Kampf gegen den IS: Hoffnungslos gewonnen
Für Euphorie über den schwer erkämpften Sieg über die Terrormiliz in Rakka gibt es keinen Grund: Im Nahen Osten fehlt es an Ordnungsmächten und einer Idee. Ein Kommentar.
Die Barbarei hat ein Ende. Rakkas verbliebene Einwohner können aufatmen. Drei furchtbar lange Jahre haben die Menschen unter einem Terrorregime gelitten. Sie waren der Willkür der Islamisten ausgesetzt. Wer nicht spurte, also den Vorgaben der religiösen Fanatiker folgte, wurde bestenfalls drangsaliert. Wer es offen wagte, die Regeln eines als „rein“ verbrämten Islam zu brechen, der musste tagtäglich um sein Leben fürchten. Exzessive, immer wieder demonstrativ zur Schau gestellte Gewalt gehörte zum festen Bestandteil der Herrschaft des IS. Die „Gotteskrieger“ haben den Namen Allahs missbraucht, um ein Reich des Bösen zu errichten.
Doch nun konnte mit vereinten militärischen Kräften Rakka befreit werden. Die Terroristen haben jetzt nicht nur ihre wichtigste Bastion in Syrien, sondern auch ihre „Hauptstadt“ verloren – wie schon zuvor den Großteil ihres früheren Machtgebiets. Damit ist dem IS sein „Kalifat“ abhandengekommen und die herbeigebombte Pseudo-Staatlichkeit. Stattdessen kehrt nun vielerorts die Freiheit zurück. Ein guter Grund zum Jubeln, vielleicht sogar eine Chance. Eigentlich.
Aber bei aller Erleichterung über den schwer erkämpften Sieg: von Euphorie keine Spur. Wer das Joch der Dschihadisten überstanden hat, steht oft vor einem Leben in Trümmern. Die Fundamentalisten haben nicht nur zerstörte Häuser, verminte Straßen und Elend hinterlassen. Ihnen ist vielmehr gelungen, ein friedliches Zusammenleben in der Region grundlegend infrage zu stellen. Sie haben ein toxisches Gemisch aus Missgunst und Missachtung hinterlassen. Und es wirkt.
Die sunnitischen Extremisten haben bei ihrem Aufstieg insbesondere auf Glaubensrivalitäten gesetzt. Schiitische Muslime wurden wie Juden und Christen als „Ungläubige“ geschmäht und gnadenlos verfolgt. Aus Ressentiments ist Hass geworden. Und Angst. Die Befreier werden als solche nicht gefeiert. Weil die Befreiten fürchten, dass sie als tatsächliche oder vermeintliche IS-Parteigänger zur Rechenschaft gezogen werden. Es gibt glaubhafte Berichte darüber, dass die schiitischen Milizen in zurückeroberten Orten grausam gewütet haben. Wie kann da künftig ein Miteinander funktionieren?
Die USA kommen als Ordnungsmacht nicht infrage
Hinzu kommt: Das Konstrukt eines länderübergreifenden „Kalifats“ hat in aller Deutlichkeit gezeigt, wie im Nahen Osten ohne Rücksicht auf ethnisch-religiöse Gegebenheiten einst künstliche Grenzen gezogen wurden. Mit dem Aufstieg des IS und dem Zerfall Syriens haben sich denn auch die damit einhergehenden Konflikte entgrenzt. Kurdistan, Sunnistan, Schiastan – solche Wunschvorstellungen sind eine Kampfansage für Gebilde wie zum Beispiel den Irak. Die Region könnte langfristig Strukturen wie diese bekommen. Allerdings eben nicht durch Verhandlungen, sondern wohl nur durch Kampf.
Denn dem Nahen Osten fehlt es wenigstens an zweierlei, um ihn künftig halbwegs krisenfest zu machen: vertrauenswürdige wie durchsetzungsfähige Ordnungsmächte und eine Idee, wenn nicht gar eine Vision. Amerika kommt dafür nicht infrage. Die USA haben sich vor Jahren zurückgezogen. Zu viel Ärger, zu viele Niederlagen, zu viele Fehleinschätzungen. Washington mag gerade noch als Waffenlieferant gelitten sein. Als Vermittler sind die Vereinigten Staaten längst nicht mehr gefragt.
Für Russland gilt Ähnliches. Niemand glaubt ernsthaft, dass Moskau eine gestaltende Rolle übernehmen möchte. Einfluss haben und sichern, auf jeden Fall. Engagement, nein danke. Das wiederum ermuntert regionale Größen wie die Saudis, Iraker, Iraner und Türken, nach eigenem Gutdünken und zum eigenen Vorteil zu handeln. Stabilität sieht anders aus.
Das werden die Extremisten zu nutzen wissen. Ebenso wie die Unzufriedenheit mit korrupten Eliten, Armut und Perspektivlosigkeit. All diese ungelösten Probleme könnten eine Rückkehr der Dschihadisten ermöglichen, in welcher Form auch immer. Mit ihrem blutigen Terror wird die Welt ohnehin auf absehbare Zeit leben müssen.