Zusammenstöße an Chinas Nationalfeiertag: Hongkonger Polizei feuert scharfe Munition auf Demonstranten
Die Hongkonger Demokratiebewegung ignoriert das Protestverbot am 70. Jahrestag der Volksrepublik China. Ein Mann wird von einer Kugel in die Brust getroffen.
Zeitgleich mit den Feierlichkeiten zu Chinas 70. Geburtstag sind in Hongkong am Dienstag Zehntausende für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gegangen. Im Anschluss kam es an mehreren Orten zu Zusammenstößen radikaler Demonstranten mit der Polizei. Aktivisten blockierten Straßen, warfen Pflastersteine, legten Feuer und warfen Brandsätze. Die Beamten setzen Tränengas, Schlagstöcke und Wasserwerfer ein. Erstmals wurde ein Demonstrant mit scharfer Munition angeschossen.
Bei dem Angeschossenen handelte es sich um einen 18-Jährigen, der in der Nähe seiner linken Schulter getroffen wurde, wie eine Polizei-Sprecherin in einer Videobotschaft auf Facebook mitteilte. Er sei Teil einer großen Gruppe von Randalierern gewesen, die Polizisten angegriffen hätten. Eine der Beamten habe sein Leben und das seiner Kollegen gefährdet gesehen und den Schuss abgegeben. Die Polizei sei sehr betrübt über den Vorfall und habe nicht gewollt, dass jemand verletzt wird. Die Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ berichtete, dass der junge Mann sich in einem kritischen Zustand befand. Auf Twitter kursieren Videos, die angeblich den Vorfall zeigen (siehe Tweet unten).
Auf einem in sozialen Netzwerken geteilten Video von dem Vorfall ist eine turbulente Kampfszene zwischen einer Gruppe von Demonstranten und Polizisten zu sehen. Ein Mann geht mit einer Stange auf einen der Beamten los, daraufhin feuert er aus nächster Nähe aus seinem Revolver. Der Demonstrant geht zu Boden.
Demokratieaktivist Joshua Wong twitterte das Foto eines jungen Mannes, der verletzt am Boden liegt. Ob es ein von einer Kugel getroffener Demonstrant ist, wird dabei nicht klar.
Hongkongs Krankenhaus-Behörde teilte mit, dass bis zum Abend (Ortszeit) 31 Menschen bei den Protesten verletzt wurden, von denen sich zwei in einem kritischen Zustand befanden.
Bei Ausschreitungen an mehreren Orten in der Stadt blockierten Aktivsten Straßen, warfen Pflastersteine, legten Feuer und warfen Brandsätze. Die Beamten setzen Tränengas, Schlagstöcke und Wasserwerfer ein. Mehrere Warnschüsse wurden abgefeuert.
Die CNN zitierte einen Polizeiverantwortlichen, der schon vor einigen Tagen davor warnte, dass die Polizei wohl bald scharfe Waffen einsetzen müsse, um sich zu verteidigen: „Unsere Kollegen sorgen sich, dass die Gewalt schon soweit außer Kontrolle ist, dass sie bald jemanden töten müssen, um nicht selbst zu sterben.“
Die EU-Kommission rief zu Gewaltverzicht in Hongkong auf. „Angesichts der andauernden Gewalt und Demonstrationen in Hongkong sind Dialog, Deeskalation und Zurückhaltung die einzigen Wege, die erfolgsversprechend sind“, sagt eine EU-Kommissionssprecherin in Brüssel. Es müsse mehr getan werden, um das Vertrauen der Gesellschaft wieder herzustellen. Zudem müsse die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gewahrt bleiben.
Die Demonstranten zogen trotz eines Verbots der Behörden durch die Straßen der chinesischen Sonderverwaltungszone. „Freiheit für Hongkong“ riefen die zumeist schwarz gekleideten Demonstranten und stimmten die Hymne der Protestbewegung an. Auch an anderen Orten in der früheren britischen Kronkolonie mit ihren rund sieben Millionen Einwohnern kamen Demonstranten zu zunächst friedlichen Protestaktionen zusammen.
Zeitgleich hatten unter hohen Sicherheitsvorkehrungen am Morgen die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag der Volksrepublik China begonnen. Abgeriegelt von der Öffentlichkeit verfolgten geladene Gäste im Messezentrum der Stadt eine Zeremonie, die in die geschlossenen Räume übertragen wurde.
„Wir kämpfen für Freiheit und Demokratie“
Eine Ehrengarde hisste die Nationalflagge an der goldenen Bauhinien-Statue, einem Wahrzeichen der Stadt. Zwei Helikopter mit einer großen chinesischen und einer kleineren Hongkonger Fahne flogen über den Hafen entlang der Hongkonger Skyline.
Die Demonstranten fordern eine unabhängige Untersuchung von Polizeigewalt bei den seit fünf Monaten andauernden Protesten, eine Amnestierung der mehr als 1500 bisher Festgenommenen, eine Rücknahme der Einstufung ihrer Proteste als „Aufruhr“ sowie freie Wahlen.
„Wir kämpfen für Freiheit und Demokratie“, sagte ein Demonstrant namens Ramon. Die Kommunistische Partei gewähre den Menschen keine freien Wahlen, zudem würden Versammlungsfreiheit und Redefreiheit immer weiter eingeschränkt.
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In Erwartung der Ausschreitungen hatten die Behörden bereits am Morgen einige Straßen und U-Bahn-Stationen in der Innenstadt gesperrt. Mindestens 6000 Polizisten hielten sich bereit, wie die „South China Morning Post“ berichtete. Mehrere große Einkaufszentren und Hunderte Geschäfte in der Stadt blieben geschlossen; einige Hotels empfahlen ihren Gästen, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten.
Hongkongs bei der Protestbewegung verhasste Regierungschefin Carrie Lam verbrachte den Feiertag nicht in der Stadt. Gemeinsam mit einer großen Delegation war sie zu der großen Militärparade nach Peking gereist.
Hongkongs Behörden hatten einen für Dienstag geplanten großen Protestmarsch im Vorfeld untersagt. Die Demokratiebewegung hatte dennoch für den Tag mehrere Protestaktionen angekündigt. Schon bei Protesten am Wochenende war es in Hongkong wieder zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen.
Seit der Rückgabe 1997 an China wird Hongkong mit einem eigenen Grundgesetz autonom regiert. Die Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten. (dpa, Tsp)