Angehörige russischer Kosakenverbände ausweisen, eingereist aus dem Nachbarland, „um unseren Brüdern beizustehen“, wie sie ihre Aufgabe gerne umreißen. Die Ortsfreiwilligen sind unbewaffnet, die Kosaken tragen schwere Lederpeitschen am Gürtel, mit denen in den vergangenen Tagen mehrere ukrainische Journalisten verprügelt wurden, die den Vaterlandsverteidigern mit unbequemen Fragen zu nahe traten. Schusswaffen tragen dagegen nur jene Männer, für die sich im Volksmund der Ausdruck „grüne Männchen“ eingebürgert hat, weil sie an ihren olivgrünen Uniformen keine Abzeichen tragen und auf Fragen nach ihrer Herkunft schweigen. Dass es russische Truppen sind, bezweifelt inzwischen kaum noch jemand auf der Krim, auch wenn der Kreml nach wie vor abstreitet, Militärkräfte ins Nachbarland entsandt zu haben.

Russische Truppen in Perewalnoje

In der Innenstadt von Simferopol trifft man die „grünen Männchen“ nur vereinzelt. Meist bewegen sie sich in ungekennzeichneten Militärfahrzeugen über die umliegenden Landstraßen. Etwa 30 dieser schweren Ural- und Kamas-Transporter sind vor einem ukrainischen Truppenstützpunkt etwa 25 Kilometer südöstlich von Simferopol geparkt, in Perewalnoje. Hinter dem Kasernentor ist die 36. Brigade der Ukrainischen Seestreitkräfte stationiert. Seit knapp zwei Wochen wird ihr Stützpunkt von Bewaffneten blockiert: Männer in olivgrüner Kampfmontur versperren alle Kasernenzugänge, ausstaffiert mit Stahlhelmen, Gesichtsmasken und schweren Maschinenpistolen.

Alle Fragen ignorieren die Bewaffneten schweigend. Ohnehin kommt man nicht nahe an sie heran, weil sie von einer zweiten Kette von Männern abgeschirmt werden, unbewaffneten Angehörigen der örtlichen Selbstschutztruppen, die vor dem Kasernentor kampieren. Sie seien nur hier, um Provokationen zu verhindern, erklären die Freiwilligen – auf der Krim seien „westukrainische Faschisten“ unterwegs, die es darauf angelegt hätten, die bewaffneten Kräfte in Schießereien zu verwickeln. Dass die Bewaffneten russische Militärs sind, streiten die Freiwilligen vehement ab. „Es sind Leute aus der Gegend, Freiwillige wie wir, bloß mit Waffen. Sie schützen die Truppenstützpunkte vor Übergriffen.“

Ukrainische Truppen werden in den Kasernen festgehalten

Der tatsächliche Sinn der Blockade ist genau umgekehrt: Auf der gesamten Krim werden derzeit ukrainische Truppen in ihren Kasernen festgehalten und am Ausrücken gehindert. Trotz dieses massiven Drucks weigert sich bislang der Großteil der ukrainischen Krim-Militärs, auf die Gegenseite überzulaufen – so auch in Perewalnoje. Davon aber wollen die Freiwilligen vor dem Kasernentor nichts wissen. „Wir sind hier alle Freunde“, sagen sie. „Die Ukrainer können die Kaserne verlassen und betreten, wie sie wollen.“ Um das zu beweisen, winken die Männer einen ukrainischen Uniformierten heran, der das Pech hat, gerade durchs Kasernentor zu treten. Der Mann lächelt gequält. Er ist um die 30, seine Schulterstücke weisen ihn als Offizier aus. „Wir versuchen hier alle zusammen, die Ruhe zu bewahren“, sagt er leise.

Als sich im weiteren Verlauf des Gesprächs ein unbeobachteter Moment ergibt, wechselt der Offizier unvermittelt aus dem Russischen ins Englische, um von den Freiwilligen nicht verstanden zu werden. „Sie sehen ja selbst, was hier passiert“, sagt er. „Wir haben uns mit den Russen darauf verständigt, dass wir nicht auf sie schießen und sie nicht auf uns schießen. Weil wir alle wissen, dass das der Anfang vom Ende wäre.“

Er sagt „Russen“ – also kommen die schweigsamen Bewaffneten doch aus dem Nachbarland?

„Natürlich. Aus Uljanowsk. Russische Luftlandetruppen, 31. Brigade.“

Seinen Namen will der Ukrainer nicht mit dieser Information in Verbindung bringen, er verrät nur, dass er Major ist. Er sagt, er habe nicht die geringste Ahnung, was aus seiner Brigade werde, wenn die Krim tatsächlich den Anschluss an Russland beschließe. Er wisse nur eins, fügt er hinzu, und es klingt halb verzweifelt und halb erleichtert: „Sobald das hier vorbei ist, werde ich Zivilist.“

Nur wenige Zivilisten sind gegen eine russische Inbesitznahme der Krim

Wer sich derweil mit Zivilisten auf der Krim unterhält, findet kaum jemanden, der die militärische Inbesitznahme der Halbinsel beunruhigend oder auch nur merkwürdig findet. Alle ukrainischen Fernsehsender wurden nach dem Austausch der örtlichen Regierung abgeschaltet, zu empfangen sind nun nur noch russische Kanäle, deren propagandistische Lagebewertung viele Krim-Bewohner fast wörtlich übernehmen. Der Tenor: In Kiew hat ein faschistisches Regime die Macht an sich gerissen, ethnische Säuberungen stehen unmittelbar bevor, die russische Krimbevölkerung schwebt in Lebensgefahr, die einzige Rettung ist der Anschluss an Russland. Überall auf der Krim säumen derzeit riesige Plakate die Straßen, die für die Jastimme beim heutigen Referendum werben: „16. März – vereint mit Russland.“ Man findet in Simferopol nicht viele, die damit nicht einverstanden sind. Manchmal versammeln sich ein paar Dutzend Menschen vor dem Taras-Schewtschenko- Denkmal im Süden der Innenstadt. Die meisten von ihnen sind Ukrainer, die auf der Krim nur rund ein Viertel der Bevölkerung stellen. Sie demonstrieren in blumigen Folklorekostümen, wie sie auch die Aktivisten auf dem Kiewer Maidan trugen. „Wie kann eine Volksabstimmung frei sein, wenn sie unter Waffengewalt stattfindet?“, schreit eine junge Frau. Fast alle Fernsehkameras, die ihre Worte aufzeichnen, tragen ausländische Senderkürzel, die russischen Kanäle sind nicht vertreten.

Am Abend wird nur ein einziger Sender den Aufschrei der jungen Frau auf der Krim übertragen. Es ist der tatarische Spartenkanal ART, der derzeit aus komplizierten politischen Gründen der einzige Oppositionssender der Halbinsel ist. Die krimtatarische Minderheit, die zwölf Prozent der Krimbevölkerung stellt, wurde unter Stalin gesammelt nach Zentralasien verbannt und konnte erst kurz vor dem Ende der Sowjetunion in ihre historische Heimat zurückkehren. Nicht nur deshalb sehen die Krimtataren dem Anschluss an Russland mit Angst entgegen. Obwohl zuletzt sogar Putin ihre politischen Vertreter mit Sicherheitsgarantien umwarb, hat die krimtatarische Führung zum Boykott des Referendums aufgerufen.

„Paradoxerweise schützt genau das unseren Sender“, sagt Sair Akadyrow, ein junger tatarischer ART-Reporter. „Die Russen können uns nicht abschalten, weil das ihre Sicherheitsgarantien unglaubwürdig machen würde.“ Es ist ein Friedensabkommen, das auf sehr wackligen Beinen steht, Akadyrow weiß es. Er ist unsicher, ob er nach dem Referendum auf der Krim bleiben kann. „Wir bekommen ja derzeit sehr genau vorgeführt, wie es in Russland mit der Pressefreiheit aussieht.“

Der Anschluss der Krim an Russland wirft hunderte Fragen auf

Auch abgesehen von der ungeklärten Zukunft der Krimtataren sieht Akadyrow das Referendum skeptisch. „Der Anschlussplan wirft Hunderte von Fragen auf, über die niemand hier auch nur im Ansatz nachdenkt“, sagt er. „Wovon soll die Krim leben, woher soll unser Essen kommen, unser Strom, unser Wasser? Was wird aus den Krim-Bewohnern, die auf dem ukrainischen Festland arbeiten, was aus den Studenten, die ukrainische Universitäten besuchen? Mit wem werden wir Handel treiben, welche Banken werden uns Kredite geben, welche Touristen unsere Strände besuchen? Niemand hat Antworten auf diese Fragen.“

Bereits jetzt haben einzelne ukrainische Banken den Zahlungsverkehr zwischen Festland und Halbinsel eingestellt, in den Städten der Krim formierten sich lange Schlangen vor den Bankautomaten. Wer sich in Simferopol mit den Wartenden unterhält, hört trotzdem kaum ein skeptisches Wort über die geplante Abkehr von der Ukraine. „Was hat uns dieses Land je gegeben?“, schimpft ein älterer Mann. „Chaos, Revolutionen, vielleicht Krieg! Ich wünschte, wir wären schon 1991 Russland beigetreten, direkt nach der Unabhängigkeit! Die Krim wird niemals ukrainisch sein!“

Noch heftiger fallen die Reaktionen in Sewastopol aus, der Hafen- und Heldenstadt an der südwestlichen Schwarzmeerküste. Die allgegenwärtige Märtyrersymbolik der Weltkriegsdenkmäler, die hier an den Widerstand gegen Hitler-Deutschland erinnert, wird dieser Tage mit verfremdetem Zweck neu aufgeladen: Auf Transparenten in der ganzen Stadt sind durchgestrichene Hakenkreuze zu sehen, als Warnung vor einer besiegten Ideologie, die mit dem neuen Regime in Kiew angeblich zurückzukehren droht.

Kreml-Interesse an Hafenstützpunkt in Sewastopol

Im Hafen liegen Kriegsschiffe vor Anker, russische und ukrainische, nur ein paar hundert Meter trennen die beiden Teile der Schwarzmeerflotte voneinander. In der Ferne, wo das offene Meer beginnt, ist ein russischer Zerstörer zu erkennen, er blockiert die Zufahrt zur Bucht von Sewastopol. Ungeachtet der angespannten Lage lassen sich Touristen mit Ausflugsbooten durch den Hafen fahren. Seit der ukrainischen Unabhängigkeit ist der russische Teil der Flotte hier nur noch zur Pacht stationiert. Immer wieder musste Moskau in den vergangenen Jahren mit Kiew um die Vertragsverlängerung für den Stützpunkt streiten – es dürfte einer der Kerngründe dafür sein, dass der Kreml bereit ist, im Kampf um die Krim jeden politischen Schaden in Kauf zu nehmen.

An der Uferpromenade steht eine kleine Festbühne. Jeden Tag wird hier zur Zeit für den Anschluss an Russland geworben, gerade steht der Direktor der örtlichen Admiral-Lasarew-Bibliothek am Mikrofon, ein älterer Herr vom Typ sowjetischer Kulturfunktionär. In zwei Kriegen, ruft er mit tränenerstickter Stimme, sei seine Bibliothek zweimal von Russlands Feinden niedergebrannt worden. „Das darf nie wieder geschehen! Geht zum Referendum, meine Kinder, stimmt für Russland!“ Bevor ein Folklore-Ensemble mit patriotischem Liedgut die Bühne übernimmt, tritt ein junger Moderator ans Mikrofon. „Wir stehen vor einem historischen Moment“, ruft er ins Publikum. „Und wir alle wissen, welchen Weg uns Gott weist: nach Russland!“

Die Antwort ist donnernd und vielstimmig: „Russland! Russland! Russland! Russland!“

Jens Mühling

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