Erdogan in Deutschland: Im Geben und Nehmen mit der Türkei
Recep Tayyip Erdogan soll in Deutschland politisch nichts geschenkt werden, wirtschaftlich auch nicht. Aber es wird etwas in Aussicht gestellt. Ein Kommentar.
Das war es, das Wort, das so vieles sagt: „Missverständnisse“. Als die Kanzlerin das Verhältnis zur Türkei beschrieb, war offenbar der Wunsch die Mutter des Gedankens. Wenn es doch nur tiefgreifende Missverständnisse wären, die es so schwierig machten mit dem türkischen Präsidenten – ja, dann wäre die Normalisierung leichter zu erreichen. Ist sie aber nicht, denn es bestehen tiefgreifende Meinungsunterschiede über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
Weil Staaten keine Freunde kennen, nur Interessen, wie der alte Lord Palmerston sagte, ist es auch kein wirklicher Freundschaftsbesuch, den Erdogan absolviert. Es ist ein Staatsbesuch mit rotem Teppich und Bankett. Das ist viel, vielleicht zu viel, weil ein Arbeitsbesuch, also eine Kategorie darunter, es auch getan hätte. Erdogan macht doch Arbeit. Aber weil es darum geht, den schwierigen Gast von der Schwelle zum Orient nach Jahren der, sagen wir, konfrontativen Zusammenarbeit wieder für den Weg gen Westen zu gewinnen, wird ihm mehr Ehre zuteil, als er verdient hätte.
Jedenfalls, wenn es nach der Mehrheit der Deutschen geht. Wie groß war der Unmut über das Foto von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit Erdogan im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft! Schon vergessen? Die Reaktion war so, dass man nicht im Traum an diesen Tag denken konnte. Und jetzt ist es nicht Özil, sondern Angela Merkel, die dem Präsidenten die Hand schüttelt. Sie schenkt ihm sogar ein schmales Lächeln.
Schenken ist auch so ein Wort, das hier passt – weil es vieles von dem Geschehenen umfasst. Erdogan soll politisch nichts geschenkt werden, wirtschaftlich auch nicht, aber in Aussicht gestellt; das sagt die Behandlung, die er in Deutschland genießt. Heißt: Die politische Zusammenarbeit wird ausgedehnt, die wirtschaftliche Kooperation vorbereitet. Nur nicht geschenkt, sondern im Geben und Nehmen. Da wird Erdogan schon noch mehr geben müssen.
Die Wirtschaft liegt am Boden, die Währung verfällt
Zumal der Präsident auch nicht mit einer Position der Stärke kommt. Seine Wirtschaft liegt am Boden, die Währung verfällt, die USA üben massiven Druck aus, die EU kürzt ihre Gelder bis 2020 um 40 Prozent, genauer: um fast 760 Millionen. Die Milliardenhilfen aus dem Flüchtlingsabkommen werden nicht angetastet, nur retten sie das Wachstum nicht. Es wird in der Türkei fast nichts mehr produziert, sogar Gemüse wird inzwischen eingeführt. Für die Türkei wird die Herausforderung täglich größer.
Will Erdogan, der sich daheim als Sultan aufführt, die Lage beherrschen, muss er sein Verhalten ändern. Grundlegend. Er muss politisch Entgegenkommen zeigen – und nicht den Islamistengruß. Wer sich so einschätzt wie Erdogan, als Anführer der islamischen Welt, wer auch gerne nach Deutschland hineinregiert, wo fast drei Millionen Menschen türkischer Herkunft sind, der hat es bestimmt sehr mit der Selbstachtung: nur keine Schwäche, immer der Starke. Doch sei es Psychologie, Staaten sind keine Therapeuten. Deutschland hat Interessen.
Dass 69 Personen „unter Terrorverdacht“ ausgeliefert werden sollen, wie Erdogan verlangt, auch sein Kritiker Can Dündar – das zeigt: Da gibt es keine Missverständnisse, da bleiben tiefgreifende Meinungsunterschiede. Das ist der schwierige Teil des Weges. Die Hoffnung des Gastgebers, des Bundespräsidenten, wird enttäuscht: Aller Anfang ist schwer.
Stephan-Andreas Casdorff