Streit um flexiblere Arzttermine: Honoraraufschlag für die Abend-Sprechstunde?
Abends und am Wochenende haben fast alle Arztpraxen geschlossen. Der SPD-Experte Karl Lauterbach will das ändern. Notfalls per Gesetz.
Wenn es der Debatte noch an böser Zuspitzung gefehlt hatte, dann erledigte das dieser Satz von Karl Lauterbach. Der ein oder andere Arzt werde „ab Mittwochnachmittag auf dem Golfplatz gesehen“, bemerkte der SPD-Politiker im tobenden Streit um die Ausweitung der Sprechstundenzeiten für Kassenpatienten. Alles drin an Klischees, was die praktizierende Medizinerschaft so auf den Baum bringt: dass sie dank üppiger Honorare in ungebührlichem Luxus schwelgen, dass sie dafür viel zu wenig arbeiten, dass ihnen ihre Freizeit wichtiger ist als ordentliche Patientenversorgung.
„Zynischer und niederträchtiger kann man eine Berufsgruppe nicht diskreditieren“, keilte Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Verbands der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV-Virchow- Bund) am Freitag zurück und forderte eine Entschuldigung. Dabei geht es – jenseits aller Polemik – um Fragen, die sich viele stellen: Wieso sind die meisten Arztpraxen abends und am Wochenende geschlossen? Warum nehmen die Doktores bei den Öffnungszeiten so wenig Rücksicht auf Berufstätige, die sich, wenn sie nicht bereits krankgeschrieben sind, für jede Vorsorgeuntersuchung oder Facharzt-Visite eigens freinehmen müssen?
Nicht mal jede fünfte Praxis hat am Freitagnachmittag geöffnet
Eröffnet hatten den Disput die Krankenkassen – und zwar als Reaktion auf eine Forsa-Umfrage unter 1400 niedergelassenen Haus- und Fachärzten. Demnach hat nur jede fünfte Praxis mittwochs zwischen 14 und 17 Uhr geöffnet. An Freitagnachmittagen liegt die Quote sogar unter 20 Prozent. Sprechstunden nach 18 Uhr bieten etwas mehr als die Hälfte aller Praxen an. Nach 19 Uhr sind es je nach Wochentag aber nur noch neun bis zwölf Prozent. Und am Samstagvormittag läuft fast gar nichts: Laut Umfrage finden finden Patienten zu dieser Zeit nur in ein bis zwei Prozent der Praxen Behandlung.
„Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte“, schimpfte Johann-Magnus von Stackelberg, Vize-Vorstandschef des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit auf die Umfrageergebnisse sei es „kein Wunder, dass immer mehr Menschen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser gehen“. Damit Patienten besser versorgt würden, müsse sich insbesondere am frühen Abend und an den Wochenenden „einiges ändern“.
Arztfunktionäre nennen Kassenforderung "dreist und frech"
Die Arztverbände brachte solche Forderung in Rage. Schließlich haben sie noch nicht mal ihren Frieden mit dem Vorhaben von Gesundheitsminister Jens Spahn gemacht, der ihnen die Zahl der Pflicht-Sprechstunden pro Woche gesetzlich von 20 auf 25 hochsetzen will. „Die Niedergelassenen arbeiten 52 Wochenstunden im Schnitt und leisten häufig viel mehr Sprechstunden als sie müssten“, betonte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen. Die Aussagen des Kassenverbands seien „ein Schlag ins Gesicht der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und zeugen von der Ferne von Krankenkassenfunktionären zur Versorgung von Patienten“.
Zudem gäben die Kassen „ein unendliches Leistungsversprechen“ und bezahlten im Schnitt fast 15 Prozent der ärztlichen Leistungen nicht, wetterte Gassen. „Bei der ständigen Zechprellerei jetzt noch eine Serviceangebotserweiterung zu fordern, ist einfach nur dreist und frech.“
Es geht nicht um Mehrarbeit, sondern um mehr Flexibilität
Auch der Chef des Verbands der niedergelassenen Ärzte benutzt dieses Bild. „Wer auf 29,3 Milliarden Euro Überschüssen sitzt, ambulante ärztliche Leistungen für seine Versicherten abruft und diese nicht bezahlt, verhält sich wie ein Zechpreller“, sagte Heinrich. Wenn dieser Zahlungsunwillige nun noch mehr Sprechstunden fordere, sei das so, wie wenn er weitere Lokalrunden schmeißen wolle.
Man verlange den Ärzten doch gar keine Mehrarbeit ab, entgegnet Lauterbach. Es gehe nur darum, die Sprechstundenzeiten „so einzurichten, dass sie für die Bürger brauchbar sind.“ Inhaltlich gegen flexiblere Öffnungszeiten zu argumentieren, scheint allerdings schwierig. Gassen behauptet einfach mal, dass die Kassen mit ihrer Umfrage zu den Sprechstundenzeiten „fake news“ verbreiten. Und verweist ansonsten auf den Bereitschaftsdienst, der den Patienten in sprechstundenfreien Zeiten schließlich zur Verfügung stehe.
"Riesenstress" und verschleppte Krankheiten
Lauterbach dagegen betont den „Riesenstress“, den viele Arbeitnehmer und insbesondere berufstätige Mütter aufgrund der starren Praxiszeiten hätten. Und warnt vor verschleppten Krankheiten als Folge. Sollten die Ärzte nicht einlenken, seien gesetzliche Lösungen erforderlich, sagte der SPD-Fraktionsvize dem Tagesspiegel. "Wir müssen das regeln", betonte er. Möglich sei ein Zusatzpassus im geplanten Spahns Terminservice- und Versorgungsgesetz, das zum Frühjahr 2019 in Kraft treten soll.
Dabei muss es nicht bloß um Sanktionen gehen. Man könne auch, sagte Lauterbach, über Honorarzuschläge für „Arzttermine zu widrigen Zeiten“ reden.