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Größer als Monaco ist das Anwesen, auf dem der Palast steht.
© Navalny Life/dpa

Enthüllung über einen Palast am Meer: Im Reich der Zaren

Kreml-Kritiker Nawalny hat ein Video über ein gewaltigen Luxusbau veröffentlicht. Ist es ein Anwesen für den russischen Präsidenten Wladimir Putin?

Alexej Nawalny saß bereits in Moskau hinter Gittern, als Weggefährten des russischen Oppositionsführers am Dienstag sein neues Video veröffentlichten. Die fast zweistündige Dokumentation mit dem Titel „Ein Palast für Putin“ enthüllt bisher unbekannte Details über ein riesiges Anwesen an der Küste des Schwarzen Meers, das dem russischen Präsidenten gehören soll. Nawalny hat sich in den vergangenen Jahren als Kämpfer gegen Korruption einen Namen gemacht. Nun hat er sich erstmals mit Putin selbst befasst – eine Kampfansage aus der Haft. In Russland wurde das Video in den ersten 24 Stunden 25 Millionen mal geklickt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, das Video sei ein von Schurken verfasster Betrug und „blanker Unsinn“..

Was haben Nawalny und sein Team über Putins Palast herausgefunden?

Für Nawalny ist das Anwesen in Gelendschik an der Schwarzmeerküste so etwas wie „das neue Versailles, das neue Winterpalais“. Genau wie beim Palast des Zaren prangt über dem Eingangstor des Gebäudes, das Putins Palast sein soll, ein goldener doppelköpfiger Adler mit Zarenkrone. Das Anwesen ist 68 Hektar groß, der Palast hat eine Fläche von fast 17700 Quadratmetern. Vor 15 Jahren begann der Bau des Gebäudes, doch fertig ist es bis heute nicht, Baumängel machten umfangreiche Renovierungsarbeiten erforderlich. Der Palast ist allerdings schon jetzt gegen ungebetene Besucher abgeschirmt. Das angrenzende Gelände gehört dem Geheimdienst FSB, Schiffe müssen einen Mindestabstand von einer Seemeile einhalten, und über dem Gebiet wurde eine Flugverbotszone eingerichtet. Bereits vor einigen Jahren wurde bekannt, dass am Schwarzen Meer ein geheimer Palast für Putin entstehe. Daraufhin meldete sich ein Geschäftsmann zu Wort, der angab, das Gebäude gekauft zu haben.

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Doch auch er gehört dem Kreis um Putin an, Nawalny sieht darin ein Scheingeschäft. Über Mitarbeiter der beteiligten Baufirmen haben Nawalny und sein Team detaillierte Baupläne erhalten – und auf dieser Grundlage das Innere des Palasts in 3D rekonstruiert. Der Besitzer des Gebäudes hat nicht nur ein Schwimmbad, einen Schönheitssalon und ein Theater einbauen lassen, sondern auch ein Kasino mit Roulette-Tisch und Spielautomaten, eine Shisha-Bar mit Poledance-Stange und ein eigenes Zimmer für eine Carrera-Bahn. Zum Meer führt ein Tunnel, der im Fall der Fälle auch als Bunker genutzt werden kann. Über einen unterirdischen Gang erreicht man zugleich ein „Degustationszimmer“ mit Meerblick. Auf dem Gelände gibt es außerdem eine unterirdische Eishockey-Arena, einen Hubschrauberlandeplatz, ein 2500 Quadratmeter großes Gästehaus und in einiger Entfernung ein Weingut mit einem riesigen „Chateau“. Putin sei besessen von Reichtum und Luxus, sagt Nawalny in dem Video.

Was war bisher über das Vermögen des russischen Präsidenten bekannt?

Die Schätzungen zum Reichtum Putins reichen in phantastische Höhen: von um die 40 Milliarden Euro bis zu 200 Milliarden ist die Rede. Indizien für diese Annahmen führen bis an Putin heran, doch dann kommen die Konjunktive: mutmaßlich, offenbar, haben soll. Plausibel ist vieles, allein es fehlt der gerichtsfeste Beweis. Alle bisherigen Enthüllungsgeschichten hat Putin fast ohne Kratzer überstanden. Es gab in den 90-er Jahren einen Untersuchungsausschuss in St. Petersburg, der sich mit den Zuständigkeiten des Vizebürgermeisters Putin befasste: dubiosen Tauschgeschäften und „Tantiemen“ bei Gewerbezulassungen. Der Ausschuss stellte seine Arbeit ein, als Putin Staatspräsident wurde. Zu seinem Portfolio sollen unter anderem Anteile an Konzernen wie „Rosneft“ und anderen Firmen im Ölgeschäft gehören. Doch der Name Putins taucht in diesem Zusammenhang natürlich nicht schriftlich auf, ebenso wenig wie er in russischen Grundbüchern oder auf irgendwelchen Bankkonten steht. Für gewöhnlich werden Anonymisierungen mit Stiftungen bewerkstelligt. Eine davon flog mit den Panama-Papers auf. Der Petersburger Cellist Sergej Roldugin, ein Jugendfreund Putins, jonglierte über Briefkastenfirmen mit Milliardensummen. Eine Verbindung zu Putin schien plausibel, war jedoch nicht zweifelsfrei nachweisbar. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow behauptete am Dienstag, Putin deklariere alle seine Besitztümer in der Vermögenserklärung. Da ist ein bescheidenes Eigentum aufgelistet: eine Wohnung, eine Garage, eine Datscha. Das Jahresgehalt des Präsidenten liegt offiziell unter 300000 Euro. Allein der Wert der Luxusuhren, die an Putins Handgelenk gesehen wurden, überschreitet diese Summe um ein Vielfaches. Doch entscheidend für das System Putin ist nicht dessen persönliches Vermögen.

Was sagt der Palast über dieses System Putin aus?

Nawalny nennt Putins Palast die „größte Bestechung der Geschichte“. Das am Dienstag vom Team des Oppositionsführers veröffentlichte Video wird zu einer Lehrstunde über das System. Diejenigen, die Putin aus seiner Tätigkeit für den KGB oder aus den Jahren in der Petersburger Stadtverwaltung kennt, sitzen heute in Spitzenpositionen in Staat und Wirtschaft. In diesem System, das vor Nawalny bereits vielfach beschrieben worden ist, gehört Korruption von Anfang an dazu. Wie Putins Palast finanziert wurde, machte ein Insider öffentlich: Einigen Oligarchen wurde nahelegt, an eine Firma zu spenden, die medizinische Ausrüstung für Krankenhäuser besorgte. 35 Prozent der Gelder seien allerdings an eine Offshore-Firma gegangen, die nach Angaben Nawalnys mehrheitlich dem Präsidenten gehört haben soll. Außerdem kaufte der russische Staat medizinische Ausrüstung zu überhöhten Preisen, die Differenz soll für Putins Palast verwendet worden sein. Das System funktioniere nach dem Prinzip: „Wer staatliche Gelder abzweigen will, muss mit Putin teilen“, sagt Nawalny.

Welche Rolle spielt Putins Vergangenheit als KGB-Mann in Dresden?

Nachdem sich Nawalny einigermaßen von den Folgen der Vergiftung erholt hatte, fuhr er auf den Spuren Putins nach Dresden. Der Film beginnt in der Radeberger Straße, wo der KGB-Mitarbeiter Putin Ende der achtziger Jahre lebte. In Dresden habe Putin seinen Lebensgrundsatz festgelegt, wonach Korruption die Grundlage für Vertrauen sei, sagt Nawalny. In alten Stasi-Unterlagen im Dresdner Archiv fand Nawalny die Namen von zwei KGB-Mitarbeitern, die heute zu den reichsten Männern Russlands gehören. Eine erstaunliche Karriere machte auch der Deutsche Matthias Warnig, der zeitgleich mit Putin in Dresden bei der Stasi war, dann für die Dresdner Bank in Petersburg arbeitete und heute nicht nur Chef von Nord Stream 2 ist, sondern bei Rosneft, Transneft und anderen großen Konzernen im Aufsichtsrat sitzt.

Wladimir Putin ließ sich am Dienstag beim rituellen Eisbad ablichten.
Wladimir Putin ließ sich am Dienstag beim rituellen Eisbad ablichten.
© Kremlin Press Service, dpa

Welche Enthüllungen gab es noch?

Nawalny nahm seinen Kampf gegen Korruption und Bestechlichkeit schon vor einem Jahrzehnt auf, es gibt deshalb bereits eine ganze Reihe von Veröffentlichungen. Vor drei Jahren hatte sich seine Stiftung beispielsweise auf den damaligen Regierungschef Dmitri Medwedew eingeschossen. Auch damals versuchte der Oppositionspolitiker mit einem Video nachzuweisen, dass Medwedew der heimliche Besitzer eines Imperiums aus Immobilien im In- und Ausland ist. Zuvor war es um den damaligen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika gegangen. Obwohl großer Mut dazu gehört, ist Nawalny auch nicht der einzige, der sich in Russland so intensiv mit dem Thema Korruption auseinandersetzt. In jüngster Zeit macht beispielsweise die Enthüllungsplattform „Proekt.ru“ von sich reden. Gerade hat sie eine bisher dreiteilige Serie mit dem Titel „Eiserne Masken“ veröffentlicht, in der es um geheime und korrupte Verbindungen zwischen Putin, Organen der Staatsmacht und dubiosen Neureichen geht. Der zweite Teil befasst sich mit einer angeblichen Affäre Putins in St. Petersburg, die die Mutter einer Tochter des Präsidenten zur Multimillionärin mit guten Beziehungen zu einigen Oligarchen machte.

Wie reagiert der Kreml?

Kreml-Sprecher Peskow erklärte russischen Journalisten am Dienstag, er habe das Video nicht gesehen. Und er fügte hinzu: Putin besitze keinen Palast in Gelendshik, darauf habe er schon vor Jahren hingewiesen. Die Geschichte sei eine „abgeleierte Schallplatte“, ein von Schurken verfasster Betrug. Die Behauptung, der Palast werde vom Personenschutz des Präsidenten bewacht, sei eine haltlose Unterstellung, „blanker Unsinn“. Besonders wichtig war Peskow offenbar ein Hinweis: Am Ende des Videos seien Kontonummern und ein Spendenaufruf zu sehen. „Mir scheint, das ist die Hauptaufgabe solcher Materialien, solcher Pseudoermittlungen. Das ist auch der entscheidende Betrug“, fügte der Kreml-Sprecher hinzu. Dieser Betrugsvorwurf ist ein deutlicher Hinweis, mit welcher Stoßrichtung die Staatsmacht juristisch weiter gegen Nawalny vorgehen wird.

Warum veröffentlicht Nawalny die Enthüllungen gerade jetzt?

Nawalny geht davon aus, dass Putin selbst den Giftanschlag auf ihn angeordnet haben muss – die Recherche über Putins Palast kann man als seine Antwort darauf verstehen. In dem Video berichtet Nawalny, die Idee zu der Recherche sei entstanden, als er noch auf der Intensivstation der Charité lag. Tatsächlich sind Teile der Dokumentation in Deutschland entstanden. Doch mit der Veröffentlichung wollte der russische Oppositionsführer unbedingt bis nach seiner Rückkehr nach Russland warten. „Denn wir wollten nicht, dass die Hauptfigur dieses Films denkt, dass wir Angst vor ihm haben.“ Am Sonntag wurde Nawalny festgenommen, am Montag zu vorerst 30 Tagen Haft verurteilt – und einen Tag später erschien das Video. Dieses Timing hat aber offensichtlich noch einen anderen Zweck. Nawalny und seine Weggefährten hoffen darauf, dass sowohl die Festnahme als auch die Enthüllungen über Putins Reichtümer die Menschen in Russland aufrütteln. Dem Video ist deswegen der Aufruf vorangestellt, am kommenden Samstag auf die Straße zu gehen. „Nawalny hat viele Jahre für unsere Rechte gekämpft. Nun sind wir an der Reihe, für ihn zu kämpfen.“

Was droht Nawalny jetzt?

Derzeit sitzt Nawalny seine 30-tägige Haftstrafe im Moskauer Gefängnis „Matrosenstille“ ab. Dieser Name ist jedem Russen ein Begriff, der Ort ist berüchtigt. Hier saßen die führenden Parteifunktionäre, die im Sommer 1991 gegen Gorbatschow putschten. Später war Michail Chodorkowski ein prominenter Insasse. In einer Zelle starb der Wirtschaftsanwalt Sergej Magnitzki. Nawalny wartet dort nun auf zwei Prozesse. Am 2. Februar soll die Umwandlung einer Bewährungs- in eine Haftstrafe verhandelt werden. Die Bewährung ist bereits abgelaufen, der Internationale Gerichtshof für Menschenrechte hatte ohnehin das gesamte Verfahren für rechtswidrig erklärt. Worum sich Moskau nicht schert. Am 5. Februar muss sich Nawalny wegen Verleumdung eines Weltkriegsveteranen verantworten. Dann ermitteln die Behörden auch noch wegen Spendenbetrugs. Die Anspielung des Kreml-Sprechers am Dienstag war also nicht zufällig.

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