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Frankreichs Innenminister Darmanin nach dem EU-Krisentreffen von Calais.
© Francois Lo Presti/AFP

Migration über den Ärmelkanal: Hickhack zwischen Paris und London geht weiter

Nach dem Tod von 27 Migranten im Ärmelkanal richtet Paris Forderungen an London. Großbritannien soll legale Einwanderung erlauben, verlangt Minister Darmanin.

Fünf Tage nach dem Tod von mindestens 27 Migranten im Ärmelkanal ist auch am Montag das diplomatische Hickhack zwischen Paris und London über die Flüchtlingspolitik weitergegangen. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin rief die britische Regierung unter der Führung von Premierminister Boris Johnson dazu auf, legale Einwanderungswege zu öffnen und damit dem Sterben im Ärmelkanal ein Ende zu bereiten. Wie Darmanin weiter erklärte, könne man derzeit nur dann in Großbritannien Asyl beantragen, wenn man zuvor die gefährliche Überfahrt zur Insel auf sich genommen habe.

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Zur Begründung verwies Darmanin darauf, dass in Frankreich pro Jahr rund 150.000 Asylanträge registriert würden, während in Großbritannien lediglich 30.000 Anträge gestellt würden. Am Montagvormittag befasste sich in Paris auf Initiative von Staatschef Emmanuel Macron der Verteidigungsrat, dem die wichtigsten Kabinettsmitglieder angehören, mit dem Thema. Am vergangenen Mittwoch waren mindestens 27 Migranten im Ärmelkanal bei dem Versuch ums Leben gekommen, Großbritannien mit einem Schlauchboot zu erreichen.

Keine Regelungen zur Migration im Post-Brexit-Vertrag

Johnson hatte in der vergangenen Woche gefordert, dass Frankreich mit dem Vereinigten Königreich ein Abkommen zur Rücknahme von Migranten schließen müsse. Dem Premierminister  fällt in der Migrationspolitik der Brexit auf die Füße – denn nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU gilt die so genannte Dublin-Verordnung, welche die Rückführung von Asylsuchenden regelt, für Großbritannien nicht mehr. Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte am Montag, dass der Post-Brexit-Vertrag zwischen Großbritannien und der EU keine Vorkehrungen für Migrationsfragen treffe. Eine mögliche Änderung des Post-Brexit-Vertrages müsse zunächst mit den EU-Mitgliedstaaten und dem Europaparlament diskutiert werden, sagte er weiter.

Statt dessen forderte Darmanin ein EU-Abkommen, in dem die Aufgabenteilung zwischen Großbritannien und den Anrainerländern auf der anderen Seite des Ärmelkanals zur Eindämmung der Migration festgelegt wird. Bei einem von Frankreich einberufenen EU-Krisentreffen mit Vertretern aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und der EU-Kommission war am Sonntag in Calais unter anderem beschlossen worden, dass ab Mittwoch im Kampf gegen Schlepper ein Flugzeug der EU-Grenzschutzbehörde Frontex die Küste des Ärmelkanals überwachen soll. Auch die EU-Polizeibehörde Europol soll verstärkt eingebunden werden.

Asselborn: Kompass vieler Migranten zeigt nach Großbritannien

Ob damit tatsächlich verhindert werden kann, dass selbst in den Wintermonaten Flüchtlingsboote in der Umgebung von Calais ablegen, bleibt abzuwarten. Nach französischen Medienberichten hat auch das Unglück im Ärmelkanal in der vergangenen Woche nichts daran geändert, dass sich Migranten in die Hände von Schleppern begeben, um Großbritannien zu erreichen. Wie Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn dem Deutschlandfunk sagte, sei es ein „Fakt“, dass der „Kompass“ von Migranten aus Nahost, Nordafrika oder dem Sudan, die in Europa angekommen sind, derzeit nach Großbritannien ausgerichtet sei, ähnlich wie das 2015 für Deutschland der Fall gewesen sei.

Vorwurf: Briten erfüllen finanziellen Verpflichtungen nicht

Laut dem französisch-britischen Abkommen von Le Touquet aus dem Jahr 2004 hat sich Paris dazu verpflichtet, illegale Migranten stärker zu kontrollieren. Im Gegenzug hat London Millionenzahlungen versprochen. Asselborn warf der britischen Regierung vor, diesen finanziellen Verpflichtungen gegenüber Frankreich nicht nachgekommen zu sein.

Besonders übel stieß in der vergangenen Woche im französisch-britischen Verhältnis aber die Tatsache auf, dass Johnson seine Forderung an Macron, Frankreich solle die Flüchtlinge zurücknehmen, nicht etwa auf diplomatischen Kanälen lancierte, sondern per Twitter verkündete. Darüber war die Regierung in Paris derart irritiert, dass die britische Innenministerin Priti Patel beim Treffen in Calais am Sonntag kurzerhand wieder ausgeladen wurde.

Dennoch betonte Darmanin nach dem Treffen von Calais: „Wir wollen mit unseren britischen Freunden zusammenarbeiten.“ Für die „kommenden Wochen“ erhofft sich der Innenminister im gemeinsamen Kampf gegen die Schlepper „große Fortschritte“.

Grünen-Europapolitikerin Brantner: Keine Pushbacks legalisieren

Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner begrüßte die geplante Überwachung über dem Ärmelkanal durch Frontex im Grundsatz. Allerdings sollte die EU-Grenzschutzbehörde dabei auch die Beobachtung der Grundrechte wahrnehmen, sagte sie dem Tagesspiegel. „Großbritannien darf keine Pushbacks legalisieren und damit Menschenleben in Gefahr bringen, sondern sollte mehr legale Fluchtwege schaffen und sich aktiv an der Seenotrettung beteiligen“, so Brantner. Das bilaterale Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich von Le Touquet sollte nach ihren Worten indes so angepasst werden, „dass Schutzsuchende nicht davon abgehalten werden, in Großbritannien Asyl zu beantragen“.

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