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Angela Merkel am Sonntagabend im Konrad-Adenauer-Haus.
© Tobias Schwarz/AFP
Update

Merkel zur Kanzlerkandidatur 2017: "Ich bin genauso das Volk, wie andere das Volk sind"

Angela Merkel will bei der Bundestagswahl 2017 erneut als Kanzlerkandidatin antreten. Auch den CDU-Vorsitz will sie behalten. Energisch wurde sie am Sonntag, als die Sprache auf die AfD kam.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will wieder für den CDU-Vorsitz und das Kanzleramt kandidieren. Das gab die 62-Jährige am Sonntag in Berlin bekannt. Seit Monaten schon sei sie immer wieder gefragt worden, wann sie ihre Entscheidung mitteilen werde, sagte Merkel am Abend bei einer Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus. "Der geeignete Zeitpunkt ist heute da."

Merkel machte deutlich, dass sie den Entschluss erst spät gefasst habe. "Ich habe unendlich viel darüber nachgedacht", sagte sie. "Die Entscheidung für eine vierte Kandidatur ist nach elf Amtsjahren alles andere als trivial - weder für das Land, noch für die Partei, noch für mich persönlich", erklärte die CDU-Chefin. Sie wolle sich aber nun für eine ganze Legislaturperiode von vier Jahren bewerben.

Die Kanzlerin begründete ihren Schritt mit innen- und außenpolitischen Überlegungen, die sie am starken gesellschaftlichen Wandel und einer großen Polarisierung in der Welt festmachte. Die Bürger hätten wenig Verständnis dafür, wenn sie ihre Erfahrung und ihre Fähigkeiten "in unsicheren Zeiten" nicht wieder in die Waagschale werfen würde.

"Wir werden es mit Anfechtungen von allen Seiten zu tun haben", sagte Merkel. Damit bezog sie sich - ohne den Namen zu nennen - einerseits auf die AfD, andererseits erwähnte die Kanzlerin aber auch die Perspektive einer rot-rot-grünen Bundesregierung, durch die ihre Partei herausgefordert sei. Auch das Spannungsfeld zwischen Russland und Amerika und die Bedrohung der eigenen Werte nannte sie in diesem Zusammenhang.

Merkel kündigte einen Wahlkampf an, der "sehr anders" sein werde als in der Vergangenheit. Allerdings warb sie auch für eine zivilisierte Auseinandersetzung. "Wir werden sie unter Demokraten führen - und im Ton von Demokraten." Für Hass sieht sie auch im Wahlkampf keinen Platz. "Mein Ziel in der Politik ist es, für den Zusammenhalt in diesem Land zu arbeiten", sagte die CDU-Vorsitzende. "Ich weiß, dass niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat."

Streckenweise gab sich die Kanzlerin gleichermaßen gelöst wie kampfeslustig. "Wir wollen miteinander streiten", sagte sie. Zugleich dämpfte sie aber auch die Erwartungen an sie persönlich, nachdem sie in den letzten Tagen teils schon zur Anführerin der freien Welt ausgerufen worden war - wegen der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. "Kein Mensch alleine, auch nicht mit größter Erfahrung, kann die Dinge in Deutschland, Europa und in der Welt zum Guten wenden", sagte Merkel. "Erfolge erzielen, das geht wirklich nur gemeinsam." Sie erinnerte an den Wahlspruch ihrer ersten Kandidatur. "Wir wollen Deutschland dienen, ich will Deutschland dienen", hatte sie 2005 verkündet. "Das leitet mich auch heute."

Große Ziele nennt sie nicht

Später am Abend war Merkel in einem (aufgezeichneten) Gespräch in der ARD-Talkshow von Anne Will zu Gast. "Kann ich dem Land noch etwas Neues geben?", sei ein zentraler Aspekt bei der Abwägung gewesen, ob sie noch einmal antreten soll, sagte sie. Sie fühle sich noch neugierig und stark genug.

Vage blieb die Kanzlerin jedoch bei der Frage, welche politischen Ziele sie in den nächsten Jahren verfolgen will. Statt auf große Konzepte verwies sie auf die situativen Lösungen, die ihre Kanzlerschaft schon oft geprägt haben - vom EU-Türkei-Abkommen als Antwort auf die Flüchtlingsfrage bis zu Detailverbesserungen bei der Rente.

Energisch wurde Merkel allein, als es um die AfD ging. Sie wies den Anspruch der Rechtspopulisten zurück, für die Allgemeinheit zu sprechen und die anderen als Elite abzustempeln. Nicht nur der, der Kritik übe, könne für sich in Anspruch nehmen, die Bevölkerung zu repräsentieren. "Ich bin genauso das Volk, wie andere das Volk sind", sagte die Kanzlerin. Probleme ließen sich in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung nicht durch Abschottung lösen. "Ich glaube, wir müssen offen sein."

Im CDU-Vorstand gab es "tosenden Applaus"

Zuvor hatte Merkel ihre Entscheidung schon im CDU-Präsidium mitgeteilt. Demnach erklärte sie sich gleich zu Beginn der Sitzung des engsten Führungszirkels der Partei, vermeldeten mehrere Agenturen übereinstimmend. Sie erntete breite Zustimmung, es wurde lange auf die Tische geklopft, hieß es. Merkel warnte aber vor einem nicht einfachen Wahlkampf.

Die Vorsitzende erklärte sich nach Angaben von Teilnehmern gleich zu Beginn der Sitzung des CDU-Präsidiums, dem engsten Führungszirkel der Partei. Zwei Stunden später teilte sie auch dem Vorstand ihre Entscheidung mit und bekam nach Angaben von Teilnehmern "tosenden Applaus".

In den vergangenen Wochen hatten sich zahlreiche CDU-Landespolitiker wie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und die Regierungschefin des Saarlands, Annegret Kramp-Karrenbauer, für eine weitere Amtszeit Merkels ausgesprochen. Zuletzt hatte sich der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bei CNN überzeugt gezeigt, dass Merkel wieder antritt.

Auch aus der Schwesterpartei CSU war trotz der inhaltlichen Differenzen Unterstützung für Merkel gekommen. Der Grüne Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident Baden-Württembergs, plädierte kürzlich ebenfalls für eine weitere Kanzlerschaft Merkels.

DGB-Chef erhöht den Druck auf Sigmar Gabriel

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte schon Samstag gesagt, mit einer erneuten Kanzlerkandidatur Merkels zu rechnen und sich "auf eine demokratische Auseinandersetzung" zu freuen. Die SPD sehe sich durch eine Ankündigung Merkels aber nicht unter Zugzwang. Die Verkündung von Merkels Entscheidung bringt nun neue Dynamik in die Debatte bei den Sozialdemokraten. "Wir benötigen jetzt aber auch Klarheit bei der SPD", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann dem Tagesspiegel. "Deshalb ist es an der Zeit, dass der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel erklärt, ob er als Kanzlerkandidat zur Verfügung steht."

Die CDU wählt am 6. Dezember beim Bundesparteitag in Essen ihre Spitze neu. Merkel ist seit April 2000 CDU-Vorsitzende und seit November 2005 Kanzlerin. Sollte sie 2017 zum vierten Mal gewinnen, hat sie die Chance, CDU-Mitbegründer Konrad Adenauer und auch Rekordhalter Helmut Kohl einzuholen. Adenauer war 14 Jahre, Kohl 16 Jahre Bundeskanzler.

Obama rollte ihr den roten Teppich aus

Merkel gilt trotz der Flüchtlingskrise im vorigen Jahr und trotz der daraufhin einbrechenden Beliebtheitswerte für sie persönlich und die ganze Union als konkurrenzlos in der CDU. International wird sie nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA als letzte Verteidigerin westlicher Werte gesehen.

Barack Obama sagte bei seinem Abschiedsbesuch am Donnerstag, er könnte sich vorstellen Merkel zu wählen, wenn er Deutscher wäre. Er hätte sich keine "standfestere und verlässlichere Partnerin" auf der internationalen Bühne wünschen können, lobte der scheidende US-Präsident die Kanzlerin. Dabei hob er erneut ihre Flüchtlingspolitik hervor. (mit dpa, AFP, rtr)

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