Grüne und Linke: Die wollen da rein
Grüne und Linke drängen an die Spitze. Werden sie bald erstmals Ministerpräsidenten stellen?
Die nächste Landtagswahl findet am 20. März 2011 in Sachsen-Anhalt statt. Wenn es nach Gregor Gysi geht, dem Chef der Linken-Bundestagsfraktion, bekäme ein tüchtiger Landespolitiker, der amtierende Finanzminister Jens Bullerjahn von der SPD, an diesem Tag die Chance, „in die Geschichte einzugehen“. Bullerjahn müsse dafür, so fordert Gysi, nur „Mut aufbringen“ – und seine Partei für die Möglichkeit öffnen, einen Ministerpräsidenten der Linkspartei zu wählen, dazu noch nach den Worten Gysis „einen so anständigen Kerl“, wie er mit Wulf Gallert bereitsteht, dem Chef der Linken-Landtagsfraktion.
Die Sache könnte aufgehen – den Umfragen nach. Zuletzt taxierte das Institut Infratest dimap im September CDU und Linke bei 30 Prozent, die SPD folgte mit 21 Prozent, dazu kommen wohl noch Grüne (neun Prozent) und FDP (fünf Prozent) in den Magdeburger Landtag. Bleibt Bullerjahn – und die ihm in dieser Frage bisher treu folgende Landes-SPD – bei seiner Haltung, Rot-Rot zwar nicht auszuschließen, wohl aber die Wahl eines linken Ministerpräsidenten, steht allerdings eher die Neuauflage des Regierungsbündnisses von CDU und SPD ins Haus.
Im Westen derweil macht der Höhenflug der Grünen der SPD zu schaffen. Eine Woche nach Sachsen-Anhalt wird in Baden-Württemberg gewählt. TNS Forschung sagt hier für die CDU 34 Prozent der Stimmen voraus, die Grünen folgen nur knapp mit 32 Prozent und verweisen die SPD auf Platz drei. Schwarz-Grün und Grün-Rot wären als Bündnis möglich. Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann galt lange als Anhänger von Variante eins, ist nach den Protesten gegen Stuttgart 21 und der CDU-Atompolitik aber umgeschwenkt. Und SPD-Landeschef Nils Schmid sagt inzwischen, dass seine Partei auch als Juniorpartner der Grünen regieren würde.
In Berlin ist der Vorsprung der Grünen vor der SPD nicht ganz so deutlich – Forsa ermittelte zuletzt 28 Prozent für die Grünen, 24 Prozent für die SPD und 18 Prozent für die Linkspartei. Auf eine Debatte, wer nun im Regierungsbündnis Koch und wer Kellner wird, haben die Grünen Lust, die Sozialdemokraten überhaupt nicht. Und die Linkspartei fürchtet, im Duell zwischen den beiden Kandidaten für das Bürgermeisteramt, Klaus Wowereit und Renate Künast, zerrieben zu werden.
Bekommt Deutschland nun also 2011 in Serie Regierungschefs neuer Couleur? Erst den linken Gallert, dann den grünen Kretschmann, später Künast und vielleicht auch noch, wieder im Herbst, den pragmatischen Linken-Politiker Helmut Holter in Mecklenburg-Vorpommern? Experten glauben, dass das eher nicht der Fall sein wird. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch von der Otto-vonGuericke-Universität in Magdeburg sieht von Land zu Land deutlich andere Umstände. Während es für die SPD im Südwesten, ohnehin ohne Chancen auf den Rang der stärksten Partei, attraktiv sein könne, als Juniorpartner der Grünen zu regieren, sei die Sache in Berlin ganz anders und „psychologisch viel schwieriger“. Renzsch erwähnt die „große Geschichte“ der West-Berliner SPD, Ernst Reuter und Willy Brandt. Vor diesem Hintergrund wäre es für die Berliner SPD „schmerzhaft“, eine grüne Regierungschefin Künast ins Amt zu bringen. Und in Sachsen-Anhalt? Renzsch hält die Absage von Bullerjahn an einen linken Ministerpräsidenten für „sehr vertrauenswürdig“ und „verlässlich“. Wohl gebe es andere Strömungen in der Partei. „Aber ich glaube nicht, dass die SPD kippt.“
„Althergebrachte Strukturen lösen sich auf“, sagt Renzsch. Ob Grüne und Linke damit nun gleich zu Volksparteien werden, bezweifeln Experten. Sie sehen die immer stärkere Verankerung der Grünen in bürgerlichen, urbanen und liberalen Milieus, aber auch, dass die Partei fast keine Arbeiter und Arbeitslosen bindet. Der Linken spricht Renzsch die Volkspartei-Rolle sogar im Osten ab. Er sieht sie vor allem als Protestpartei, die die Privilegierten des DDR-Systems und ihre Kinder vertrete.
Doch wie auch immer: Ausgefochten wird die Frage, ob es künftig auch Länderregierungschefs von Grünen oder Linkspartei geben darf, soll oder wird, in den kommenden Monaten vielerorts. Noch im vergangenen Jahr hatte die Linkspartei in Thüringen, bei der Wahl stärker als die SPD, versucht, mit dem Vorschlag eines parteilosen Ministerpräsidenten ein rot-rotes Bündnis zu ermöglichen. Das misslang. Wenn sich die Linkspartei an diesem Samstag zum Landesparteitag in Magdeburg trifft, wird Gysi als prominentester Redner klar abraten, sich auf solche Deals einzulassen. „Ich bin da gegen jeden Kompromiss“, sagt er: „Wenn wir stärker sind, müssen wir den Ministerpräsidenten stellen. Wenn wir einmal einen solchen Kompromiss schließen würden, hängt er uns 20 Jahre an.“ Bullerjahn prophezeit er, „historisch bedeutungslos“ zu bleiben, sollte er über den März hinaus weiter als Juniorpartner der CDU regieren. Dass Nils Schmid in Baden-Württemberg die Sache anders sieht als der sachsen-anhaltinische SPD-Spitzenkandidat, betrachtet Gysi als „gewaltigen Sprung“. Damit werde es für die SPD „schwerer zu erklären, warum sie einen linken Ministerpräsidenten nicht wählen will“. Spitzenkandidat Gallert macht „ziemlich große inhaltliche Übereinstimmung“ zwischen Linken und SPD aus. „Das hat mit Inhalten relativ wenig zu tun. Der SPD geht es um machtpolitische und taktische Fragen.“
Bullerjahn mag auf solche Offerten nicht eingehen. Die Situation in Baden-Württemberg ist seiner Meinung nach ganz anders. Und dass er keine Lust mehr hat auf Experimente, seit die PDS-tolerierte SPD-Minderheitsregierung („Magdeburger Modell“) 2002 abgewählt wurde, ist weithin bekannt. Damals war er Parlamentsgeschäftsführer der SPD, so wie Gallert für die Linke. Beide sind bis heute befreundet. Allenfalls wird spekuliert, dass andere Genossen Rot-Rot auf den Weg bringen könnten, sollte die Linkspartei die SPD überrunden, wie es schon bei der Landtagswahl vor vier Jahren der Fall war. Doch auch die SPD-Landesvorsitzende Katrin Budde hat klipp und klar erklärt, dass sie den Kurs von Bullerjahn stützt. Vor Wochen sagte sie in einem Radiointerview, dass sich die SPD „noch weiter erholen“ müsse, sollte sie wieder von der Linken abgehängt werden.