Rätseln über Nahost-Geheimplan: Im „Jahrhundertdeal“ ist kein Palästinenser-Staat geplant
US-Präsident Trump strebt eine große Lösung im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern an. Doch eine Zwei-Staaten-Variante steht wohl nicht zur Debatte.
Es sind selbst für die Dauer-Krisenregion Naher Osten heikle Zeiten. Der Konflikt zwischen der Hamas und Israel könnte jederzeit wieder eskalieren. Keiner kann einen Krieg ausschließen.
Erst vor wenigen Tagen hatten die Islamisten 700 Raketen auf den jüdischen Staat abgefeuert, die Regierung in Jerusalem reagierte mit massiven Angriffen auf den Gazastreifen. Militante Palästinensergruppen drohen sogar damit, Israel während des Eurovision Song Contest zu attackieren.
Doch als noch folgenreicher könnte sich Donald Trumps Friedensplan erweisen. Die Verkündung des „ultimativen Jahrhundertdeals“ wurde zwar immer wieder verschoben. Nun soll das lange Warten aber Anfang Juni ein Ende haben. Das Team des US-Präsidenten will nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan den bisher geheimen Plan vorstellen.
Mehr als zwei Jahre ist das Ganze vorbereitet worden. Vor allem von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner. Der war als Nahost-Berater oft in der Region unterwegs, sprach mit Politikern, Regierungschefs und Monarchen – aber nicht mit den Palästinensern. Und die ahnen längst: Der Deal dürfte kaum zu ihren Gunsten ausfallen.
Worauf läuft Trumps Friedensplan vermutlich hinaus
Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass ein eigener, souveräner Staat wohl nicht Bestandteil der groß angekündigten ultimativen Lösung des Nahostkonflikts sein wird. „Wenn die Menschen an alten, traditionellen Diskussionsansätzen festhalten, werden wir niemals Fortschritte erzielen“, sagte Kushner erst vor Kurzem.
Die Arabische Friedensinitiative von 2002, die zwei Staaten vorsah, sei zwar ein guter Versuch gewesen. „Aber hätte es funktioniert, hätten wir auf dieser Basis längst Frieden geschaffen.“ Mit anderen Worten: Wenn es nach Trump und seinen Beratern geht, bleibt der Wunsch der Palästinenser unerfüllt.
Stattdessen setzen die USA offenbar auf wirtschaftliche Hilfe und damit auf verbesserte Lebensbedingungen. Man habe einen „robusten Geschäftsplan für die gesamte Region“ entwickelt, sagte Kushner. Beobachter sprechen bereits davon, dass die USA die Zustimmung der Palästinenser erkaufen wollen – finanzielle Unterstützung statt Souveränität, Geld statt Staat.
Ob und wie viel die USA selbst zur Verfügung stellen würden, ist unklar. Viel spricht dafür, dass Trump die Golfstaaten in die finanzielle Pflicht nehmen will. So soll Kushner bei seinen Reisen in die Region Scheichs und Könige gedrängt haben, jede Menge Geld zur Verfügung zu stellen. Berichten zufolge geht es insgesamt um 40 Milliarden Dollar.
Welcher Status für die Palästinensergebiete schwebt der Trump-Administration vor?
Offenbar kein neuer. Eine Gruppe europäischer Ex-Außenminister warnte bereits, Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete steuerten auf eine „Einstaatenlösung mit ungleichen Rechten“ zu. Dazu käme es, wenn Premier Benjamin Netanjahu, wie im Wahlkampf angekündigt, die Souveränität des jüdischen Staats auf Teile des besetzten Westjordanlandes ausweitet – die palästinensischen Bewohner aber nicht zu gleichberechtigten Staatsbürgern macht.
Ob es dazu kommt? Zumindest soll Israel die Sicherheitskontrolle über das Westjordanland weitgehend behalten, das deutete US-Botschafter und Siedlerfreund David Friedman im März an. Auch Kushner bestätigte jüngst: „Der Plan verlangt Zugeständnisse von beiden Seiten, wird aber die Sicherheit Israels nicht aufs Spiel setzen.“
Damit bliebe die Autonomie der Palästinenser im Westjordanland nach wie vor begrenzt. Am heutigen Status, den Präsident Mahmud Abbas und sein Volk als inakzeptabel empfinden, würde sich wenig ändern.
Käme es so, würde dies die Befürchtungen der Palästinenser ebenso bestätigen wie deren Vorbehalte gegenüber Trump. Seit dessen Amtsantritt schwanken sie zwischen Hoffnungslosigkeit, Frustration, Enttäuschung und Wut. Von Anfang an hat die US-Administration gezeigt, dass die Interessen der Palästinenser für sie eher eine untergeordnete Rolle spielen.
Schon 2017 hat Abbas den Kontakt zu den USA eingestellt, nachdem diese Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannt haben. Es folgten weitere Rückschläge: der US-Botschaftsumzug von Tel Aviv nach Jerusalem, die Streichung von Hilfsgeldern in Millionenhöhe, die Schließung des Jerusalemer Konsulats, das sich bislang um Angelegenheiten von Palästinensern kümmerte, sowie die Schließung der diplomatischen PLO-Vertretung in Washington. Für die Palästinenser steht deshalb fest, dass Amerika als ehrlicher Makler und Vermittler ausgedient hat.
Was können die Palästinenser tun?
Ihre Hoffnungen sind mit Blick auf den Friedensplan mehr als gedämpft. So hat der neue palästinensische Premier Mohammed Shtayyeh das Vorhaben eine „Totgeburt“ genannt. „Das ganze System besteht darin, uns zum Aufgeben zu bewegen.“ Er sprach von einer „finanziellen Erpressung“ seitens der USA. „Die Palästinenser sind nicht an wirtschaftlichem Frieden interessiert. Wir wollen ein Ende der Besatzung.“ Ein Fortbestand des Status quo wollen die Palästinenser auf keinen Fall akzeptieren.
Sie setzen nun auf Hilfe aus Europa. Wieder einmal. Außenminister Riyad al Maliki sagte jüngst, die Palästinenser hätten die Außenminister der EU-Staaten um ein baldiges Treffen gebeten, um über Amerikas Friedensplan zu sprechen. Doch Europa hat im Nahen Osten so gut wie nichts zu bestellen. Als großzügige Geldgeber sind Paris, Brüssel, London und Berlin immer gern gesehen. Nur bedeutet das eben nicht, Einfluss zu haben.
Welche Rolle spielen die arabischen Staaten?
Abbas versucht, die arabischen Staaten dazu zu bewegen, den Plan abzulehnen. Die allerdings lassen bisher wenig Engagement erkennen, sich für ihre palästinensischen Schwestern und Brüder ins Zeug zu legen. Das wortreiche Einfordern eines souveränen Palästinas werten Experten als Lippenbekenntnisse, die zum ideologischen Standardrepertoire gehören. Aber eben nicht mehr.
Sollte Donald Trump der Zweistaatenlösung tatsächlich eine klare Absage erteilen, wird sicherlich öffentlichkeitswirksam protestiert. Echter Widerstand ist jedoch kaum zu erwarten. Gerade Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben längst andere Prioritäten. Und die verbinden sie mit dem einstigen Erzfeind Israel.
Denn den sunnitischen Herrschern geht es vorrangig darum, den schiitischen Iran einzuhegen. Die Mullahs gelten ihnen als größte Konkurrenz – und Bedrohung ihrer Macht. Diese Furcht vor Teheran treibt auch Netanjahu seit Jahrzehnten um. Das macht ihn zu einem „natürlichen“ Verbündeten.
Da kann es nicht überraschen, dass seit Monaten kolportiert wird, Emissäre des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman hätten die Palästinenser bedrängt, Trumps Angebot zu akzeptieren – egal, wie es ausfällt. Mehr könnten sie nicht erwarten. Bin Salman war es auch, der vor einem Jahr den Israelis einen eigenen Staat zubilligte und damit das Existenzrecht anerkannte. Der Nahe Osten sortiert sich neu. Und die USA stehen dem nicht entgegen. Im Gegenteil.
Wird auch Israel größere Zugeständnisse machen müssen?
Netanjahu gehört zu jenen, die von Trumps Weltsicht besonders stark profitieren. Der konservative Regierungschef hat in kurzer Zeit großzügige politische Geschenke erhalten – vom Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem bis hin zur Anerkennung der israelischen Souveränität über die besetzten Golanhöhen. Daher dürfte ihm auch der „Jahrhundertdeal“ wenig Zugeständnisse abverlangen.
Niemand rechnet derzeit damit, dass die Palästinenser zum Beispiel ganz Ostjerusalem als Hauptstadt zugesprochen bekommen. Eher wird der Autonomiebehörde wohl ein am Rande Jerusalems gelegener Ort wie Abu Dis als künftiger Sitz angeboten, was nach Abbas’ Überzeugung nichts anderes als ein Affront wäre.
Ähnlich dürfte seine Reaktion ausfallen, wenn sich bestätigt, dass Israels große Siedlungsblöcke im Westjordanland Bestand haben werden – obwohl sie gegen Völkerrecht verstoßen und einen territorial geschlossenen Palästinenserstaat im Grunde unmöglich machen. Vermutlich rechnen die Menschen im Westjordanland und Gaza ohnehin mit nichts anderem. An Trumps Friedensplan glaubt dort keiner.