Notrufe in der Corona-Krise teils verdoppelt: Häusliche Gewalt nimmt stark zu – was nun passieren muss
Häusliche Gewalt ist kein neues Phänomen, aber es wächst in der Corona-Krise. Es gäbe Lösungen, um das Problem zu lindern. Ein Kommentar.
Auf die Gewalt der Krise folgt die Krise durch Gewalt. Zu Hause bleiben! Das ist die Parole der Pandemie – ihr aktuell einziges Heilmittel, ihre bisher beste Präventionsmaßnahmen. Und zugleich ist genau das, zu Hause zu bleiben, für viele Menschen eine andere, große Bedrohung.
Weltweit werden Leute unfreiwillig eingeschachtelt in ihre Behausungen. Nähe bei Tag und bei Nacht. Das Wegfallen aller Rahmen und Geländer des Alltags kann enorme Spannungen erzeugen bei Familien, Partnern, Ehepaaren.
Schon in China war das während der Ausgangssperren beobachtet worden: Männer werden gewalttätig gegen Frauen, Erwachsene gegen Kinder. Jetzt warnt auch der Kopf der Vereinten Nationen vor der Zunahme von Gewalttaten.
Scharf verurteilte Generalsekretär António Guterres gestern in New York den, wie er sagte, „schrecklichen“ Anstieg der Angriffe auf Ehefrauen, Partnerinnen und weibliches Personal in Haushalten. Viele Staaten verzeichnen das, abzulesen an der steigenden, teils verdoppelten Zahl der Notrufe.
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Und „schrecklich“ ist das treffende Wort, denn der Schrecken zieht ein als Mitbewohner in solche Wohnungen und Häuser. Da bersten physisch Stärkere – Männer, Erwachsene – vor Frustration, Verdruss und Ärger und lassen das Gestaute an physisch Schwächeren aus, an Frauen, Mädchen und Jungen.
UN-Forderung: dem Ausufern von Gewalt entgegentreten
Deren Schutz klagt Guterres zu Recht ein, er gehöre „in die Reaktionspläne gegen die Coronapandemie“. Von allen Staaten erwartet Guterres massive Anstrengungen, um einem Ausufern von Gewalt, gewissermaßen der Pandemie 2.0, entgegenzutreten.
In derart harten Zeiten mit Ausgangssperre, Quarantäne, geschlossenen Schulen und Kindergärten müsse es „Frieden zu Hause“ geben, fordert der UN-Chef.
Doch bei der päpstlichen Formel bleibt er nicht, sondern verlangt konkret und pragmatisch verstärkte Hilfen im Internet für Frauen und Mädchen, Systeme für Notfallrufe in Apotheken und Lebensmittelgeschäften, und dass Schutzheime zu systemrelevanten Einrichtungen erklärt werden.
Notrufnummern auf Kassenzettel?
Für die Praxis lässt sich all das exzellent weiterdenken, auch in Deutschland. Frauenhäuser wie Jugendämter und Gewaltschutz-Ambulanzen gehören auf die Liste der Institutionen mit besonderem Bedarf an Zusatzpersonal, Schutzausstattung und Testpriorität für das Coronavirus.
Ohne viel Aufwand können große Supermarktketten und andere Läden ein paar Monate lang auf jeden Kassenzettel Notrufnummern für Hilfe und Beratung bei häuslicher Gewalt drucken. Dann ist der Name des Geschäfts dort vielleicht nur halb zu lesen, aber eine Kundin bleibt unversehrt oder wird sogar gerettet.
Zu prüfen wäre, ob Läden dazu nicht vorübergehend sogar rechtlich verpflichtet werden könnten.
Gewalt einzudämmen ist keine neue Aufgabe
Facebook, Twitter, Instagram könnten je nach Land Informationen zu Online-Hilfe und speziellen Notrufen pinnen, sodass die jederzeit schnell zur Hand sind – sei es für einige Wochen oder Monate. Das hilft auch später noch, in der Post-Krisenzeit.
Allemal kurzsichtig war es immer schon, Frauen privates Auswahlverschulden vorzuhalten, sie sollten doch einfach gehen oder den Kerl hinauswerfen. In der akuten Zwangslage der Gegenwart bringen derlei Anwürfe erst recht nichts.
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Das Problem wird mit guten Appellen nicht schwinden, und die Beschränkungen werden noch eine ganze Weile andauern, von einem Kontinent zum anderen wandern.
Gewalt einzudämmen, an die Männer wie Frauen seit vielen Generationen gewöhnt sind, war als Aufgabe schon lange vor Corona da.
Jetzt ist die große Chance gegeben, dass diese Aufgabe im Lauf der Pandemie ins Bewusstsein rückt wie noch nie. Dass sich dabei wie im Crashkurs mehr Bewusstsein entwickelt für den Vorrang des Redens vor Gewalt, für das Erkennen, Benennen und Reflektieren von Emotionen, das Reagieren auf sie.
Auch damit kann Corona für Millionen Menschen das Leben verändern, nicht zuletzt für die Kinder derer, die lernen, sich und einander emotional besser zu fassen und zu erfassen.
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