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Harte Idealistin. Als außenpolitisches Gesicht der USA ist Hillary Clinton unermüdlich unterwegs.
© AFP

US-Außenministerin: Hillary Clinton - loyal bis zur Erschöpfung

Eine Hillary-Ära gibt es nicht. Trotzdem finden die meisten Amerikaner, dass ihre Außenministerin einen guten Job macht. Nun, da Clinton abtreten will, fragt sich das Land: Was hat sie vor?

In der fantastischen Welt des US- Fernsehens heißt Amerikas Außenministerin jetzt jeden Sonntag Elaine Barrish Hammond. Sie hat einen treulosen Gatten mit einem penetranten Südstaatenakzent namens Bud; der war mal Präsident und jagt bis heute allen weiblichen Röcken hinterher. Sie wollte Präsidentin werden, ist bei der letzten Wahl aber ihrem jüngeren, glatter auftretenden innerparteilichen Konkurrenten unterlegen. Aus Loyalität und Pflichtgefühl hat sie das Außenministerium übernommen. Und nun kann die Nation sehen, dass sie die bessere Wahl fürs Weiße Haus gewesen wäre: moralisch integer, selbstlos, durchsetzungsstark.

Es ist nur Fernsehen. Aber die Parallelen zu Hillary Clinton liegen bei der TV-Serie „Political Animals“ auf der Hand, die von der überraschenden Popularität Clintons profitieren will. Früher wurde die oft als kalt und berechnend dargestellt. Als Hillary sich 1975 entschied, ihren Mädchennamen nach der Hochzeit mit Bill beizubehalten, war das noch sehr ungewöhnlich, vor allem in einem Südstaat wie Arkansas, Bills Heimat. Heute genießt Hillary 65 Prozent Zustimmung in den USA und ist das beliebteste Mitglied des Obama-Kabinetts. Aber reicht das, um als kollektives role model zu dienen?

Im Fernsehen wird ihr Leben weitergedacht. Soap Opera! Vielerlei, was Elaine tut, kann man sich bei Hillary Clinton schwer vorstellen. Sie hat sich nicht von Bill scheiden lassen, auch nicht nach dessen öffentlicher Beichte über die Affäre mit Monica Lewinsky. Und sie würde wohl kaum auf die allzu eindeutige Einladung eines muslimischen Botschafters – Typ alternder Lustmolch – zu einem Abendessen nur zu zweit eingehen, wie Elaine das tut, weil sie dessen Fürsprache für die Vermittlung mit dem Mullah-Regime im Iran braucht, das unschuldige amerikanische Journalisten verhaftet hat und droht, sie als „Spione“ hinrichten zu lassen. Es ist einer solcher Drehbucheinfälle, bei denen Erotik und Weltrettung sehr dicht beieinanderliegen.

Der US-Wahlkampf 2012 in Bildern

Aber nun, da Hillary Clinton angekündigt hat, als Außenministerin nicht weitermachen zu wollen, hat die Zeit des Abschiednehmens begonnen und halb Amerika möchte wissen, welches Drehbuch sie für sich im Kopf hat. Was hat sie vor?

Das Fernsehen hat darauf seine eigenen Antworten gefunden. Barack Obama mag manches Ungemach drohen im Wahljahr 2012; eine überraschende Gegenkandidatur Clintons beim Nominierungsparteitag Anfang September gehört nicht dazu, das wäre politischer Selbstmord, auch wenn ihre Fans gelegentlich betonen, sie wäre die bessere Präsidentin gewesen.

Die Medien hatten die Berichte über ihre Nahostreise Mitte Juli bereits wie kleine Nachrufe intoniert: Das sei „wohl ihr letzter Besuch als Außenministerin dort“ gewesen. Frühzeitig, nämlich Mitte März 2012, hat sie im Interview mit CNN angekündigt, dass sie „den besten Job, den es je gab“ nach einer Amtszeit abgeben wolle. Mit einem vierfachen Nein entzog sie allen Spekulationen, dass sie ein anderes Amt anstrebe, den Boden. „Nein“ auf die Frage, ob sie Außenministerin bleibe. „Nein“ zu einem möglichen Wechsel ins Pentagon als erste weibliche Verteidigungsministerin. „Nein“ zur Frage, ob sie Joe Biden als Obamas Vize beerben wolle – was sie zu einer natürlichen Anwärterin auf das Weiße Haus 2016 machen würde. Und nochmals „Nein“, ob sie eine Präsidentschaftskandidatur 2016 anstrebe; am Wahltag wäre sie 69 Jahre alt. Wenig später folgte ein fünftes Nein. Auch der frei werdende Posten als Präsidentin der Weltbank interessiere sie nicht. Das waren fünf Absagen, aber kein einziger Hinweis darauf, was sie stattdessen vorhabe.

Hillary könnte Verfassungsrichterin am Supreme Court werden

Harte Idealistin. Als außenpolitisches Gesicht der USA ist Hillary Clinton unermüdlich unterwegs.
Harte Idealistin. Als außenpolitisches Gesicht der USA ist Hillary Clinton unermüdlich unterwegs.
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Vielleicht reichen zwei Blicke, um zu erklären, warum sie das Außenministerium überhaupt abgeben möchte – eine Aufgabe, die sie mit Elan übernommen und ausgefüllt hat. Der eine gilt ihrer Konstitution, der andere richtet sich auf ihren Terminkalender, zum Beispiel den rund um ihren „letzten Israelbesuch“ im Amt: ein 14-stündiger Marathon von Sitzungen zum Abschluss einer 13-tägigen Reise durch neun Staaten. Mehr als 100 Länder hat sie in den dreieinhalb Jahren seit Amtsantritt Ende Januar 2009 besucht, mehr als jeder ihrer Vorgänger. Die naheliegende Frage lautet also nicht, warum sie aufhört. Sondern: Wie hat sie das physisch überhaupt so lange durchgehalten?

Die Frage nach der körperlichen Kondition hatte sich seit Monaten wiederholt gestellt. Sie wird im Oktober 65. Wenn die Kameras sich am Ende solcher Marathontage auf verschiedenen Kontinenten bei Pressekonferenzen zu später Stunde in ihr Gesicht zoomten, war ihr die Erschöpfung anzusehen. Irgendwann fanden die Ratschläge der PR-Berater und Visagisten immer weniger Gehör. Wer noch ehrgeizige Pläne hat in der hohen Politik, achtet in aller Regel auf sein Aussehen. Doch woher soll sie sich auf solch stressigen Reisen die Zeit nehmen, um sich aufwendig zurechtzumachen? Sie tritt auffallend oft nicht mehr mit sorgfältig gestylten Frisuren vor die Medien. Sie hat ihr Haar wachsen lassen, als wolle sie die Öffentlichkeit dezent wissen lassen, dass sie beschlossen habe, sich nach ihren eigenen Regeln zu richten. „Über mein Aussehen mache ich mir keine Gedanken mehr“, sagte sie, als ein Fernsehmoderator nachfragte.

Und so rückt allmählich ein anderes Motiv in den Fokus der Spekulationen über ihre Zukunft: der Familienmensch Hillary. Für ihren beruflichen Ehrgeiz, für ihren Fleiß, mit dem sie sich in neue Aufgaben stürzt, ist sie bekannt. Welch zentrale Bedeutung ihre Familie für sie hat, kam im Vergleich meist zu kurz. Sie wollte ihr Privatleben ja auch abschotten, schon aus Selbstschutz. Die Affären ihres Mannes haben ihr viele Schmerzen bereitet. Amerika hat sie nicht vergessen, aber Stichworte wie Monica Lewinsky tauchen so gut wie gar nicht mehr auf, wenn die Medien über Hillary berichten, ihre Zeit als Außenministerin bilanzieren und über ihre Zukunft spekulieren.

Ihre Tochter Chelsea hat im Juli 2010 geheiratet. Damals wurde das Kürzel „MoB“ in den diplomatischen Alltagskauderwelsch aufgenommen: „Mother of the Bride“. Es hat Hillary bekümmert, dass sie bei den Hochzeitsvorbereitungen oft nur aus der Ferne helfen konnte: Beratungen per E-Mail und SMS von unterwegs wegen Brautkleid, Blumenschmuck und Festmenü. In den zwei Jahren seither hat es einerseits Gerüchte gegeben, dass es krisele in Chelseas Ehe mit dem Investmentbanker Marc Mezvinsky. Andererseits wollten Klatschblätter wissen, Chelsea sei schwanger. Es würde jedenfalls zu dem nicht ganz so öffentlichen Bild des Menschen Hillary Clinton passen, dass sie Großmutter werden und dann auch Zeit für persönliche Stunden mit einem Enkelkind haben möchte.

Berufliche Herausforderungen, die für sie attraktiv sein könnten und sich mit der Großmutterrolle vereinbaren lassen, liegen nicht auf der Straße. Aber es gibt sie. Zum Beispiel Verfassungsrichterin. Dafür müsste Obama wiedergewählt werden, ein Präsident Romney würde sie wohl kaum nominieren. Dass die Republikaner im November vermutlich die Mehrheit im Senat erringen, der die Obersten Richter bestätigen muss, wäre kein unüberwindliches Hindernis. Hillary galt als hervorragende Anwältin und genießt Ansehen in der Kongresskammer. Sie hat ihr acht Jahre angehört, ehe sie Außenministerin wurde. Die Kollegen täten sich schwer, ihr diese Krönung ihres öffentlichen Lebens zu verweigern.

Die Hauptkontroverse zwischen den Lagern, die Gesundheitsreform, wird nicht mehr mit ihr verbunden. In Bills Präsidentschaft war das 1993/94 ihr ganz persönliches Projekt gewesen. Sie scheiterte an den Widerständen. Unpopulär ist die Reform auch heute, aber das ist Obamas Problem, nicht ihres. Kaum jemand erinnert noch öffentlich an ihre Vorarbeit. Die Republikaner sprechen verächtlich von „Obamacare“.

Clinton genießt jetzt größere Anerkennung in der Bevölkerung als je zuvor in den letzten 20 Jahren. Zwei Drittel der Amerikaner bewerten sie positiv. Das ist erstaunlich. Herausragende Erfolge der US-Außenpolitik begründen das nicht.

Wieso Obama seiner Außenministerin Freiräume lässt

Harte Idealistin. Als außenpolitisches Gesicht der USA ist Hillary Clinton unermüdlich unterwegs.
Harte Idealistin. Als außenpolitisches Gesicht der USA ist Hillary Clinton unermüdlich unterwegs.
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Die Arabischen Revolutionen kann man zwar als Ausbreitung der Freiheit bejubeln, aber für die nächsten Jahre bringen die Despotenstürze erst einmal Turbulenzen, Unruhen und die Unsicherheit mit sich, ob nicht andere undemokratische Regime an ihre Stelle treten. Der Frieden im Nahen Osten ist nicht näher gerückt. Russland hat sich dem angebotenen „Reset“ (Neustart) der Beziehungen verweigert. Das Verhältnis mit China entwickelt sich schwierig und kann jederzeit ins Konfrontative umschlagen. Iran, Nordkorea und Venezuela setzen auf Nadelstiche und Antiamerikanismus.

Das Verhältnis zu den traditionellen Verbündeten in Westeuropa ist nicht mehr so herzlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Beziehungen zu den „neuen Europäern“ wie Polen, Tschechen und Balten haben sich abgekühlt. Über dem Atlantik ist eine nüchterne Geschäftsmäßigkeit eingekehrt, die von gelegentlichen Frustrationen auf beiden Seiten begleitet wird.

Ganz ähnlich wie zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt gibt es auch zwischen Weißem Haus und State Department eine klare Hierarchie und Arbeitsteilung. Koch ist der Präsident, die Außenministerin die Kellnerin. Im Zweifel ordnet sie sich in den großen Fragen unter. Ihre Zusammenarbeit ist höchst diszipliniert und professionell, trotz ihres erbitterten Kampfs um die Kandidatur 2008. Sie wissen, dass sie beide den Schaden hätten, wenn der Eindruck entstünde, sie zögen nicht am selben Strang. Nahezu jede Woche treffen sie sich im Weißen Haus zum Gedankenaustausch – die Atmosphäre ist nüchtern. Sie trinkt Wasser, er isst ein Stück Obst.

Der US-Wahlkampf 2012 in Bildern

Gegenüber dem Iran hatte sie Obamas Dialogangebot im Wahlkampf noch als „naiv“ abgelehnt und stärker auf Sanktionen gesetzt. Heute sind die Mullahs unter größerem Druck als je zuvor. In Ägypten hätte Clinton wohl länger an Mubarak festgehalten; Obama ließ ihm mitteilen, dass es Zeit sei, abzutreten. In Libyen war es umgekehrt: Clinton drängte einen zögerlichen Präsidenten zum militärischen Eingreifen aus der Luft. In Afghanistan hätte sie mehr Truppen zur Verstärkung geschickt und nicht schon gleichzeitig angekündigt, wann sie wieder abziehen. Aber solche Meinungsunterschiede betreffen nicht die großen Linien, sondern die praktischen Details.

Sie sind ein gutes Team. Er weiß, was er an ihr hat, und lässt ihr Freiräume, um eigene Themen auf ihren Reisen über die Kontinente zu setzen: Frauenrechte, vor allem in Afrika. Freiheit des Internets, vor allem in China. Menschen- und Bürgerrechte in Myanmar.

Elaine, der Hillary-Abklatsch in der TV-Serie, wird von einer mitfühlenden Reporterin gefragt, warum sie sich das alles antue. „Weil ich glaube, dass ich etwas bewirken kann für die Menschen“, lautet die Antwort. Es ist ein Satz, der Hillarys Credo erklärt. Intrigen, persönliche Fehden, Eitelkeiten – das alles ist Zeitverschwendung. Sie will in Erinnerung behalten werden als ein Mensch, dank dessen Arbeit die Welt ein kleines bisschen besser geworden ist.

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