Mögliches Linksbündnis: Hessen als spannendes politisches Labor
In Hessen haben SPD, Grüne und Linke eine rechnerische Mehrheit zum Regieren. Eine Geschichte rot-rot-grüner Annäherungsversuche.
Rot-Rot-Grün – das ist eine Koalition, die bisher nur in den Phantasie der CDU lebt. Unter dem Titel „Rot-rot-grüne Planspiele“ schrieb die Partei kurz vor der Bundestagswahl auf ein Flugblatt: „In Sachen Linksbündnis ist der SPD nicht zu trauen.“ Sie listete Zirkel auf, die ein Linksbündnis im Bund schmieden wollen – vom Institut Solidarische Moderne (ISM), das von der früheren hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti mitbegründet wurde, bis zu allerlei Runden, bei denen sich junge Abgeordnete aus SPD, Linken und Grünen immer mal wieder im „Walden“, treffen, einer Kneipe in Prenzlauer Berg. Sie nennen sich Oslo-Gruppe oder „R2G“ (zwei Mal Rot, einmal Grün). In den Berliner Foren spielt Angela Marquardt eine wichtige Rolle, früher Vizechefin der PDS und heute Mitarbeiterin von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles.
Es gab und gibt diese Versuche, Rot-Rot-Grün auch im Bund salonfähig zu machen. Was die CDU unterschlug: Die Aktivisten haben in den eigenen Parteiführungen, die Linke vielleicht ausgenommen, fast nichts bewegt. Die SPD ist in diesen Gruppen nur mit Hinterbänklern vertreten. Die Parteispitzen haben Rot-Rot-Grün eben nicht zum Projekt gemacht. Im Wahljahr 2013 ruhten die meisten Aktivitäten ohnehin. Und zum Leidwesen der Beteiligten lief und läuft zwischen dem ISM und den Gesprächskreisen in Berlin viel nicht vernetzt, sondern parallel.
Dabei gab es in Sachsen-Anhalt mal einen Vorlauf für Rot-Rot-Grün, vor zwei Jahrzehnten. 1994 entwickelte der SPD-Politiker Reinhard Höppner das „Magdeburger Modell“, die erste von der PDS tolerierte Minderheitsregierung. Vier Jahre lang waren auch die Grünen beteiligt. Als deren Wortführer stritt der ehemalige DDR-Dissident und Pfarrer Hans-Jochen Tschiche für eine, wie er es formulierte, Alternative jenseits des Etablierten. Formale Bündnisse zwischen SPD und Linken gab es danach nur im Osten, erst in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Berlin. Heute wird nur noch Brandenburg so regiert. Die Grünen waren nach Magdeburg nie mehr beteiligt.
Wo Rot-Rot-Grün später rechnerisch und wohl auch inhaltlich hätte möglich werden können, in Thüringen oder im Saarland, scheiterte das Vorhaben schon in der Sondierungsphase. Als „Ypsilanti-Falle“ ging in die Parteiengeschichte 2008 der Versuch ein, eine von der Linken unterstützte Minderheitsregierung zu bilden. Vor der Wahl hatte die SPD ein Linksbündnis ausgeschlossen. Vier Abweichler verhinderten den Bruch des Wahlversprechens – und die Wahl der SPD-Kandidatin zur Ministerpräsidentin. Hannelore Kraft in NRW stellte es klüger an. 2010 konnte sie eine rot-grüne Minderheitsregierung nur bilden, weil sich die Linke bei ihrer Wahl zur Regierungschefin enthielt. Doch Kraft setzte auf wechselnde Mehrheiten, die Linke konnte nicht als Tolerierungspartnerin punkten. Nach zwei Jahren gab es Neuwahlen, SPD und Grüne errangen eine eigenständige Mehrheit.
Als derzeit „spannendstes politisches Labor im Land“ gilt Hessen, so analysieren es die Reformer der Linkspartei. „In keinem Bundesland haben die drei Parteien bislang so ernsthaft, unaufgeregt und insgesamt offen über ein rot-grün-rotes Bündnis verhandelt“, schrieb deren Wortführer Benjamin-Immanuel Hoff. Auch Hessens Linken-Fraktionschefin Janine Wissler tut ihr Möglichstes für ein Bündnis – während einige ihrer Mitstreiter noch mit der Parole „Vom Wahlkampf zum Klassenkampf“ unterwegs sind. Der Ausgang der Sondierungen in Wiesbaden ist offen. Denkbar ist auch, dass SPD oder Grüne in eine CDU-geführte Regierung gehen.
Matthias Meisner