"Running Mates" von Clinton und Trump: Hitziges Gefecht statt Duell der Langweiler
Fernsehdebatte der Vize-Kandidaten in den USA: Demokrat Tim Kaine greift immer wieder seinen republikanischen Widersacher Mike Pence an - doch der pariert die Attacken meist lässig.
Etwa zur Hälfte der Debatte lehnt sich Mike Pence zu Tim Kaine, blickt dem Demokraten ernst ins Gesicht und sagt: „Und, haben Sie das lange vorbereitet?“ Kaine hat gerade Schimpftiraden Donald Trumps aufgezählt, unter anderem über den schlechten Zustand des US-Militärs, sowie das Lob des Milliardärs für Männer wie Wladimir Putin oder Nordkoreas Diktator Kim Jong Un.
Pence, ein klassischer Republikaner, kann das eigentlich auch nur furchtbar finden. Aber wer jetzt trotzdem unsouverän wirkt, ist Kaine. Ein Phänomen, das sich durch die gesamte Debatte der beiden Kandidaten für das Amt des US-Vizepräsidenten zieht. Kaine ist übervorbereitet und präsentiert Fakten, Pence ignoriert selbige lächelnd und behauptet entspannt das Gegenteil.
Beide Männer, Kaine wie Pence, sind erfahrene Politiker. Kaine ist aktueller Senator von Virginia, dem Staat, in dem die Debatte ausgetragen wird, zuvor war er dessen Gouverneur. Mike Pence dagegen, seit 2013 Gouverneur von Indiana, war zuvor zwölf Jahre Mitglied des Kongresses in Washington.
Dennoch kennen viele Amerikaner Pence und Kaine bisher gar nicht. Über ein Drittel der Wähler weiß laut einer aktuellen Umfrage des Senders ABC News nicht, wer die beiden sind. Die Debatte in der Nacht zu Mittwoch ist ihre Gelegenheit, sich einem Millionenpublikum bekannt zu machen - und diesen Druck merkt man vor allem Tim Kaine an.
Der „Running Mate“ von Hillary Clinton fällt seinem Gegenüber ständig ins Wort, der 58-Jährige redet schnell. Vielleicht will Kaine gegen sein Image des netten amerikanischen „Dad“ ankämpfen. Gegen den fast pastoral-gelassenen Pence wirkt das oft aber nur aufgeregt. Dabei hatte der 57-jährige Pence die schwierigere Ausgangsposition: Er muss sympathisch sein, gleichzeitig Hillary Clinton angreifen und auf Linie mit Donald Trump bleiben, ohne dabei unglaubwürdig zu wirken. Und dass nach einer Woche, in der unter anderem bekannt wurde, dass Trump offenbar fast zwei Jahrzehnte keine Steuern gezahlt hat.
Das Ziel: junge Menschen für Demokratie begeistern
Die beiden Kandidaten sitzen - anders als Clinton und Trump - zusammen mit der CBS-Moderatorin Elaine Quijano an einem Tisch auf einer in Blau ausgeschlagenen Bühne. Normalerweise wird hier Basketball gespielt. Vor über einem Jahr ist die Longwood-Universität in Farmeville unter Hunderten von Bewerbern als einer von vier Orten ausgewählt worden, an denen die Präsidentschaftsdebatten stattfinden. Und fast genau so lange haben die Vorbereitungen gedauert. Justin Pope, Stabschef der Uni, entschuldigt sich für zerzauste Haare und eine leicht zerknitterte Erscheinung: „Der Stress war groß“, sagt er. „Aber der Stolz ist riesig.“
An diesem Sonntag ist das gesamte Unigelände von Absperrzäunen durchzogen, zwischen den majestätischen Backsteingebäuden und ihren weiß glänzenden Säulen steht Container hinter Container mit Satellitenschüsseln auf dem Dach für die Fernsehleute. Die großen Sender wie MSNBC oder Fox haben eigene Bühnen aufgebaut, hunderte Journalisten sind akkreditiert.
Die Commission on Presidential Debates, die die Debatten organisiert, lässt gerne an Unis debattieren. Weil die Campus-Atmosphäre besonders ist. Und weil gerade junge Menschen für Demokratie begeistert werden sollen. Viele Clinton-Banner sind jetzt auf dem Campus zu sehen, eine junge Frau trägt ein Schild mit der Aufschrift „Yes, we Kaine“. Aber auch viele Trump-Unterstützer sind unterwegs, zwei junge Männer in Hemden mit US-Flaggen-Druck fordern ausdauernd „Make America Great Again“. Mehrere Studenten erzählen, sie seien noch unentschlossen, wen sie am 8. November wählen werden.
Kaine zeigt Differenzen zwischen Pence und Trump auf
Wirklich ausschlaggebend ist dabei die Debatte der Vizepräsidenten erfahrungsgemäß nicht. Tatsächlich geht im zweiten Teil der Diskussion Kaine dann Pence mehrere Male hart an, sodass er nicht mehr ganz so schlecht aussieht und Differenzen zwischen Pence und Donald Trump deutlich machen kann.
Während Trump in der Vergangenheit mehrfach von Putin geschwärmt hat und Mitarbeiter Geschäftsbeziehungen nach Moskau hatten, nennt Pence den russischen Präsidenten einen „Bully“ und kündigt eine deutlich härtere Hand gegenüber Moskau an. Zudem hält er bei der derzeitigen Entwicklung Luftschläge gegen Assads Militärstellungen in Syrien demnächst für notwendig, wohingegen Trump Syrien lieber „den Russen“ hatte überlassen wollen. Trump hatte auch angeregt, mehr Staaten sollten Atomwaffen haben. Als Kaine hier nachhakt, bleibt Pence erst stumm und spricht dann lieber über etwas anderes.
Kaine gelingt es auch, eine Attacke auf Hillary Clinton und die Stiftung der Familie in einen Frontalangriff gegen Trump umzuwandeln, indem er ausführlich auf die fast eine Milliarde Schulden des Milliardärs eingeht, die diesen davon entlastet habe, fast 20 Jahre lang Geld „für Militär, für Veteranen, für Lehrer“ zu zahlen. Und dennoch wirkt Pence oft überzeugender, selbst wenn er Barack Obama für eine eingebrochene amerikanische Wirtschaft kritisiert, obwohl diese stetig wächst und die Arbeitslosigkeit auf konstant niedrigem Niveau liegt. Oder wenn er erklärt, nicht die Trump-Kampagne strotze vor Beschimpfungen, sondern die Clintons. Zur gleichen Zeit indes twittert Trump, Kaine sähe aus wie der fiese Bösewicht aus einem Batman-Film. Allerdings weiß das Pence in dem Moment wohl nicht.
Als am Ende der Debatte beide Männer nach ihrem persönlichen Glauben befragt werden, klingen der Katholik Kaine und der Evangelikale Pence, beide seit über dreißig Jahren verheiratet, beide drei Kinder, auf einmal sehr ähnlich. Mit einem Unterschied: Kaine argumentiert, als Politiker könne er seinen Glauben nicht anderen aufzwingen - und ist deshalb pro Choice. Pence dagegen ist ein strikter Abreibungsgegner, Indiana hat hier mit die schärfsten Gesetze. Darüber fangen Pence und Kaine ein weiteres Mal an zu streiten, ein weiteres und letztes Mal kann die Moderatorin sie nicht zur Räson bringen.
Die Longwood-Universität hatte das Ereignis schon seit Sonntag mit Konzerten, Picknick und Vorträgen über Bürgerrechte gefeiert, ein paar Stunden vor der eigentlichen Debatte dann diskutierten drei ehemalige Berater der Vizepräsidenten Joe Biden, Dick Cheney und Al Gore über das Amt und seine wachsende Bedeutung. Eric S. Edelman, der für den einflussreichen Dick Cheney, George W. Bush’s Vize, gearbeitete hat, hatte einen Rat für Pence: „Er soll keinen Vollidioten aus sich machen“, sagt er. „Denn sein Mitstreiter ist schon einer.“
Das jedenfalls ist Pence geglückt. Nach einer CNN-Blitzumfrage sagen 48 Prozent der Zuschauer, dass er die Debatte gewonnen hat. Nur 42 Prozent sehen Kaine als Sieger.
Ruth Ciesinger ist auf Einladung der US-Botschaft in Berlin auf einer Recherchereise in den USA.
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