Geflohene Afghanen im pfälzischen Ramstein: „Ich kann nicht denken, ich lasse alles einfach geschehen“
Auf dem US-Stützpunkt Ramstein bereiten sich 15.000 Afghanen auf ihren Flug in die USA vor. Der Schock über die Eskalation in Afghanistan ist vielen anzusehen.
„Ich habe keine Ahnung, was für ein Leben vor mir liegt“, sagt Zubair Hakimi. „Ich kann gar nicht denken, ich lasse gerade alles einfach geschehen.“ Der 26-Jährige, hellblaues Hemd, gepflegter Vollbart, beige Mütze, steht im Flugzeughangar 5 der Luftwaffenbasis im pfälzischen Ramstein.
Aus Bauzäunen hat das US-Militär in der riesigen Halle neun provisorische Abfluggates gebaut. Durch das geöffnete Hangartor ist das Vorfeld der Airbase zu sehen, auf dem Flugzeuge darauf warten, Menschen wie Hakimi in die USA auszufliegen – in ein neues Leben fernab von Afghanistan, aus dem das US-Militär sie evakuiert hat.
Die Sitzreihen des Behelfsterminals sind fast vollständig gefüllt. Einige tragen traditionelle afghanische Gewänder, andere Jeans. Viele haben sich in Decken gehüllt, verfolgen mit müden Blicken, wie Soldaten immer wieder die Zäune öffnen, um neue Familien in den Abflugbereich zu bringen. Kinder liegen auf Koffern, einige rennen durch die Reihen, ein Mädchen schiebt ihren Kopf durch den Zaun und bittet einen Soldaten um eine Flasche Wasser.
Nichts als die Flucht geblieben
„Ich hätte nie für möglich gehalten, dass so viele Menschen evakuiert werden“, sagt Zubair Hakimi, der seine kleine Tochter auf dem Arm trägt. Der junge Mann erzählt in Englisch, er habe auf der Nato-Basis in Kabul als Techniker für die Amerikaner gearbeitet.
Seiner Familie sei nur die Flucht geblieben, als die Taliban die Stadt erreichten. Er sei froh, dass er das Land verlassen konnte, bevor es am Flughafen von Kabul am 26. August zum Anschlag mit annähernd 200 Toten kam. Mit einer deutschen Militärmaschine seien er, seine Frau, seine zwei Kinder und sein Bruder zwei Tage vorher nach Usbekistan evakuiert worden, dann weiter nach Frankfurt und von dort letztlich auf die Ramstein Airbase gebracht worden.
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Mit Familie Hakimi warten derzeit rund 15.700 Evakuierte auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in der Pfalz auf ihre Ausreise in die USA. Mit mehr als 500 Zelten hat das Militär ein großes umzäuntes Camp errichtet, das bis an die Flughafenhangar reicht.
Großküchen aus den Umlandgemeinden unterstützen die Airbase bei der Versorgung der Menschen. Neben den Soldaten sind viele Reservisten, Freiwillige, US AID und das amerikanische Rote Kreuz im Einsatz. „Das ist die größte humanitäre Mission, die ich in meinen 25 Jahren beim Militär gesehen habe“, sagt Colonel Adrienne Williams.
Wie lange sie voraussichtlich dauern wird, das kann die Kommandeurin des 521. Air Mobility Operations Wing nicht beantworten. Noch immer bringen die klobigen C-17-Transportmaschinen Tag für Tag bis zu 2000 evakuierte Afghanen nach Ramstein. Die meisten starten in Usbekistan und Katar. Acht bis zehn Flugzeuge verlassen Ramstein täglich Richtung USA. Der Anspruch der Amerikaner ist es, dass kein Evakuierter länger als zehn Tage in Ramstein bleibt. Ausgeflogen wurden von dort aus bis heute mehr als 15.000 Menschen.
Geburt auf Evakuierungsflug
„Wenn ich in die Busse schaue, in denen die Menschen vom Terminal zu den Flugzeugen gebracht werden, dann sehe ich lächelnde Gesichter“, sagt Colonel Williams. Auf einem der Evakuierungsflüge sei ein Mädchen geboren worden. „Für mich symbolisiert das Hoffnung, denn die Möglichkeiten, die sie haben wird, sind phänomenal“, schwärmt Williams.
Dass der abrupte Abzug der Amerikaner aus Afghanistan diese Menschen erst in Gefahr gebracht und viele sogar das Leben gekostet hat, darauf mag die Kommandeurin nicht eingehen. „Wir retten hier Leben“, stellt Williams klar.
Andy Halus, der vom US-Konsulat in Frankfurt am Main nach Ramstein abkommandiert ist, beteuert, das US-Militär wisse sehr genau, wen es aus Afghanistan evakuiert habe. Berichte über Afghanen, die sich zu unrecht auf deutschen Evakuierungslisten befunden hätten, möchte er nicht kommentieren.
„Gewissenhafter und gründlicher Prozess“
„Hier läuft ein sehr gewissenhafter und gründlicher Prozess, in dem alle Ankommenden identifiziert und gecheckt werden“, erklärt Halus. Militär, Verteidigungsministerium, Department of Homeland Security, Geheimdienst, FBI und Zoll seien an dem Prozedere beteiligt. Priorität bei der Evakuierung hätten amerikanische Staatsbürger, Greencard-Besitzer und Menschen, die für das US-Militär gearbeitet hätten und daher schutzbedürftig seien. „Mir ist bisher kein Fall bekannt, in dem ein Evakuierter aus Sicherheitsgründen oder anderen Bedenken nicht ausgeflogen wurde“, sagt Halus.
Der 25-jährige Ali Zahawi wartet gemeinsam mit seiner Frau und seinen vier Kindern im Hangar5 auf den Abflug in die Heimat. „Wir sind amerikanische Staatsbürger, leben eigentlich in Salt Lake City und waren für die Hochzeit meiner Cousine in Kabul“, berichtet er. Niemals habe er erwartet, dass sich die Lage in dem Land, in dem er geboren wurde, so schnell zuspitzen könnte.
„Wir wussten nicht, was wir tun sollen“
„Abends habe ich im Fernsehen noch Joe Biden gesehen, der sagte, Kabul sei auf Monate hin sicher, und am nächsten Morgen bin ich aufgewacht und überall waren Taliban in der Stadt“, schildert Zahawi. „Wir wussten nicht, was wir tun sollen und sind zum Flughafen gelaufen.“
Dank der US-Pässe seien seine Familie und er schnell nach Katar evakuiert worden und eine Woche später weiter nach Ramstein. „Mein Eindruck ist, dass niemand hier glücklich ist“, sagt Zahawi und schaut auf die Reihen der Wartenden.
Der Schock über die Eskalation der Lage in Afghanistan überwiege eindeutig die Zuversicht auf ein Leben in Sicherheit in den USA. Viele Familien hätten Angehörige zurücklassen müssen und seien nun in großer Sorge.
Keine Zukunft im Land
Zubair Hakimi berichtet: „Ich habe vorhin mit einer Frau gesprochen, deren Mann von Afghanistan nach Frankreich evakuiert worden ist.“ Vom US-Militär habe sie erfahren, dass ihr dennoch nur die Ausreise in die USA bleibe. So seien derzeit die Regeln.
Dass unter den evakuierten Afghanen in Ramstein auch einige seien, die nicht für die Amerikaner oder andere Nato-Truppen gearbeitet haben, könne er mit Gewissheit sagen. „Es ist vielleicht nicht richtig, aber ich kann verstehen, dass sie keine Zukunft in Afghanistan sehen, wenn die Taliban an der Macht sind“, sagt Hakimi.
Er selbst hoffe, dass er in den USA in seinem bisherigen Beruf als Techniker Arbeit finde. Wo Hakimi und seine Familie landen werden, wissen sie noch nicht. Dallas und Philadelphia sind die Destinationen, in die das US-Militär die Evakuierten derzeit ausfliegt. Hakimi erzählt, er halte per WhatsApp Kontakt zu einem ehemaligen US-Soldaten, mit dem er in Kabul zusammengearbeitet habe. „Vielleicht kann er mir helfen“, hofft er.