Wahl und Geschlecht: "Im neuen Bundestag mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen"
Der Wahlausgang ist auch ein Schock für Gleichstellungspolitikerinnen. Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats über neue Herausforderungen nach dem 24. September.
Wo steht die Sache der Frauen nach diesem Wahltag, Frau Küppers?
Sicher nicht da, wo wir sie gern hätten. Es ist schon sehr bitter, dass jetzt eine Partei ins Parlament einzieht, die alles, wofür wir uns einsetzen, zum Feindbild erklärt. Da stehen wir vor ganz neuen Kämpfen. Wir werden erklären müssen, was es zum Beispiel in puncto Sozialleistungen für Lebenspartnerschaften, Alleinerziehende oder Regenbogenfamilien bedeutet, , wenn die „normale Familie“ zum Leitbild ausgerufen wird.
…von einer Partei, deren Spitzenkandidatin Alice Weidel mit Kindern in einer lesbischen Partnerschaft lebt.
Eine Spitzenkandidatin, deren eigenes Lebensmodell allem widerspricht, wofür sie politisch eintritt, das ist tatsächlich unfassbar. Und zeigt nebenbei ein hohes Maß an Verlogenheit, auf die wir uns erst einstellen müssen. Realitätsblindheit kommt dazu: Das Ernährermodell hat die Wirklichkeit schon sehr lange hinter sich gelassen. Es ist absurd, daran die Zukunft ausrichten zu wollen.
Die AfD wurde von 16 Prozent der Männer gewählt, aber doch auch von 9 Prozent der Frauen. Wie erklären Sie sich, dass auch Frauen sich von ihr angezogen fühlen?
Ich weiß nicht, ob sie sich wirklich angezogen fühlen, also zum Politikmodell der AfD ja gesagt haben. Für Frauen wie für Männer war die Partei die Möglichkeit, aktiv Unzufriedenheit mit den anderen Parteien auszudrücken, ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Ich denke auch, dass viele den Slogans aufgesessen sind. „Familie schützen“, das ist so eine Forderung, die man eigentlich nur unterschreiben kann. Man muss schon ins Kleingedruckte schauen, um zu sehen, was hier mit Familie gemeint ist: weiß, deutsch, Mann-Frau.
Nun wird die AfD weder mitregieren noch – so sieht es jetzt aus – die Opposition anführen. Diese Rolle will die SPD übernehmen.
Ich fürchte aber, dass von ihr Druck auf alle anderen Parteien ausgehen wird und der Diskurs sich nach rechts verschiebt. Das dürfte auch die Opposition nicht ausnehmen. Was die Gleichstellungspolitik angeht, die war in diesem Wahlkampf sowieso nicht das Lieblingsthema der Parteien. Die Anwesenheit der AfD wird das in den nächsten Jahren noch verstärken.
Hat sich da nicht längst etwas verschoben? In der SPD wurde die Kanzlerkandidatur unter drei Männern ausgemacht, selbst in Berlin gab es Bezirke, wo man auf den Plakaten einzelner Parteien keinen Frauenkopf sah.
Das war zum Glück nicht flächendeckend so. Tatsache ist aber, dass wir deutlich weniger Frauen im künftigen Bundestag haben werden, ihr Anteil sinkt auf 31 Prozent, das sind fünf Prozent weniger als im letzten Bundestag! Oder anders ausgedrückt: Im neuen Bundestag werden mehr als doppelt so viele Männer sitzen wie Frauen. Wir fordern schon lange ein Paritätsgesetz und es gibt ja Parteien, die zeigen, dass Geschlechterquoten funktionieren, ohne dass es weh tut.
Sie meinen Grüne und Linke?
Ja. Was wir aber jetzt brauchen, sind keine Lippenbekenntnisse, die „freiwillige Selbstverpflichtung“ heißen, sondern Verpflichtungen, nach denen gehandelt wird. Es ist einfach beschämend, wenn ein Parlament nicht spiegelt, dass die Gesellschaft zur Hälfte – mindestens zur Hälfte! – aus Frauen besteht.
Eine gleichstellungsfeindliche Partei kommt in den Bundestag, aber auch die etablierten sind nicht besonders aktiv in der Frauenpolitik. Hat der Feminismus versagt?
Was mit dem Begriff Feminismus belegt wird, heißt doch konkret sehr oft: Sich um Menschen zu kümmern, die abgehängt sind. Wenn wir von der Aufwertung von Pflegearbeit reden, von Entgeltgleichheit, über Gewalt, dann reden wir nicht nur, aber in erster Linie über Frauen.
Nach aktuellem Stand wird es zu einer Jamaika-Koalition kommen – mit den Grünen als kleinster und zugleich einziger der drei Parteien, für die Gleichstellung eine wichtige Rolle spielt. Ihr Ziel, Unternehmensführungen verpflichtend zu 30 Prozent mit Frauen zu besetzen, dürfte es da schwer haben.
Da sind Grüne und FDP in der Tat auf unterschiedlichen Seiten – auch beim Entgelttransparenzgesetz, das die Grünen zu einem Entgeltgleichheitsgesetz weiterentwickeln wollen, während die FDP da in erster Linie Belastungen für die Wirtschaft sieht. In der Anti-Gewalt-Politik sind sich beide näher als der Union. Ich hoffe jetzt erst einmal auf einen klug verhandelten Koalitionsvertrag. Ich hoffe auch auf eine konstruktive Oppositionspolitik, namentlich der SPD, wenn sie denn in die Opposition wechselt. Wir werden aufmerksam verfolgen, was sich tut.
Und was tun? Sind die deutschen Frauenorganisationen für die neuen Kämpfe gerüstet, von denen Sie sprachen?
Wir setzen auf eine starke frauenpolitische Opposition außerhalb des Bundestags. Wir werden in Zukunft noch öfter große Bündnisse schließen müssen, um mit breiter Brust dagegen anzugehen, nein, anzukämpfen, dass erreichter Fortschritt zurückgedreht wird. Das haben wir beim Thema „Nein heißt nein“ erfahren. Wir hatten ein Bündnis über die Parteigrenzen hinweg geschmiedet, wie es das lange nicht mehr gab.
Sie meinen Ihr Lobbying für das Gesetz, das letztes Jahr in Kraft trat und das jede sexuelle Handlung gegen den erklärten Willen der Frau bestraft.
Es gab eine riesige Allianz, die sich dafür stark machte. Das müssen wir in Zukunft öfter schaffen. Und sind dafür auch organisatorisch gut gerüstet, meine ich. Wir hatten sehr früh vor der Bundestagswahl schon einen Fachausschuss gebildet, der die Politik und Programme der Parteien durchforstete und einen Gleichstellungscheck zur Verfügung stellte. Der Ausschuss wird nun bis Ende des Jahres weiterarbeiten, um die Koalitionsverhandlungen kritisch zu begleiten und einen Aufgabenkatalog für die nächsten vier Jahre aufzustellen. Wir sind so nahe an der Politik wie nie zuvor.