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Wladimir Putin scheint nicht an einem Waffenstillstand interessiert.
© Sputnik/Mikhail Klimentyev

Telefondiplomatie ohne Erfolg: Im Kanzleramt wächst die Sorge vor einer weiteren Radikalisierung Putins

Die Telefonate des Bundeskanzlers mit Russlands Präsidenten sind wenig erbaulich. Militärexperten fordern massivere Waffenhilfe, um Putin irgendwie zu stoppen.

Im Kanzleramt schwindet zusehends die Hoffnung, dass mit Wladimir Putin ein schneller Waffenstillstand zu erreichen ist. Genau wird sein jüngstes Wüten gegen Feinde im Inneren analysiert, dazu gehört der Gebrauch von Begriffen wie „Säuberungen“. Zudem wächst die Sorge vor einer zunehmenden Radikalisierung, immerhin ist er der Herrscher der größten Atommacht der Welt.

Erst am Freitagmorgen, um 07.30 Uhr deutscher Zeit, hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch einmal eine Stunde mit Putin telefoniert.

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„Der Bundeskanzler hat gegenüber dem russischen Präsidenten darauf gedrängt, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand, zu einer Verbesserung der humanitären Lage und zu Fortschritten bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts kommt“, teilt sein Regierungssprecher danach mit.

Das Problem: Der russische Präsident verschärft stattdessen seinen Krieg in der Ukraine, statt diplomatischen Fortschritten scheint es gerade eher das Gegenteil zu geben.

Nicht erst die bewegende Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag hat die Erkenntnis in der Bundesregierung verstärkt, dass weitere Waffenlieferungen an Kiew notwendig sein könnten, um einen Sieg Russlands zu verhindern, um Putin irgendwie zu stoppen. Es ist ein schmaler Grat, weil ein Übergreifen des Kriegs um jeden Preis vermieden werden soll.

Scholz im Dilemma: Er kann nicht alles sagen, was Deutschland alles tut

Scholz hat das Problem, dass er vieles nicht kommunizieren will oder kann. Dafür nimmt er schlechte Presse, den Vorwurf des Zu-wenig-Tuns, in Kauf.

Nachdem zum Beispiel bekannt geworden war, dass die oft belächelten 5000 Helme per Bus in die Ukraine transportiert worden sind, will die Bundesregierung nichts mehr sagen zu Transportrouten und anderen Details, auch aus Sorge vor russischen Angriffen auf Lieferungen. Diese kommen in der Regel über Polen in der Westukraine an, doch offensichtlich eben nicht in klar erkennbaren Militärkonvois.

Ukraine wartet auf DDR-"Strela"-Raketen

Wenige Tage nach Kriegsbeginn hatte Deutschland auch mitgeteilt, dass es auch bis zu 2700 Flugabwehrraketen vom Typ "Strela" aus DDR-Beständen geliefert werden sollen, allerdings sind nicht alle noch einsatzbereit.

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Diese werden nun offenbar gestückelt über geheim gehaltene Wege und Transportmittel geliefert, erste Einheiten sollen in der Ukraine sein, aber nicht besonders viele.

Bis zu 2700 Stück Flugabwehrraketen vom Typ "Strela" werden an die Ukraine geliefert.
Bis zu 2700 Stück Flugabwehrraketen vom Typ "Strela" werden an die Ukraine geliefert.
© Foto: Bundeswehr/Michael Mandt/dpa

„Ich bitte um Ihr Verständnis, dass wir aus Gründen der Sicherheit und der Einstufung der Informationen keine weiteren Details zu Lieferungen bekannt geben können“, betont eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Einige Ausrüstungsgegenstände seien aber schon an die Ukraine geliefert worden.

Einkaufen auf dem internationalen Waffenmarkt?

Es gebe die klare Entschlossenheit weiter zu liefern, wird in Regierungskreisen betont. Der Militärexperte Carlo Masala hält den Ansatz für richtig, dass Deutschland verstärkt auf dem internationalen Waffenmarkt einkaufen sollte.

„Viele der Sachen, die die Ukrainer jetzt brauchen, sind gar nicht in den Beständen der Bundeswehr. Oder wenn sie in den Beständen sind, nicht abgegeben werden können, weil die Bundeswehr dann selbst nichts mehr hat.“

Sehr interessant sei in dem Kontext das Paket der Amerikaner. US-Präsident Joe Biden hatte weitere Waffenlieferungen und Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von 800 Millionen Dollar (730 Millionen Euro) angekündigt. Darunter Tausende Panzerabwehrwaffen, 800 Luftabwehrraketen, Granatwerfer und Drohnen.

Technische Details der Fliegerfaust 1 "Strela".
Technische Details der Fliegerfaust 1 "Strela".
© dpa

„Da ist vieles drin, was die Ukrainer jetzt genau brauchen, zum Beispiel auch Artillerieortungsradare, Boden-Luft-Raketen zur Bekämpfung russischer Flugzeuge.“ Das müsse man auf dem internationalen Markt zukaufen.

Angriff bei Lwiw: Ein Signal an den Westen?

In der westukrainischen Stadt Lwiw wurde am Freitag ein Werk für Flugzeugwartungen am Flughafen bombardiert. "Mehrere Raketen schlugen in einer Fabrik ein, in der Flugzeuge repariert werden", schrieb der Bürgermeister Andrij Sadowyj auf Facebook. Das Gebäude sei durch den Beschuss zerstört worden.

„Natürlich, das war ein Signal an den Westen, sich nicht allzu sehr in diesen Konflikt einzumischen“, sagt Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München. Gerade weil der Ort so nahe an der polnischen Grenze liegt. Das Signal laute: „Haltet Euch daraus, wir können auch noch weitergehen.“

Masala bringt die Logik der verstärkten Waffenlieferungen bei Twitter aus seiner Sicht so auf den Punkt: „Waffenlieferungen verlängern den Konflikt. Sie ermöglichen es der ukrainischen Armee den russischen Vormarsch aufzuhalten, ihn sogar zurückzudrängen und retten damit auch Leben. Keine Waffenlieferungen verkürzen den Konflikt. Die Russen würden ihn gewinnen.“

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