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Wenn alles vernetzt ist, wo bleibt dann die Freiheit des Einzelnen?
© Getty Images/iStockphoto

Intelligente Städte: Hätte die Blockchain-City ein Corona-Problem?

Man muss kein Fan von Big-Data-Futuristen sein, um zu erkennen, dass deren Ideen eher Probleme lösen als die deutsche Digitalisierungsbräsigkeit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Der US-Unternehmer Jeffrey Berns hat mit der Blockchain-Technologie sehr viel Geld verdient; jetzt baut er mit seinem Vermögen eine eigene Stadt. Die Blockchain ist die technische Voraussetzung für die schwer zu greifende Digitalwährung Bitcoin. Ganz real sind hingegen die Dollar-Millionen, die Jeffrey Berns an den US-Bundesstaat Nevada gezahlt hat, um dort eine City zu errichten, die voll und ganz auf privates Recht gegründet sein soll. Viel weiter kann man die Freiheit eines Einzelnen nicht mal im freisten Land der Welt treiben.

Die Grundlagen für die „Blockchain City“ hat Jeffrey Berns dieser Tage geschaffen. Er hat von Nevada 268 Quadratkilometern unbewohnten Wüstenlands gekauft. Sein Geld reichte zudem für den Kauf einer Bank, um den Bau seiner Stadt zu finanzieren. Interessant ist an Berns‘ großem Plan nicht allein die smarte City mit ihrer Technologie, die das Leben leicht und sensorgesteuert machen soll; richtig prickelnd wirkt der Plan, den Herrschern der Privat-Stadt das Recht zuzugestehen, Steuern zu erheben, Schulen und Gericht zu schaffen und mit privaten Sicherheitskräften für Ordnung zu sorgen: Das ist Politik auf privatrechtlicher Grundlage.

Zur Idee, vielmehr Ideologie, der Smart City gehört die Verschmelzung des Bürgers mit dem Kunden und Nutzer ausgeklügelter Dienstleistungen. Der Bürger, wie man ihn hierzulande noch kennt, ist in der Hightech- Stadt von morgen, in Berns‘ privater Kommune, eine Figur von gestern. Wenn seine Umgebung sensorüberwacht ist, dann sind bloß noch des Bürgers Gedanken frei; denn seine Bewegungen, seine Tätigkeiten, die Benutzung seiner Waschmaschine und seiner Klimaanlage bedienen den gigantischen Datenhunger einer hochintelligenten Stadtmaschine, die alles optimiert: Verkehrsmittelnutzung, Energieversorgung, Müllentsorgung, die polizeiliche Bestreifung des öffentlich-privaten Raums.

Die Pioniere der smarten Welt, die Gründer des Silicon Valley und die Hightech-Unternehmer vom Schlag eines Elon Musk oder Jeffrey Berns hatten mit dieser Science-Fiction-Vorstellung von Stadt noch nie ein Problem. Ausgerechnet die Corona-Pandemie (mit ihrer besonders fatalen und letalen Wirkung in den Vereinigten Staaten) gibt indes Gelegenheit, den europäischen Standpunkt in Sachen Digitalisierung zumindest zu überdenken.

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Die „Smart City“ in Nevada mit ihrem ungehemmten Glauben an den Segen der Datenflüsse ist das eine. Die Bräsigkeit, mit der vor allem in Deutschland und ganz besonders in Berlin, die Digitalisierung vorankommt, die Schwächen der Warn-Apps, der „Lernräume“, die Unerreichbarkeit der Behörden, die unfassbare Langsamkeit, mit der Verwaltungen Dienste online bieten: das kann auch nicht die Alternative sein.

Völlig zu Recht haben drei Autoren in einer Woche – die Professoren Jürgen Gerhards und Michael Zürn am Sonntag und Jörg Rocholl am Donnerstag – in dieser Zeitung auf die stille Arroganz hingewiesen, mit der man hierzulande übersieht, dass gerade asiatische Staaten dank ihrer Fähigkeiten bei der Digitalisierung schlicht besser dastehen als wir. Auch und gerade im Umgang mit den Grund- und Freiheitsrechten ihrer Bürger sind jedenfalls die Demokratien in Fernost smarter, besser, antiautoritärer als die europäischen Administrationen. In Jeffrey Berns’ Privatstadt wäre eine Seuche wie Corona vermutlich ratzfatz ausgerottet.

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