Vergifteter russischer Ex-Spion: Wie London im Fall Skripal reagieren kann
Großbritannien verlangt nach dem Angriff auf den russischen Ex-Spion Skripal Aufklärung von Moskau. Andernfalls drohe eine „Reihe von Gegenmaßnahmen“.
Die Attacke auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia vergiftet die Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland. Premierministerin Theresa May erklärte, der Anschlag in Salisbury Anfang März sei mit einer Sorte Nervengift ausgeführt worden, die in Russland entwickelt worden sei. Das Gift aus der Gruppe der Nowitschok-Substanzen sei „von militärischer Qualität“. Offizielle Stellen in Russland hätten den Anschlag entweder direkt in Auftrag gegeben oder ihn zumindest ermöglicht.
London gab Moskau am Dienstag eine Frist bis Mitternacht, um sich gegenüber der „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ zu erklären. Das Ultimatum wird Moskau wohl ignorieren. Russland streitet weiterhin jede Verwicklung in den Fall ab. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa nannte den Auftritt Mays im britischen Parlament eine „Zirkusnummer“. Es handele sich um eine „Kampagne“ und eine „Provokation“.
Außenminister Sergej Lawrow sagte, eine russische Beteiligung sei „Quatsch“. Er kritisierte das gestellte Ultimatum und sagte am Dienstag: „Wir haben damit nichts zu tun. Russland ist nicht schuldig.“ Lawrow verlangte Zugang zu den Nervengift-Proben und warf London vor, sich nicht an die Vorgaben der Chemiewaffenkonvention zu halten. Präsident Wladimir Putin erklärte, die Briten sollten der Sache „erst auf den Grund gehen, dann werden wir darüber diskutieren“.
Boykott der Fußball-WM möglich
May will, sollte Moskau „keine glaubwürdige Antwort“ bis Mittwoch geben, den Giftanschlag als „unrechtmäßigen Gewalteinsatz des russischen Staates gegen das Vereinigte Königreich“ werten und eine „ganze Reihe von Gegenmaßnahmen“ vorstellen.
Wie diese aussehen könnten, mutmaßten britische Medien wie „Times“ oder „Guardian“. Als Minimalreaktion könnte Großbritannien russische Diplomaten ausweisen, wie es die britische Regierung bereits im Fall des vergifteten Ex-Spions Alexander Litwinenko im Jahr 2006 tat. Selbst der Rauswurf des russischen Botschafters wird offenbar als Option erwogen. Dies würde in den schon lange frostigen Beziehungen beider Länder endgültig zu einer Eiszeit führen. Moskau reagiert üblicherweise mit ähnlichen Vergeltungsmaßnahmen und würde britische Botschaftsmitarbeiter ausweisen. Auch auf Sanktionen werde Moskau reagieren, hieß es am Dienstag.
Theresa May brachte bereits ein mögliches Fernbleiben britischer Politiker bei der Fußball-WM im Sommer ins Spiel. Sie könnte weitere EU-Politiker aufrufen, sich einem Boykott anzuschließen. Sportliche Großereignisse sind in Russland politisierte Events.
Möglich wären auch Sanktionen gegen Personen aus Putins engerem Umfeld: London könnte deren Bankkonten einfrieren oder den Zutritt zu ihren Luxusvillen in London und anderswo im Königreich versperren. Großbritannien ist als Wohn- oder Rückzugsort bei besonders wohlhabenden Russen beliebt.
In diese Kerbe schlägt auch Russlands prominentester Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Auf Twitter stellte er die Frage nach effektiven Sanktionen, sofern eine Beteiligung Russlands bewiesen sei. „Die Antwort besteht aus drei Nachnamen“, schrieb Nawalny: „Abramowitsch, Usmanow, Schuwalow.“
Der Milliardär Roman Abramowitsch lebt in London, wo er auch den Fußballklub FC Chelsea besitzt. Geschäftsmann Alischer Usmanow und Vizeregierungschef Igor Schuwalow, die ebenfalls zu den Reichen Russlands zählen, besitzen ebenfalls allerlei finanzielle Interessen in Großbritannien.
Erfolg von Sanktionen ist fraglich
Bislang haben Sanktionen gegen Personen der russischen Geld- und Machtelite zwar zu Unmut bei den Betroffenen geführt. Das erhoffte Auflehnen gegen den Präsidenten blieb jedoch aus. Entsprechend fraglich wäre ihr Erfolg auch diesmal. Ähnlich schwach sind die Wirtschaftssanktionen geblieben, die London nun verstärken könnte. Hierbei müssten allerdings andere EU-Mitgliedern mitziehen. Mehrere Sanktionsrunden nach Krim-Annexion und Ukraine-Krieg waren von durchwachsenem Erfolg. Zwar wirkten die Strafen auf das russische Wirtschaftswachstum – Unternehmen haben es schwerer, sich an internationalen Kapitalmärkten mit Geld zu versorgen –; Präsident Putin jedoch scheinen die Sanktionen nicht zu schaden.
Von seinem politischen Kurs ist er keinen Zentimeter abgerückt. Im Gegenteil: Wladimir Putin nutzte die Strafmaßnahmen geschickt, um den Rückhalt im russischen Volk zu verstärken. Daran dürfte sich künftig auch wenig ändern. Ohnehin könnte Moskau jede Maßnahme als Einmischung in die Präsidentenwahl am kommenden Sonntag interpretieren.
London muss Wirtschaftssanktionen mit der Europäischen Union abstimmen. Aus Brüssel kommen zwar Solidaritätsbekundungen. Allerdings müsse es erst gesicherte Ergebnisse zu den Anschuldigungen geben, wie der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok dem „Tagesspiegel“ sagte. Er forderte gleichzeitig die deutsche Politik auf, kritischer mit Russland umzugehen, etwa bei der geplanten Pipeline Nord Stream 2. Mit Russland gebe es keine vertrauensvolle Zusammenarbeit, sagte Brok, „da kann man die Abhängigkeit nicht weiter erhöhen“.
Ein sehr gefährliches Gift
Weitere Ideen für Strafmaßnahmen reichen von Cyberangriffen auf den Kreml über die Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten über Geldwäsche in Putins Umkreis oder einen Lizenzentzug des russischen Propagandakanals RT bis hin zu einer stärkeren Nato-Präsenz an der russischen Grenze. Jens Stoltenberg, Generalsekretär des Nato-Verteidigungsbündnisses, der sich wie zuvor die Vereinigten Staaten hinter Großbritannien stellte, zeigte sich „sehr besorgt“ über den Einsatz des Nervengiftes.
Dabei handelt es sich mutmaßlich um ein Gift, das die Sowjetunion in den 70er und 80er Jahren entwickelte. Die sogenannten Nowitschok-Substanzen soll es in etwa 100 Varianten geben. Sie zählen zu den gefährlichsten Nervengiften überhaupt. „Gefährlicher als Sarin oder VX“, erklärte Pharmakologieprofessor Gary Stephens von der Universität Reading der BBC. Einige der Nowitschok-Varianten sollen bereits nach 30 Sekunden bis zwei Minuten wirken und lebenswichtige Körperfunktionen lähmen.